KI-Cluster Minds-Media-Machines Was wurde aus der Exzellenz-Initiative der Uni Bremen?

Das Vorhaben, erneute Exzellenz durch einen Wissenschaftsschwerpunkt Künstliche Intelligenz zu erreichen, ist offenbar auf dem besten Wege - allerdings ist dieser Weg noch lang.
06.01.2021, 21:12 Uhr
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Was wurde aus der Exzellenz-Initiative der Uni Bremen?
Von Joerg Helge Wagner

Ins Smartphone sprechen, ohne dabei ein Geräusch zu machen, und trotzdem vom Gesprächspartner verstanden werden – für manche klingt das nach Magie oder Science-Fiction, für andere nach einem Segen in der Straßenbahn oder auf Zugfahrten. „In drei bis fünf Jahren ist das marktreif“, sagt Tanja Schultz. Sie muss es wissen, denn sie forscht daran. Die Professorin für Informatik an der Universität Bremen ist Expertin für Spracherkennung, leitet den Bereich Kognitive Systeme. Zudem ist sie Sprecherin des Wissenschaftsschwerpunkts „Minds, Media, Machines“ (MMM). Und mit diesem könnte Bremen wieder in den exklusiven Kreis der aktuell elf Exzellenz-Unis in Deutschland zurückkehren.

Dieses Ziel nannte Rolf Drechsler, Dekan des Fachbereichs Informatik/Mathematik, im Februar. Damals berichtete der WESER-KURIER darüber, dass drei Bremer Professoren – darunter Drechsler – und drei Nachwuchswissenschaftler in einem weltweiten Ranking zu den 2000 einflussreichsten Experten für Künstliche Intelligenz (KI) gelistet wurden. Professor Michael Beetz, Leiter des Instituts für KI, gehört im Bereich Robotik sogar zu den vier führenden Forschern des Planeten. Und Sprachexpertin Schultz erhielt wenig später auch noch einen Google Faculty Research Award, verbunden mit 80.000 Dollar Preisgeld. Neben Bremen wurden damit in Deutschland nur noch die Exzellenz-Unis München (TU) und Aachen ausgezeichnet. Das Bremer Vorhaben, erneute Exzellenz durch KI zu erreichen, ist offenbar auf dem besten Wege.

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Allerdings ist dieser Weg noch lang, und er bleibt höchst anspruchsvoll. Zunächst gibt es nämlich einen Wettbewerb innerhalb der Universität: „Wir brauchen die Erlaubnis, für Bremen anzutreten“, erklärt Beetz. Die erteilen am Ende Rektor Bernd Scholz-Reiter und Jutta Günther, Konrektorin für Forschung, wissenschaftlichen Nachwuchs und Transfer. Beraten werden sie dabei vom Zukunftsrat/Excellence Initiative Board. Diesem Gremium gehören elf Professorinnen und Professoren verschiedenster Fachrichtungen an sowie weitere sieben externe Mitglieder, etwa Professor Matthias Kleiner, Präsident der Leibniz-Gemeinschaft.

Grundvoraussetzung für eine Bewerbung ist, dass eine Universität über zwei Forschungsschwerpunkte von herausragender Bedeutung verfügt. Die Uni Bremen hat mit dem Marum (Zentrum für Marine Umweltwissenschaften) einen Exzellenz-Cluster. Der zweite könnte also MMM sein, aber: „Die Uni kann sich durchaus mit mehreren Clustern bewerben“, betont Beetz. „Es gibt für uns keine Erfolgsgarantie“, ergänzt seine Kollegin Schultz. Wenn der bis zu 50-seitige Vorantrag (Skizze) durchgeht, folgt der weit umfangreichere Vollantrag und dann – vielleicht – der Exzellenz-Status. Das kann sich über die nächsten sechs Jahre hinziehen.

Lebensqualität von hilfsbedürftigen Menschen steigern

Die führenden Köpfe des MMM-Clusters sind jedoch zuversichtlich. „Zu unserem starken Kern gehört ja auch noch die Informatikerin und Humanbiologin Kerstin Schill, Vizedirektorin der Deutschen Forschungsgemeinschaft“, sagt Beetz. Der besondere Bremer Ansatz liege auch darin, KI-gestützte Robotik mit gesellschaftlichen Herausforderungen zu verbinden: „Es geht darum, die Lebensqualität und Unabhängigkeit von hilfsbedürftigen Menschen zu steigern.“ Und dies technisch auf höchstem Niveau: Roboter decken eben nicht nur den Tisch – jede Teilbewegung resultiert aus dem bereits erlernten Wissen der Maschinen, sie stellen sich Fragen, beantworten diese und erstellen quasi eine Selbstdiagnose.

Dekan Drechsler weiß, dass diese Selbstständigkeit von Maschinen neben Faszination auch Unbehagen erzeugen kann. „Wir legen Wert darauf, dass die Roboter ethisch intakt agieren“, betont er. „Unser Blick gilt vor allem der Beherrschbarkeit und der Erklärbarkeit von Verhalten.“ Dieses Gesamtbild sei das Alleinstellungsmerkmal von MMM. Es darf also bei allen Selbstlernprozessen der Maschinen niemals zu einer Gefährdung von Menschen kommen. Ein autonomes Fahrzeug etwa soll nicht nur lernen, möglichst schnell von A nach B zu kommen: „Es muss dabei auch immer die Straßenverkehrsordnung beachten“, verdeutlicht Drechsler.

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Einen eigenen Ansatz verfolgen die KI-Wissenschaftler auch im Ringen um Spitzenergebnisse: Alle Programme und Daten seien offen für die globale Forschungsgemeinschaft, versichern sie. Drechsler spricht von „Steckdosen“, die Interessierte anzapfen können. Bei den Robotern etwa habe man die Forschungslandschaft im Labor auch virtuell im Internet abgebildet. Schultz lässt die Aufzeichnungen aus ihrem Biosignal-Labor in Echtzeit in andere Labore übertragen. Angst vor Konkurrenz? „Wenn wir fünf bis sechs Weltklasse-Teams dazu holen, ist das in Deutschland auch ein Alleinstellungsmerkmal“, sagt Drechsler. „Und Kooperation mit uns ist attraktiv.“

Der Trick bei Schultz' lautloser Handy-Kommunikation besteht übrigens darin, dass ein weiterentwickeltes Smartphone an die Wange gehalten wird: Dort erfühlen Sensoren im Display die Bewegungen der Muskulatur beim lautlosen Sprechen und übersetzen sie in hörbare Sprache. Prototypen solcher Geräte gebe es bereits, sagt Schultz. Schallwellen werden dann erst am Ohr des Empfängers erzeugt. Den Fortschritt sieht sie in der „Lärmentlästigung“ in öffentlichen Raum, aber auch auf medizinischem Gebiet: „Patienten, die etwa unter Kehlkopf-Krebs leiden und heute kaum verständlich sind, können dann wieder telefonieren.“

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Die Pläne der Professorin reichen längst weiter: „Der nächste logische Schritt ist, direkt die Hirnströme in hörbare Sprache zu wandeln.“ Das ist heute schon machbar, allerdings nur mit in das Gehirn implantierten Elektroden. Die lautlose Telefonie für jedermann ist mit der heutigen Technologie noch nicht machbar – aber vielleicht in 15 bis 20 Jahren.

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In dieser Reihe schauen wir auf coronafreie Themen, die Bremen im vergangenen Jahr beschäftigt haben, und darauf, was aus ihnen geworden ist.

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