Altstadt. Kirchenlieder als Protestsongs im Dom? Ja, auch das ist Teil der Ausstellung „Mündig werden! Was ist das? Reformation und Konfirmation“, die noch bis Mitte Oktober im St. Petri Dom zu sehen ist. Henrike Weyh, die Kustodin des Dom-Museums, und Dompastor Henner Flügger haben Bremens Beitrag zur 500-Jahr-Feier der Reformation konzipiert. Im Mittelpunkt steht die Konfirmation.
Mit dem Fest kommen die zumeist 14-Jährigen dem Erwachsenenleben näher. „Den Ausstellungstitel ‚Mündig werden!‘ haben wir aus dem reformatorischen Aufbruch hergeleitet, den Martin Luther ausgelöst hat“, erläutert Henner Flügger. Die Ausstellung hat sieben Stationen und zeigt unter anderem Leihgaben aus dem Focke-Museum und aus der Uni-Bibliothek.
Kirchenlieder als Protestsongs: So lassen sich immer wieder Besucherinnen und Besucher mit Kopfhörern beobachten, die religiöse Protestsongs wie Luthers „Ein feste Burg ist unser Gott“ oder „We shall overcome“ an einer zur Jukebox umgestalteten Orgel hören und kräftig mitsingen. Besonders beliebt sei „Hallelujah“ von Leonard Cohen, weiß Henrike Weyh zu berichten, die eher das Kirchenlied „Herr, deine Liebe“ eines schwedischen Komponisten mit der eigenen Konfirmandinnenzeit in Verbindung bringt.
Populäre Lieder
Martin Luther liebte Musik und schrieb Kirchenlieder wie „Vom Himmel hoch, da komm‘ ich her“, die so populär waren, dass sie auch auf der Straße gemeinsam gesungen wurden. Der Reformator war nicht der Ansicht, dass das Singen in der Kirche ein Privileg von Priestern und Mönchen sein sollte, genauso wenig wie das Predigen und Auslegen des Bibeltextes. So monierte er 1523 die Gestaltung der katholischen Messe mir folgenden Worten: „Allein der Chor der Pfaffen singt!“
Überliefert ist die Anekdote, dass die Lutheraner 1532 mit „Ein feste Burg ist unser Gott“ in Schweinfurt eine katholische Messe niedersangen. „In seinem Bemühen um deutsche Kirchenlieder zeigte er nicht nur Geschick im Übersetzen lateinischer Choräle, er dichtete und komponierte auch selbst“, steht auf einer der auf Deutsch und Englisch verfassten Schautafeln in der Ausstellung.
Luther popagierte das „Priestertum aller Gläubigen“, die Bibel sollte täglich gelesen und auch gelebt werden: Jeder mündige Christ sollte selbst in der Lage sein, die Glaubensinhalte zu verstehen, sie sich anzueignen und sie zu erläutern. Das wurde allerdings erst durch Luthers Übersetzung des Alten Testamentes aus dem Hebräischen und des Neuen Testamentes aus dem Griechischen möglich. Mit der Reformation ging eine Bildungsoffensive einher, auch das macht die Ausstellung deutlich: „Freiheit durch Bildung!“
„Luther wollte, dass die Menschen verstehen, was sie glauben. Daher rührt sein Engagement für die Bildung und so erklärt sich auch der spätere Konfirmandenunterricht“, erläutert Domprediger Henner Flügger. „Bildung sollte kein Privileg der wohlhabenden Schichten mehr sein.“ 1524 habe Luther einen Appell verfasst: „An die Ratsherrn aller Städte deutschen Landes, dass sie christliche Schulen aufrichten und halten sollen.“ Martin Luther trat zudem für das Recht auf Bildung, explizit auch für Mädchen, ein und setzte die Schwerpunkte auf schöngeistige Fächer wie Tanz, Musik, Kunst, aber auch auf alte Sprachen.
Das Bemerkenswerte daran: „Erst 1844 wurde in Bremen die allgemeine Schulpflicht eingeführt. Und erst ab 1910 gab es dann mit der Gründung der ‚Kleinen Helle‘ eine höhere Schule für Mädchen“, wie Henrike Weyh erläutert. Zu Bildungszwecken verfasste der Reformator den „Kleinen Katechismus“, ein Lehrbuch christlicher Inhalte. Darin fasste er die Zehn Gebote, das Glaubensbekenntnis, das „Vaterunser“ sowie die Sakramente zusammen. Während die katholische Kirche sieben Sakramente kennt, beschränkte er sich auf zwei: die Taufe und das Abendmahl. Als Schülerinnen und Schüler des Alten Gymnasiums Edda Bosse, die Präsidentin der Bremischen Evangelischen Kirche, und Bildungssenatorin Claudia Bogedan äußerst kenntnisreich durch die Ausstellung führten, erzählten sie ihnen, dass schon 1528 eine städtische Lateinschule für die höhere Bildung gegründet worden sei, der Vorläufer ihrer Schule.
An eine Wand im Dom können Besucherinnen und Besucher Zettel pinnen, auf denen sie die Lebensfragen beantworten, die in einem Stuhlkreis, wie er im Konfirmandenunterricht üblich ist, gestellt werden: „Was ist Glück?“, „Für wen möchte ich da sein?“, „Was gibt mir Kraft?“, „Was kann ich verändern?“ „Was ist mir wichtig im Leben?“
„Gerade bei unseren Konfirmanden spüren wir, dass in ihrem Leben vor allem Familie und Freunde wichtig sind“, sagt Henrike Weyh. Und das Familienfest der Konfirmation hat sich verändert. „Das Leben feiern!“ ist da zu lesen. „Dies ist meine Lieblingsstation“, betont Henrike Weyh. Das gilt auch für diesen Dialog zwischen Gemeinde und Konfirmanden: „Wir freuen uns, wenn Ihr Eure Gaben entdeckt! Und wir wollen darauf achten, unsere Wünsche nicht mit Euren Fähigkeiten zu verwechseln!“ ist da zu lesen. „Es wäre schön, wenn manche Eltern einmal über diese Sätze nachdenken und sie sich zu Herzen nehmen würden“, sagt Weyh. Domprediger Flügger hat immer wieder beobachtet, dass Schulklassen, aber auch Erwachsenengruppen am Rande der Ausstellung intensiv miteinander ins Gespräch kommen.
Ein Symbol christlicher Gemeinschaft ist der Abendmahlstisch mit beschrifteten Tellern, der auf dem Hochaltar aufgebaut ist. Wer konfirmiert ist, darf auch zum Abendmahl gehen. „Die Konfirmation“, sagt die Kustodin, „vermittelt also zwischen Taufe und Abendmahl.“