Auf den ersten Blick war es eine Niederlage für die Fans von Hertha BSC. Der von ihnen am vergangenen Freitag initiierte Eilantrag gegen das vom Bremer Ordnungsamt ausgesprochene Fanmarschverbot wurde vom Verwaltungsgericht abgelehnt. Doch langfristig könnte es trotzdem ein Sieg für die Fußballanhänger werden. Denn die Verwaltungsrichter sehen durchaus Klärungsbedarf in Sachen Fanmarschverbot. Ob das Gericht damit tatsächlich „deutliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verbots“ äußerte, wie es die Grün-Weiße-Hilfe, ein Unterstützerverein der Werder-Fans, formuliert, mag dahingestellt bleiben. Eines jedoch können die Gegner des Verbotes bereits heute als Erfolg verbuchen: Das seit Jahren in Bremen praktizierte Verfahren kommt grundsätzlich auf den Prüfstand.
Seit 2010 werden aufgrund einer Gefahrenprognose der Polizei bei einigen Heimspielen von Werder Bremen für die Anhänger der Gästeclubs, die mit der Bahn anreisen, Fanmarschverbote verfügt. Sie dürfen dann nicht zu Fuß durch die Innenstadt zum Spiel gehen, sondern werden am Bahnhof von der Polizei zu Shuttle-Bussen geleitet, die sie direkt zum Weserstadion bringen und nach dem Spiel zurück zum Bahnhof. Was nach Bremer Lesart aber „primär“ nur für die „aktive Fanszene“ gilt. Der sogenannte Normalfan müsse die Shuttle-Busse nicht benutzen.
Verbote bei Spielen mit "erhöhtem Gewaltpotenzial"
Zunächst beschränkten sich die Verbote auf die Partien gegen den HSV und Hannover 96, sogenannte Rotspiele. Inzwischen gelten sie auch bei „Gelbspielen“, Partien, bei denen die Polizei von einem „erhöhten Gewaltpotenzial“ ausgeht. Laut Innenbehörde gab es 2019 bislang sechs Fanmarschverbote.
Die Reglung geht auf Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) zurück. Der hatte zu Beginn seiner Zeit als Senator Polizeikräfte bei einem Fanmarsch begleitet. „Danach war mir klar, dass ich so etwas nie wieder in Bremen sehen wollte: Mehrere Tausend grölende, teils angetrunkene Fans, die durch die Innenstadt zogen, Böller abbrannten, Sachbeschädigungen begingen und Flaschen, Tüten und Abfall einfach fallen ließen“, erinnert sich Mäurer. „Eine Zumutung für die Bevölkerung.“
Als „unschöne Bremer Besonderheit“ bezeichnet Anwalt Torsten Kellermann die Fanmarschverbote. Er hatte im Auftrag von Berliner Fans versucht, das Verbot per Eilantrag zu kippen. Wie die Gäste aus Berlin das Bremer Verbot sehen, bringt Fritz Müller von der Fanhilfe Hertha BSC auf den Punkt: „Die Zustände am Hauptbahnhof gleichen einer Freiheitsberaubung.“ Als Bremer würde er sich für diesen Umgang mit Gästen der Stadt schämen, betont Müller. „Die meisten anderen Bundesligastandorte zeigen sich wesentlich gastfreundlicher.“
Leo Brock von der Grün-Weißen-Hilfe greift diesen Gedanken auf: „Im Grunde heißt das doch: ,Steigt in den Bus, kauft eine Bratwurst und dann haut wieder ab.' Das ist nicht die Gastfreundschaft, die man eigentlich von Bremen gewohnt ist.“ Die Sehenswürdigkeiten einer fremden Stadt gehörten für viele Fußballfans zum Gesamtpaket.
Unkonkrete Allgemeinverfügungen
Darüber hinaus hält Brock die Fanmarschverbote auch aus juristischer Sicht für unhaltbar. „Haarsträubend, wie sich Ordnungsamt und Polizei im Auftrag des Innensenators die Gesetze hinbiegen, um schwere Eingriffe in die Grundrechte von Fußballfans vorzunehmen“, sagt er. Viel zu wenig konkret seien die Allgemeinverfügungen des Ordnungsamtes gefasst: Wen genau trifft das Verbot? Darf wirklich kein einziger Fan in die Innenstadt? Wie genau lautet der rechtliche Rahmen, woran muss sich auch das Ordnungsamt halten? „Das hätten wir alles gerne geklärt“, sagt Brock weiter.
Womit er aufgreift, was das Verwaltungsgericht der Innenbehörde am Freitag ungeachtet der Ablehnung des Eilantrages ins Stammbuch schrieb: Die Ablehnung resultierte allein aus dem bestehenden Zeitdruck. Die Richter sahen sich in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit – der Fanmarsch der Herthaner sollte nur einen Tag später am Sonnabendnachmittag veranstaltet werden – nicht in der Lage, die Rechtmäßigkeit des Verbots an sich zu beurteilen. Deshalb mussten sie eine Folgenabwägung vornehmen und entschieden sich angesichts der von der Polizei erwarteten 180 gewaltbereiten oder sogar gewaltsuchenden Fans aus Berlin letztlich für die Aufrechterhaltung des Fanmarschverbots. Insgesamt wurden 800 Hertha-Fans erwartet.
Zugleich sah aber auch das Gericht offene Fragen. Klärungsbedürftig sei unter anderem, ob die Allgemeinverfügung des Ordnungsamtes im Hinblick auf den Begriff „Fanmarsch“ hinreichend bestimmt ist. Und ob davon auch kleinere Gruppen erfasst würden. „Im Übrigen ist fraglich, ob die Verfügung im Hinblick auf die durch die Verbotsverfügung folgende Einschränkung für alle nicht-gewaltbereiten Fangruppen verhältnismäßig ist.“
Dies alles will Torsten Kellermann jetzt grundsätzlich klären lassen. „Es ist sehr wahrscheinlich, dass wir ein Hauptsacheverfahren anstreben werden, um diese Fragen zu klären“, kündigte der Anwalt an. Wobei das Ziel ausdrücklich nicht laute, das Fanmarschverbot grundsätzlich zu kippen, betont er. „Aber es muss doch möglich sein, in Kleingruppen mit dem Zug anzureisen und dann mit Freunden auch die Stadt zu besuchen oder den Freimarkt.“