Bewegende Gedenkveranstaltung für Jan Palach Fackel Nr. 1 brannte für die Freiheit

Vor 50 Jahren verbrannte sich Jan Palach aus Protest gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings auf dem Wenzelsplatz in Prag. Nun wurde ihm im Theater am Goetheplatz gedacht.
26.01.2019, 06:11 Uhr
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Fackel Nr. 1 brannte für die Freiheit
Von Sigrid Schuer

Jeder Mensch hat nur ein Leben. Jan Palach hat seines für die Freiheit und die Demokratie gegeben. Vor 50 Jahren, am frühen Nachmittag des 16. Januars 1969, übergoss sich der 20-jährige Student mit Benzin, zündete sich an und lief zum Entsetzen der Menschen als lebende Fackel über den Prager Wenzelsplatz. Ein Fanal gegen die blutige Niederschlagung des friedlichen Prager Frühlings im August 1968 durch die Panzer des Warschauer Paktes und die Besetzung der Tschechoslowakei durch die Sowjetunion. Palachs Opfertod wurde von Dissidenten als moralischer Appell gewertet.

Im Foyer des Theaters am Goetheplatz wurde Jan Palachs jetzt im Rahmen des deutsch-tschechischen Kulturfestivals „So macht man Frühling 2019“ in Kooperation mit dem Tschechischen Zentrum Berlin und dem Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds gedacht. Wie verzweifelt muss jemand sein, der sich selbst verbrennt? Diese Frage hat sich die junge Wissenschaftlerin Sabine Stach vom Deutschen Historischen Institut Warschau gestellt und 2013 ein Buch über die Selbstverbrennungen von Jan Palach und Oskar Brüsewitz geschrieben. Beide, der Student in der CSSR und der evangelische Pfarrer in der damaligen DDR, wollten mit ihren Taten ein politisches Fanal setzen, beide wurden in einer Desinformationskampagne der sozialistischen Regime als Psychopathen diffamiert. Palach wurde unterstellt, dass er Teil eines rechtsextremen Komplotts gewesen sei.

Sein Schicksal bewegt bis heute

Dabei waren Palachs politische Reformvorstellungen zur Rettung der Reste des Prager Frühlings sehr konkret. Er hatte einen Brief bei sich, in dem er schrieb, er wolle seine Landsleute aus dem Zustand der Hoffnungslosigkeit wachrütteln. Palach rief die Bevölkerung zum Generalstreik gegen die Besatzer auf. „Sollte die bestehende Zensur binnen fünf Tagen nicht aufgehoben werden, dann werden weitere Fackeln brennen“ hieß es in seinem Schreiben, das er mit „Fackel Nr. 1“ unterzeichnete. Es wurde via „Radio Liberty“ verlesen. Der Prager Frühling sei keinesfalls mit der Besetzung durch die Staaten des Warschauer Paktes vorüber gewesen, betonte Professorin Martina Winkler von der Kieler Universität im Gespräch mit Sabine Stach über Heldentum und Opferbereitschaft. „Es war ein schleichender Säuberungsprozess der Reformen und ihrer Anhängerschaft. Die gewährten Freiheiten wurden Schritt für Schritt wieder beschnitten. So wurde die Versammlungsfreiheit peu à peu abgeschafft“, nennt Winkler ein Beispiel.

Auch wenn keine Gruppe um Jan Palach existierte, brannten schon wenige Wochen nach seinem Tod die Fackeln Nr. 2 und Nr. 3. Das Regime der CSSR habe die Erinnerung an Jan Palach unwiederbringlich auslöschen wollen, sagt Sabine Stach, so sei sein Grab in Prag 1973 entfernt, sein Leichnam exhumiert, erneut verbrannt und die Asche in einer Urne in seinem kleinen Heimatort beigesetzt worden. Wie sehr die Ereignisse bis heute die Tschechen bewegen, beweisen die zahllosen Gedenkveranstaltungen zum 50. Todestag Palachs in Prag. Auch jetzt sei es zu zwei versuchten Selbstverbrennungen gekommen.

Nicht nur in Prag gelte Palach, der mit seinem Tod etwas verändern wollte, als Vorbild des zivilgesellschaftlichen Widerstands gegen die vorherrschende Gleichgültigkeit und Politikverdrossenheit und gegen den amtierenden Präsidenten der Republik Tschechien, Milós Zeman. Als der Märtyrer am 19. Januar seinen schweren Brandverletzungen erlag, da strömten bis zu 200 000 Menschen auf den Wenzelsplatz, nicht anders sah es fünf Tage später bei Palachs Beerdigung aus. 700 Kranzschleifen zeugen von der überwältigenden Anteilnahme der Bevölkerung. Die demonstrierenden Menschen seien damals gewaltsam auseinander getrieben worden, berichtet Stach. Denn an der Prager Karlsuniversität hatten die Demonstrierenden die Büste Lenins demontiert und dafür die Totenmaske Jan Palachs angebracht.

Schock bald verflogen

Die Niederschlagung des Prager Frühlings im August 1968 und Palachs Selbstverbrennung im Januar 1969 schockierte die westliche Welt lediglich für einen Wimpernschlag der Geschichte. Susanne Schattenberg, Direktorin der Forschungsstelle Osteuropa, bestätigte am Rande der Veranstaltung das, was der prominente tschechische Filmproduzent Jan Mojto schon vor einigen Monaten anlässlich der Vernissage einer Foto-Ausstellung zum Prager Frühling in der Oberen Rathaushalle moniert hatte.

In den Augen der westlichen Studentenbewegung von 1968 konnte nicht sein, was nicht sein durfte. Das galt im Übrigen nicht nur für deren gleichgültige bis kritische Haltung gegenüber dem Prager Frühling, dessen Protagonisten für einen „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ stritten, sondern auch für ihre unkritische Haltung gegenüber dem später als Massenmörder entlarvten „Großen Vorsitzenden“ Mao. „Da trafen zwei völlig verschiedene Welten aufeinander. Für die einen war der Kommunismus Verheißung, für die anderen ein Völkergefängnis“, resümiert Susanne Schattenberg. In der Forschungsstelle Osteuropa ist auch ein Exemplar der Palach-Biografie von Jiri Lederer zu finden, die 1982 auf Deutsch erschien und mittlerweile vergriffen ist. Das Anliegen von Susanne Stach besteht darin, diesen weißen Fleck der Geschichte sichtbar zu machen.

Jan Mojto und Studentenführer Rudi Dutschke hatten, als sie sich trafen, keinerlei Draht zueinander, wie der Filmproduzent vor einigen Monaten in Bremen erzählte. Jan Mojto hat Erfolgsfilme wie „Babylon Berlin“, „John Rabe“, die „La Bohème“-Version mit Anna Netrebko und Rolando Villázon sowie den aktuell für den Oscar nominierten Film „Werk ohne Autor“ produziert, um nur einige zu nennen. Ebenfalls für den Oscar ist Regisseurin Agnieszka Holland nominiert worden. Ihr Film „Burning Bush - Die Helden von Prag“, ebenfalls von Mojto produziert, rekapituliert den tragischen Tod Palachs und seine Folgen auf bewegende Weise. Auch „Die Helden von Prag“ wurden im Foyer des Theaters am Goetheplatz gezeigt. Produziert wurde der Film von Jan Mojto.

Jeder Mensch hat nur ein Leben

Und noch eine direkte, spannende Verbindung gibt es zwischen den Protagonisten des Prager Frühlings und der Forschungsstelle Osteuropa. Der exilierte kommunistische Publizist Jiri Pelikán, der später in Rom lebte, trug die Idee der Gründung eines solchen Instituts an den damaligen Bundeskanzler Willy Brandt heran. Der ließ wiederum in der Runde der Ministerpräsidenten nachfragen. Bürgermeister Hans Koschnick holte die Forschungsstelle Osteuropa an die Universität Bremen.

Eines hat Susanne Stach indes besonders bewegt: Als sie an ihrem Buch arbeitete, sei es auch während des arabischen Frühlings zu Selbstverbrennungen aus Verzweiflung gekommen, sagt sie. Jeder Mensch hat nur ein Leben. Jan Palach hat seines vor 50 Jahren für die Freiheit und die Demokratie gegeben.

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