Mit der Corona-Pandemie ist die lange schwelende und vornehmlich ideologisch begründete Kontroverse um die Erstaufnahme für Geflüchtete zunehmend sichtbar geworden. Dabei hat eine kleine, lautstarke Gruppe das „Lager Lindenstraße“ schon lange vor Corona angeprangert, als ginge es um Moria auf Lesbos: 20.000 Menschen leben dort im Dreck, ausgelegt ist das Lager für 3000. In Vegesack leben 380 Menschen, Platz ist für 750.
Beschäftigte der Lindenstraße werden nun pauschal als rassistisch diffamiert: Sozialarbeiterinnen, Sicherheitskräfte, Dolmetscher, Ärztinnen und Catering-Mitarbeiter, die Tag für Tag Flüchtlinge beraten, versorgen und betreuen. Vermeintliche Beweise in Bildern und Videos aus der Einrichtung zeigen eine inszenierte Wirklichkeit. Wider besseres Wissen werden Willkür und Gewaltexzesse heraufbeschworen, während in Wahrheit Gewaltschutzkonzepte und systematische Deeskalationstrainings das Klima prägen.
In martialischer Rhetorik wird die Lindenstraße bei Demonstrationen und in Sozialen Medien auf eine Stufe gestellt mit den Sklavenlagern in Libyen. Menschen, die mit ihrem ganzen Verantwortungsbewusstsein und viel persönlichem Engagement einem gesetzlichen Auftrag nachkommen, werden schließlich mit Strafanzeigen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen psychisch unter Druck gesetzt. Corona kommt nun oben drauf.
Erstaufnahme wird professionell geführt
Der Gebäudekomplex mit fast 200 Zimmern ist eigens für die Aufnahme Geflüchteter hergerichtet worden. Unter Aufsicht der Sozial- und der Gesundheitssenatorin wird die Erstaufnahme professionell geführt, und auch in Corona-Zeiten ist eine vollständige Schließung schon mangels realistischer Alternativen keine Option. Wer allen Ernstes meint, Menschen, die gerade aus Syrien oder Afrika eingereist sind, wären derzeit dezentral besser aufgehoben, wo weder medizinische noch sozialpädagogische Betreuung sicherzustellen ist, der lebt in einer anderen Welt.
Strategie des Senats ist es, schutzbedürftige Personen aus der Lindenstraße in kleineren Einrichtungen unterzubringen, die Belegungsdichte spürbar abzusenken und Geflüchtete sowie Beschäftigte auf das Virus zu testen, auch wenn sie symptomfrei sind. Als letzte Maßnahme verhängt das Gesundheitsamt Quarantänemaßnahmen. Das alles läuft seit Wochen bundesweit nach ähnlichen Muster, und es wird weder besser noch schlechter, wenn man versucht, die Handelnden vor Ort zu demoralisieren. Bremen wird weiter Geflüchtete aufnehmen. Dazu brauchen wir auf lange Sicht weiterhin auch die Lindenstraße.
Unsere Gastautorin ist seit Sommer 2011 Sozialsenatorin in Bremen. Zuvor war sie über viele Jahre Mitglied der Bürgerschaft. Sie ist verheiratet, hat zwei Kinder und lebt in Bremen-Walle.