Der Überfall auf den AfD-Bundestagsabgeordneten Frank Magnitz unterscheidet sich von anderen Fällen durch seine Darstellung: Auf der einen Seite legen die Ermittler Teile ihrer Ergebnisse offen, auf der anderen Seite deuten die AfD und Magnitz selbst den Fall öffentlich. Der WESER-KURIER stellt beides gegenüber, zusammen mit einer Einordnung des Bremer Kommunikationswissenschaftlers Christian Pentzold.
Die Berichterstattung: Schnelligkeit statt Faktenlage
Die Bremer Polizei meldete den Überfall auf den AfD-Bundestagsabgeordneten Frank Magnitz am 7. Januar kurz vor 20 Uhr. Für eine Reaktion brauchte der AfD-Landesverband nur wenige Minuten: Um 20.38 Uhr postete er eine kurze Nachricht („feiger Überfall“) mit Verweis auf die Nachricht auf der WESER-KURIER-Homepage. Um 22.48 Uhr und um 23.04 Uhr folgten zwei ausführlichere Nachrichten, die spätere mit dem Foto von Magnitz’ Kopfwunde, die seitdem allein auf Facebook mehr als 28 000 Mal geteilt worden ist.
Kommunikationswissenschaftler Christian Pentzold vom Zentrum für Medien-, Kommunikations- und Informationsforschung der Universität Bremen sagt, vor allem die detaillierte Darstellung des Tathergangs sei bewusst gewählt. „Das passt in das Grundnarrativ der AfD.“ Durch die schnelle Stellungnahme habe sie sich eine Deutungshoheit der Geschehnisse zu eigen gemacht. Das macht er an zwei Dingen fest: der umgehenden Reaktion und der darin verwendeten Wortwahl. „Die AfD ist Vorreiter der schnellen Kommentierung“, sagt Pentzold. Die eigentliche Faktenlage werde nicht abgewartet, vielmehr werde eine Deutung der Ereignisse so schnell wie möglich über die sozialen Medien verbreitet. Diese Medienstrategie verfolgten inzwischen allerdings die meisten Parteien.
Drei Begriffe in der ersten Erklärung der AfD hebt Pentzold besonders hervor: Mordanschlag, Hetze und Demokratie – Schlüsselwörter, die auch in anderen Zusammenhängen von der AfD genutzt würden: „Sie ermöglichen gewisse Vorstellungen der Tat.“ Der Verweis auf einen Mordanschlag suggeriere eine Tat aus niederen Gründen. Im Gegensatz zu einem Raubüberfall entstehe so das Deutungsmuster, Magnitz sei wegen seines politischen Amtes angegriffen worden. Gerade der Begriff Hetze werde in der Öffentlichkeit meist im Zusammenhang mit der AfD diskutiert. „In dieser Mitteilung dreht die Partei den Spieß um.“ Daraus lassen sich laut Pentzold typische AfD-Standpunkte ablesen: Die AfD sei Opfer und sie spreche Wahrheiten aus, die andere nicht wahrnehmen wollten.
Der Ablauf der Tat: Widerspruch durch Aufzeichnung
Detailliert schilderte die AfD den Ablauf des Überfalls schon wenige Stunden nach der eigentlichen Tat. "Unser Landesvorsitzender und Bundestagsabgeordneter Frank Magnitz ist am Montag von drei vermummten Männern angegriffen worden. (...) Mit einem Kantholz schlugen sie ihn bewusstlos und traten weiter gegen seinen Kopf, als er bereits am Boden lag. Dem couragierten Eingriff eines Bauarbeiters ist zu verdanken, dass die Angreifer ihr Vorhaben nicht vollenden konnten." So lauteten die zwei Mitteilungen der Partei bei Facebook am späten Montagabend. Magnitz selbst sagte gegenüber dem WESER-KURIER und anderen Medien später dagegen, dass er keine Erinnerung an den Überfall habe. Bei der Darstellung des Hergangs berufen sich Magnitz und die AfD auf die Aussagen der Bauarbeiter gegenüber Magnitz kurz nach der Tat.
Eine Überwachungskamera des Theaters hat den Überfall aufgezeichnet. Nach den Auswertungen der Aufnahmen sagte Frank Passade, Sprecher der Staatsanwaltschaft, am Mittwoch: "Im unmittelbaren Tatgeschehen ist kein Kantholz und auch kein sonstiger Gegenstand zu sehen.“ Ebenfalls sei auf dem Video zu sehen, dass der Politiker von einem der drei Täter von hinten angesprungen worden und daraufhin zu Boden gegangen sei. Dass die Täter dem auf dem Boden liegenden Magnitz gegen den Kopf getreten hätten, ist laut Passade auf dem Video nicht zu erkennen. „Die Täter sind nicht stehen geblieben, sondern sofort nach dem Angriff geflohen.“ Sowohl Magnitz als auch die Bauarbeiter sind am Dienstag vernommen worden. Zu Details gibt die Staatsanwaltschaft keine Auskunft.
Medienwissenschaftler Christian Pentzold bewertet die Darstellung der AfD in ihren Mitteilungen als Versuch der Partei, eine möglichst realitätsnahe und plausible, aber gleichzeitig emotionale Darstellung der Ereignisse zu liefern. „Je mehr Details, desto wahrhaftiger klingt ein solcher Bericht.“ Die Mitteilung der Partei suggeriert laut Pentzold, Magnitz habe die Tat als Augenzeuge beschrieben.

Die Verletzung: Schläge mit oder ohne Kantholz
Über Facebook veröffentlichte die AfD Bremen um 23.04 Uhr am Montagabend außerdem ein Bild von Magnitz aus dem Krankenhaus, das die blutige Platzwunde auf seiner Stirn zeigt. Außerdem habe er unter anderem Prellungen an seinem linken Knie, sagte der Politiker gegenüber dem WESER-KURIER. Die AfD blieb am Mittwoch auf Nachfrage auch nach Bekanntwerden der Video-Auswertungen bei ihrer Theorie des Niederschlags mit einem Gegenstand und beruft sich auf Aussagen der Ärzte und Bauarbeiter. „Für uns ist nicht aufgeklärt, woher die Verletzung stammt“, sagte Vize-Landesvorstand Thomas Jürgewitz.
Für die Staatsanwaltschaft ist nach der Videoauswertung klar, dass sich Magnitz bei seinem Sturz verletzt hat. „Man sieht, dass Herr Magnitz seines Weges gegangen ist und dabei die Hände in den Taschen hatte, auch bei der Tat“, sagte Sprecher Frank Passade. Die Aufnahmen belegten, dass Magnitz durch den Schlag von hinten ziemlich schnell stürzte. „Er konnte sich nicht mehr abstützen.“
Das Motiv: Ermittlungen in alle Richtungen
Der Anfangsverdacht der Staatsanwaltschaft lautete aufgrund der ersten Hinweise zum Tatgeschehen zunächst auf versuchten Totschlag. Dieser wurde nach Ansicht des Videos dann in den Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung abgemildert. In der ersten Polizeimeldung vom Montag hieß es noch, „aufgrund der Funktion des Geschädigten ist von einer politischen Motivation der Tat auszugehen“. In den weiteren Mitteilungen fehlte dieser Hinweis. „Das politische Motiv ist eine Möglichkeit, das muss aber nicht so sein. Wir ermitteln in alle Richtungen“, sagte Staatsanwaltssprecher Frank Passade.
Die AfD hält die Tat nach wie vor für deutlich politisch motiviert. Die AfD-Vorsitzenden Alexander Gauland und Jörg Meuthen sprachen von einem „Mordversuch“, auch Frank Jürgewitz verwendete diesen Begriff im Gespräch mit dem WESER-KURIER am Mittwoch noch einmal. Die Tat sei „das Ergebnis rot-grüner Hetze“, „nicht nur die Linken, sondern auch SPD und die Grünen unterstützen die ,Antifa‘ und ihre Angriffe“, hieß es in den Facebook-Posts der Bremer AfD schon am Tag der Tat und man werde die Reaktionen der anderen Parteien genau beobachten.
Genau darauf hätten Politiker dann reagiert, sagt Medienwissenschaftler Christian Pentzold. Dass Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier einen Brief an Magnitz verfasst habe, deute auf die Annahme hin, Magnitz sei als Amtsträger angegriffen worden. Die Aussage, es handele sich um eine politisch motivierte Tat, habe andere Politiker in Zugzwang gebracht.