Frau Specht-Riemenschneider, hätten Sie sich beleidigt gefühlt durch die Äußerungen, der sich die Grünen-Politikerin Renate Künast ausgesetzt sieht und die das Landgericht Berlin als nicht beleidigend wertet.
Louisa Specht-Riemenschneider: In jedem Fall. Alle Medienrechtler sind aus allen Wolken gefallen. Das Urteil ist mit den Grundsätzen des Äußerungsrechts nicht vereinbar.
Verletzen schlimmste Herabsetzungen und übelste Beleidigungen in Fäkalsprache die Würde des Menschen?Sie verletzen meines Erachtens jedenfalls das sogenannte allgemeine Persönlichkeitsrecht, das aus der Menschenwürde und der allgemeinen Handlungsfreiheit, Artikel 1 und 2 des Grundgesetzes, hergeleitet wird. Ob ich etwas sagen darf oder nicht, hängt zwar immer von einer Einzelfallentscheidung ab. Wesentlich ist aber meines Erachtens die Tatsache, dass zumindest Formalbeleidigungen und Schmähkritik nicht getätigt werden dürfen.
Können Sie das näher erläutern?Von einer Formalbeleidigung spricht man, wenn sich die Beleidigung bereits aus der Form oder den äußeren Umständen der Äußerung ergibt. Das ist regelmäßig der Fall bei Schimpfworten, die eine selbstständige Herabsetzung enthalten wie: „Sie sind ein Vollidiot“. Schmähkritik liegt vor, wenn die Äußerung nicht mehr auf eine Auseinandersetzung in der Sache gerichtet ist, sondern allein auf die Herabsetzung des Betroffenen. Zumindest bei Fäkalbeleidigungen, bei sexualisierten Beleidigungen oder auch bei einem Aufruf zur Vornahme sexueller Handlungen liegen meines Erachtens deutliche Fälle der Formalbeleidigung oder der Schmähkritik vor.
Ehrlich gesagt kann ich das auch nicht nachvollziehen. Das Berliner Landgericht sieht die Aussagen als mit Sachbezug getätigt, weil sie sich auf einen Redebeitrag von Frau Künast in einer politischen Diskussion bezögen und daher nicht allein auf die Diffamierung von Frau Künast gerichtet seien. Das halte ich aber für falsch.
Muss sie als Politikerin das hinnehmen?Politiker müssen sich mehr gefallen lassen als andere, in der Rechtsprechung wird auch die Rolle der Person in der Öffentlichkeit gewürdigt. Man darf scharf kritisieren, man darf auch einprägsame, starke Formulierungen wählen. Die Grenze zur Unzulässigkeit der Äußerung ist aber überschritten, wenn Ausdrücke gebraucht werden, die wegen ihrer kritischen Abwertung allein als Schimpfwörter empfunden werden. Das ist hier meines Erachtens ganz klar der Fall.
Haben Sie Beispiele zum Vergleich?Das Wort „Drecksau“ wurde in der Rechtsprechung als unzulässige Formalbeleidigung erachtet, das Wort „Halsabschneider“ ebenfalls. Natürlich ist das immer eine Beurteilung anhand der konkreten Einzelfallumstände, aber wenn Sie sich die Beschimpfungen einmal ansehen, die Frau Künast erdulden musste, dann ist mir schleierhaft, wie man hier dazu kommen kann, dass die Äußerungen zulässig sein sollen.
Eine strafbare Beleidigung liegt vor im Falle der vorsätzlichen Kundgabe einer Missachtung oder Nichtachtung, wenn man also jemanden herabsetzen will, seinen Ruf schädigen will. Im Fall Künast ist das meines Erachtens bei der Mehrzahl der Äußerungen ganz klar der Fall.
Macht es einen Unterschied, ob Aussagen im öffentlichen Raum, von Angesicht zu Angesicht oder anonym im Netz getroffen werden?Theoretisch sollte dies keinen Unterschied machen, tatsächlich ist der Unterschied aber erheblich. Denn Äußerungen im Netz können wesentlich schwerer verfolgt werden. Das liegt daran, dass ich mich im Netz auch unter einem Pseudonym äußern kann, meine wahre Identität also nicht offenlegen muss.
Brauchen wir neue rechtliche Regelungen?Ja. Ich sehe insbesondere Handlungsbedarf bei Fragen der Rechtsdurchsetzung. Der Gesetzgeber sollte vor allem den Auskunftsanspruch verbessern. Man könnte sich dabei am Urheberrecht orientieren, wo es das bereits gibt.
Genau. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, das nicht so schlecht ist, wie es oft dargestellt wird, wird jetzt reformiert. Man sollte hier die Möglichkeit nutzen, effektiven Rechtsschutz für den Betroffenen zu gewährleisten. Es gibt aber auch schon einige positive Regelungen, zum Beispiel sind Plattformen im Internet, die oftmals in einem anderen Land ihren Sitz haben, verpflichtet, einen Ansprechpartner in Deutschland zur Verfügung zu stellen, an den beispielsweise Klagen von Nutzern zugestellt werden können.
Es muss an mehreren Stellschrauben gedreht werden: Erstens: Die Rechtsprechung sollte persönlichkeitsrechtsfreundlicher werden. Zwar ist die Meinungsfreiheit ein hohes Gut, die nicht über Gebühr eingeschränkt werden darf. Es muss aber eine rote Linie in der Kommunikationskultur gezogen werden. Zweitens: Der Gesetzgeber sollte stärker beachten, wie sehr sich die negativen Äußerungen im Internet auf Betroffene auswirken. Äußerungen im Internet beeinflussen ganz anders, verselbstständigen sich und das Netz vergisst nicht. Drittens sollte sich aber auch jeder Einzelne an die eigene Nase fassen und sich fragen, ob er eine schmähende Aussage auch öffentlich, von Angesicht zu Angesicht treffen würde.
Die Fragen stellte Kornelia Hattermann.Louisa Specht-Riemenschneider (34)
ist Inhaberin des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Informations- und Datenrecht an der Universität Bonn und stellvertretende Vorsitzende des Sachverständigenrates für Verbraucherfragen des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz. Die gebürtige Oldenburgerin hat an der Universität Bremen studiert und ist Expertin für Urheber- und Medienrecht.
Weitere Informationen
Müssen wir Hass und Hetze in den sozialen Medien ertragen? fragt der CDU-Landesverband Bremen und lädt für diesen Montag, 25. November, ab 18.30 Uhr ins Übersee-Museum am Bahnhof ein. Mit Professorin Louisa Specht-Riemenschneider soll über rechtlichen Handlungsbedarf diskutiert werden.
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