Bremen. Die Polizei hat sich mit Amoklauf-Übungen auf den Ernstfall vorbereitet. An den Schulen im Land Bremen sieht die Situation indes anders aus: Wenn es zu einem Amoklauf käme, könnten nur 70 Prozent der Schulen über Alarmierungsanlagen Lehrer und Schüler warnen. Wann in den übrigen Gebäuden nachgerüstet wird, hängt nicht zuletzt vom Geld ab. Eine aktuelle Drohung am Kippenberg-Gymnasium zeigt die Defizite auf.
Alabama, Erfurt, Emsdetten, Erfurt, Winnenden - den Ernstfall eines Amoklaufs, wie er in jenen Orten geschehen ist, mag sich niemand an einer Bremer Schule vorstellen. Doch während sich die Polizei auf solche Krisensituationen vorbereitet, fehlen in vielen Bremer Schulen immer noch die technischen Voraussetzungen für eine Reaktion im Ernstfall. Moderne Lautsprecheranlagen, über die speziell geschulte Lehrer Kollegen und Kinder in Klassenräumen, auf den Fluren, in Nebengebäuden und dem Pausenhof warnen und instruieren könnten, gibt es vielerorts nicht.
'Es ist immer eine Frage finanzieller Mittel', sagt Manfred Ruberg, Sprecher der Bildungsbehörde. Stünden an Schulen Sanierungen an, sollten Lautsprecheranlagen nachgerüstet werden. Das heißt aber auch: Ist eine solche Modernisierung an einer Schule derzeit nicht geplant, kann es mit dem Einbau einer Lautsprecheranlage noch lange dauern. 'Wir hoffen nicht, dass es noch Jahre dauert, aber genaue Termine können wir auch nicht nennen. Es gibt eine Menge Mängel', sagt Ruberg über den Sanierungsstau an vielen der über 200 Bremer Schulen.
Problembewusstsein fehlt
Wie berichtet, hatte die CDU einen Dringlichkeitsantrag an die Bürgerschaft gerichtet mit dem Ziel, möglichst schnell alle Schulen mit Alarmierungssystemen auszustatten. Dass der zuständige Eigenbetrieb - Immobilien Bremen - laut Senat noch immer damit beschäftigt ist, den Ist-Zustand festzustellen, hält der CDU-Bildungspolitiker Claas Rohmeyer für inakzeptabel. Dies könne bestenfalls die Aufgabe für eine Woche sein. Er spricht von 'mangelndem Problembewusstsein'. Im März wird das Thema voraussichtlich in der Bürgerschaft diskutiert. Den Papieren des Senats zufolge ist noch unklar, welche Anlagen den heutigen Anforderungen entsprechen. Auch eine Kostenberechnung fehlt bisher.
Traurige Aktualität hat die technische Ausstattung der Schulen derzeit nicht nur wegen des nahenden Jahrestags des Amoklaufs in Winnenden. Erst vor wenigen Tagen gab es zwei Amokdrohungen an Bremer Schulen. Nach der Amokdrohung am Kippenberg-Gymnasium am Mittwochmorgen versucht die Schulleitung, die Hintergründe aufzuklären. Wie berichtet, hatte jemand eine Drohung an die Tafel einer neunten Klasse geschrieben. Schulleiter Hermann Pribbernow informierte umgehend Polizei und Schulbehörde. Außerdem griff er auf einen Notfallordner zurück, den jede Schule im vergangenen Jahr für solche Fälle zur Verfügung gestellt bekommen hat und in dem systematisch die notwendigen Schritte vorgegeben werden.
Zwei Indizien, auf die er nicht weiter eingehen wollte, führten dazu, dass die Beamten schnell eine 'Echtlage' ausschließen konnten. Unklar ist weiterhin, wer für die geschmacklose Aktion verantwortlich ist. Die Schulleitung des Kippenberg-Gymnasiums fotografierte die Notiz auf der Tafel und hängte das Bild ans schwarze Brett. Darunter steht die Bitte, dass sich Schüler, die die Schrift erkennen, melden sollen. Pribbernow signalisierte gegenüber unserer Zeitung, dass man keine drakonische Strafe aussprechen werde, sondern eine pädagogische Antwort auf die Aktion finden wolle. Denn: 'Dahinter stecken meist ungelöste Konflikte.'
Außerdem plant die Schulleitung den Fall auf einer Dienstbesprechung aller Lehrer gemeinsam mit einem Fachmann der Polizei zu erörtern. 'Aus dem Vorfall ergibt sich für viele Kolleginnen und Kollegen eine Reihe neuer Fragen, die der Notfallordner nicht alle beantworten kann', so Pribbernow. Er bestätigte, dass die Sprechanlage der Schule bereits seit Längerem defekt sei. Auch die Klingel sei in einem Viertel der Räume der Schule gar nicht oder kaum zu hören. Dies hätten mehrere Probealarme gezeigt, die ein Feuer in der Schule simulieren sollten. Demnach bemüht sich die Schule bereits seit dem vergangenen Jahr um eine Reparatur der Sprechanlage. Bislang vergeblich. Die notwendige Verstärkeranlage soll nun voraussichtlich im Zuge des Umbaus der Pausenhalle mit eingebaut werden. 'Ab Sommer soll sie wieder funktionieren.'
Technisch schlecht gerüstet ist auch das Hermann-Böse-Gymnasium. Im historischen Schulgebäude läuten Pausenglocken. Eine Lautsprecheranlage, über die alle Betroffenen im Notfall informiert werden könnten, fehlt noch. 'Der Ersatz ist geplant, aber die Umsetzung ist in einem so alten Gebäude nicht einfach', meint Helmut Hoffmann, Leiter des Gymnasiums. Bis Jahresende rechnet er aber mit dem Einbau. Bis zum Ende des Schuljahres soll zudem am Hermann-Böse-Gymnasium ein Konzept erarbeitet werden, wie man im Notfall vorgeht. Sollten Schüler ihre Klassenräume verlassen oder sich dort sammeln? Was macht man mit jenen, die auf dem Pausenhof sind? Es soll auch beinhalten, wie man die Kinder und Jugendlichen auf Notfälle vorbereitet. 'Wir wollen nicht, dass eine Panik entsteht', betont Hoffmann. Mit dem Blick auf den Schulalltag möchte er auch vermeiden, dass Lehrer und Schüler nur noch mit Angst im Hinterkopf in die Klassenräume gehen. Der Schulleiter: 'Trotzdem muss man gerüstet sein.'
Die Lehrer und Lehrerinnen des Schulzentrums Bördestraße wurden schon lange vor der Katastrophe in Winnenden aktiv. Der Schwerpunkt liegt in der Lesumer Schule mit seinen 1500 Schülern auf Prävention. Soziales Lernen ist hier Unterrichtsfach, für unruhige Schüler gibt es einen sozialen Trainingsraum und eine Sozialpädagogin unterstützt Lehrer wie Schüler. Ein Krisenteam entwickelte zudem einen eigenen Handlungsleitfaden, der auch Amoklagen beinhaltet. Das äußerlich wenig attraktive Gebäude wurde für andere Schulen zum leuchtenden Vorbild.