
Die kleinen, unspektakulären Dinge, etwas fürs Herz oder den Magen, geraten manchmal ein bisschen aus dem Blick. Vor allem im Schatten der immer höher und rasanter werdenden Fahrgeschäfte. Große Aufregung hat Hochkonjunktur auf dem Freimarkt. Aber auch der eher subtile Nervenkitzel hat seine Fans: Ist mein Los ein Gewinn? Lässt sich der Zufall bezirzen beim Würfeln? Die Jagd nach dem Glück kann den Puls pushen.
„Je größer die Tiere, desto besser finden das die Leute“, sagt Brigitte Kunth. Die Chefin der „Fortuna Verlosung“ hat Teddybären, Plüschtiger und Kuscheleinhörner – in Weiß und in Rosa – im Gewinnsortiment. Und noch viel mehr. Bei Kathleen Franz geht es übersichtlicher zu: Sie hat nur ein Tier im Angebot, Aal aus dem Ammerland. Ihre Gewinne unterscheiden sich nach Größe, geräuchert sind sie alle.
Aale würfeln, das klingt ungefähr so archaisch wie Wikinger-Schach. Bezahlt wird in Euro. 3,50 für drei Würfe. „Abends ist hier der Laden voll“, sagt Kathleen Franz aus Braunschweig, ein Spross der Bremer Schaustellerfamilie Robrahn. Das Würfel-Geschäft sei seit „ungefähr 50 Jahren“ Bestandteil des Freimarkts und der Aal beliebt wie eh und je. „Wenn die Leute über den Freimarkt gehen, achten sie nicht so auf ihre Ernährung“, vermutet die Chefin und ermahnt eine Fisch-Gewinnerin: „Der ist ganz frisch, nicht in den Kühlschrank legen – und nicht im Riesenrad liegen lassen.“
Der einen Glück ist der anderen geschäftliches Risiko. „Die Aale werden jedes Jahr teurer, kann sein, dass sich das bald nicht mehr rechnet. Bei uns wird sehr viel gewonnen“, sagt Kathleen Franz. „Manche würfeln für 3,50 Euro und gewinnen drei Aale, das ist möglich, man steckt nicht drin. Da kriege ich dann schon leichte Herzschmerzen“, gibt sie zu. Aber lange nicht jeder, der den Knobelbecher über ihrer Theke geschwungen hat, geht mit einem Aal unterm Arm vom Markt.
Auch im Verlosungsgeschäft Fortuna kann die Glücksgöttin nicht jedem hold sein. Aber Manfred Kunth flirtet jeden Tag mit ihr. „Bei uns gewinnt jedes zweite Los.“ Die Größe der pinken Flamingo-Clique, der bunten Bären- und Einhornherde in der glitzernden Auslage schätzt er auf 500 oder 600 Tiere. „Das geht alles über die Stückzahl beim Einkauf“, sagt der 60-Jährige: mehr Einhörner, mehr eigener Gewinn.
Am Ende, denn: „Das dauert, bis sich das rechnet, man muss das Geld lange vorlegen.“ Allein die Lücken im Sortiment, die er und sein Sohn Sven an diesem Tag geschlossen haben, „kleine Sachen zum Nachfüllen“, hätten 2500 Euro verschlungen. Was das bedeutet, lässt sich nicht erklären, ohne dass der Chef Betriebsgeheimnisse verraten müsste. Klar ist: Ein Los kostet 25 Cent.
Kathleen Franz gönnt ihren Kunden den Gewinn, auch wenn sie hofft, selbst Glück zu haben. Klein, mittel, groß, die Zuchtaale, wer die richtige Zahl gewürfelt hat, wird mit lautem Handglockengeläut beglückwünscht. Drei Einer bedeutet: großer Aal. Ebenso drei Sechser. „Wir zählen die Würfe mit“, sagt sie, anders gehe es nicht. „Ich kann leider kein Auge zudrücken.“
Trostaal, so was gibt es nicht. Dafür hat sie Lollis unterm Tresen. Und Pläne im Kopf: „Am Mikrofon bin ich richtig gut“, sagt sie, „im Rekommandieren“. Sehr frei übersetzt ist das der Fachbegriff dafür, Marktbesucher schwindelig zu schnacken, damit sie ins Karussell steigen. Wieder auf ein Fahrgeschäft umzusatteln, wie es die Robrahns früher betrieben haben, das könnte Kathleen Franz reizen.
„Wenn die Leute in Gruppen unterwegs und in gelöster Stimmung sind, dann wollen erwachsene Frauen eben plötzlich das große Plüschherz haben, dann müssen ihre Männer Lose kaufen. Die sind auch ganz willig“, erzählt Brigitte Kunth. Abgesehen von heißen Herzen als Dauerbrennern gilt: „Die Leute wollen schon interessante Sachen haben, Mickey Mouse oder Minions.“
„Früher gab es Schlümpfe, und gut“ sagt Manfred Kunth. Er war schon als kleiner Junge auf dem Freimarkt, damals führte noch seine Mutter Helga das Geschäft, das in Hannover zu Hause ist. „Wir sind schon das 59. Mal hier.“ Freie Auswahl, Sondergewinne – das sind die ganz großen Lose. Glücksache eben. „Oft kommen ganze Familien zu uns. Alte Leute und Kinder haben meistens Glück“, sagt Brigitte Kunth. Und beinahe sieht es aus, als zwinkerte sie dabei mit den Augen.
Glück ist ihr Geschäft. Zugegeben: Auch das Pech der anderen ist ein wichtiger Pfeiler ihres Erfolges. Worin das größte Glück besteht? Dass die ganze Familie gesund bleibt, da sind sich die Kunths von der „Fortuna Verlosung“ und Kathleen Franz vom „Aale würfeln“ einig. Im Alltag, wenn man nicht so genau darüber nachdenkt, sind es oft schon die kleinen Dinge, über die man froh sein kann.
Kathleen Franz freut sich darauf, nach dem Freimarkt ihre Helferinnen und Helfer zum Aalessen einzuladen. „Glück ist auch, dass wir beide immer noch zusammen sind“, sagt Brigitte Kunth mit liebevollem Blick auf ihren Mann. Der freut sich alle Tage über eine Errungenschaft, die es überflüssig macht, ständig die Los-Abrisse und Nieten zusammenzufegen: „Ich habe mir letztes Jahr im Baumarkt so einen Laubpuster gekauft ...“