Aus den Boxen des Lautsprecherwagens dröhnt „Last Christmas“. Dieser Song von „Wham“, der für die einen zu Weihnachten gehört wie Spekulatius und der anderen den letzten Nerv raubt. Die äußeren Bedingungen sind an diesem Sonntagvormittag jedenfalls nicht gerade besinnlich – Nieselregen, vier Grad, und die Polizei hat am Bahnhofsausgang zur Bürgerweide groß aufgefahren. 450 Anhänger des VfL Osnabrück werden für das Drittligaspiel gegen Werder Bremen II erwartet. Unter ihnen vermuten die Beamten 60 sogenannte Risikofans, die auf Krawall aus sind. Die Partie wurde aus Sicherheitsgründen vom Platz 11 ins Weserstadion verlegt. Die Bundespolizei fährt eine Null-Toleranz-Strategie. „Wer randaliert, wird das Spiel nicht sehen“, kündigt Sprecher Holger Jureczko an.
Diese Ansage kommt nicht von ungefähr: Am vergangenen Wochenende haben VfL-Anhänger im Bahnhof Hannover die Polizisten angegriffen. Bei dem Zwischenstopp auf der Rückreise von einem Spiel in Jena flogen Dosen Flaschen und Batterien durch die Luft, ein vermummter Osnabrück-Fan wuchtete sogar einen Müllcontainer über den Bahnsteig und versuchte, den Metallbehälter über eine Treppe auf Beamte zu schubsen. Bilder einer Überwachungskamera zeigen, wie die Polizisten daraufhin Reizgas einsetzen. Durch die Auswertung von Zeugenaussagen und die Videoaufnahmen registrierte die Polizei 17 gefährliche Körperverletzungen. Sieben Tatverdächtige seien bereits identifiziert worden, teilte die Bundespolizeidirektion Hannover am Sonntag mit. Gegen sie und einen Rädelsführer sind zum Auswärtsspiel in Bremen Betretungsverbote für Bahnhöfe und Züge erlassen worden. Schon bei der Einfahrt hatten die Osnabrücker in Hannover einen Feuerlöscher aus dem Fenster entleert, die Deckenverkleidung eines Waggons eingeschlagen und die Notbremse gezogen.

Holger Jureczko hat alles im Blick: Aus dem Fenster des Büros der Bundespolizei kann er die anreisenden Fans beobachten.
Friedliche Anreise nach Bremen
Solche Szenen will die Bundespolizei in Bremen unbedingt vermeiden: Am Gleis stehen behelmte Beamte, in der Halle sorgen Metallgatter dafür, dass VfL-Fans und Bremer sich nicht über den Weg laufen. Hinter dem Bahnhof ist eine Wartezone eingezäunt, Shuttle-Busse warten mit laufendem Motor auf die Tour zum Weserstadion. Die Anreise verläuft aber friedlich. Als die Türen des Zugs öffnen, schallt der Schlachtruf „Hier regiert der VfL“ über den Bahnsteig. Mit ausgebreiteten Armen laufen die überwiegend jungen Männer mit lila-farbenen Schals um den Hals zur Treppe. Nach ein paar Minuten ist der Spuk vorbei.
Aus der Zugtür schaut der Schaffner den Osnabrückern hinterher. Auch er ist Fußballfan – das verrät ein kleiner Metallpin an seiner Weste: 1860 München. Der VfL-Anhang habe sich alles in allem gut benommen, erzählt er den Bundespolizisten. „Kein Problem, alles in Ordnung.“ Die Luft im Zug ist feucht und riecht nach Alkohol. Auf dem Boden liegen leere Dosen, Flaschen und Plastiktüten herum. „Aber es scheint alles heile geblieben zu sein“, sagt Holger Jureczko, während er die Abteile abläuft.

Die Monitore zeigen die Bilder der 88 Überwachungskameras im Bahnhof.
Zwischenfall beim Stuttgart-Spiel
Hinter den Metallgattern am Nordausgang des Bahnhofs warten die Osnabrücker geduldig auf die Abfahrt der Busse Richtung Stadion. Hier übernimmt die Landespolizei und jagt dazu Kerstin Ott mit „Die immer lacht“ über die Lautsprecheranlage. Der Nieselregen wird stärker, die Fans leeren schnell ihre letzten Biere und steigen ein.
Über ihren Köpfen verfolgen mehrere Beamte der Bundespolizei in der Einsatzstelle am Bahnhof die Anreise live an den Bildschirmen. 88 Kameras ermöglichen bei Bedarf eine lückenlose Überwachung der Halle und Gleise. Straftaten, die aus einer Menschenmenge heraus begangen werden, können so viel einfacher aufgeklärt werden als früher. Die Erfolgsquote der Bundespolizei lag 2016 im Bereich der sogenannten Rohheitsdelikte, zu denen im Wesentlichen Körperverletzungen und Raub zählen, bei knapp 90 Prozent. Videoaufnahmen seien vor Gericht für beide Seiten ein Gewinn, betont Jureczko. „Früher stand Aussage gegen Aussage – heute können wir genau nachvollziehen, was passiert ist.“
Mit Polizeieskorte rauschen die Fan-Busse durch die Bremer Innenstadt zum Weserstadion. So entspannt wie am Sonntag war am Sonnabend zunächst auch die Anreise der Fans des VfB Stuttgart abgelaufen. Zwei Stunden vor dem Anpfiff kam es am Osterdeich dann aber doch zu einer Auseinandersetzung: Etwa 100 teils vermummte Risiko-Fans aus dem Schwabenland starteten mit lautem Gebrüll am Osterdeich einen Angriff auf Werder-Anhänger. Die Polizei ging dazwischen und wehrte die Attacke nach eigenen Angaben mit Reizgas und Schlagstöcken ab. Es wurde ein Verfahren wegen Landfriedensbruch eingeleitet.
"Am 24. Februar spielen wir Hamburg, meine Perle"
Zu solchen Scharmützeln kommt es am Sonntag nicht. Um halb sechs vermeldet Bundespolizeisprecher Jureczko eine „störungsfreie Abreise“. Das Spiel der zweiten Werder-Mannschaft gegen Osnabrück endet mit 2:2. Musik, so scheint es, wirkt tatsächlich beruhigend. In jedem Fall erscheint der graue Platz am Nordausgang gleich ein bisschen freundlicher. Das Liedgut passen die Beamten übrigens nicht nur der Jahreszeit, sondern auch den jeweiligen Fans an: In dieser Sache ist Bremen ein guter Gastgeber. Und schon jetzt im Dezember weiß Holger Jureczko, was am 24. Februar gespielt wird: „Dann kommt der HSV und wir spielen Hamburg, meine Perle.“
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