Die Bertelsmann-Stiftung erklärt das Prinzip in kurzen Sätzen: „Immer weniger Menschen engagieren sich in Parteien oder sind bereit, politische Mandate und Ämter zu übernehmen“, heißt es dort. „Das Bürgerforum ist ein innovatives Format mit dem Ziel, mehr Bürger in Diskussionsprozesse einzubeziehen, sie mit politischen Fragestellungen zu konfrontieren und ihr Interesse an demokratischer Teilhabe zu wecken.“ Ein Konzept, das in Bremen früher oder später Realität werden könnte. Denn im Rot-Grün-Roten Koalitionsvertrag verspricht der Senat die Einsetzung von Bürgerforen zu ausgewählten politischen Fragestellungen. Jetzt wird an der Umsetzung gearbeitet.
Die Frage aber ist: Warum eigentlich? Und wie wichtig sind Bürgerforen? In Bremen gibt es derzeit neben der Bürgerschaft als Hauptorgan der politischen Entscheidung vor allem die Beiräte, in die sich Bürger wählen lassen können oder zu deren Sitzungen sie gehen können. Daneben bestehen auch bei vielen Vorhaben Möglichkeiten der Teil- und Einflussnahme. Und das sind längst nicht alle Wege, um seine Rechte als Erwachsener auszuüben. Letztendlich zeigt die Praxis aber eines: Es wird nicht jeder damit erreicht, manche Bürger bleiben außen vor und ihr Wille bleibt nicht nur bei Wahlen unberücksichtigt. Die Gründe seien verschieden, aber das Ergebnis immer gleich: „Wir erreichen vor allem ein weißes, gebildetes, männliches Bürgertum“, sagt Gesa Wessolowski-Müller, die sich im Rathaus unter anderem um das Thema kümmert.
Seit Juli 2020 leitet sie das Referat Ressortübergreifendes, Stadtteilbezogenes Quartiermanagement und Bürgerbeteiligung. Zuvor war die in Findorff wohnende SPD-Kommunalpolitikerin bereits an verschiedenen Stellen der Bremer Verwaltung eingesetzt. „Die Personen, die oft von sehr vielen Entscheidungen auch mitbetroffen sind, erreichen wir leider oft nicht.“ Zum Beispiel bei der Diskussion um das Rennbahngelände in der Vahr hätten sich kaum Menschen aus politikfernen Schichten an dem langen Entscheidungsprozess beteiligt. „Viele Gruppen sind unterrepräsentiert.“ Die 47-Jährige möchte das für die Zukunft ändern.
„Wir müssen die Instrumente der Bürgerbeteiligung erweitern. Und zwar unter der Prämisse, dass die bisher unterrepräsentierten Gruppen beteiligt werden können“, sagt sie. Ein Weg hierfür seien Bürgerforen, überregional auch Bürgerräte genannt. Entgegen den üblichen Verfahren zur Besetzung der meisten politischen Organe sitzt hier niemand Gewähltes. Alle sind zufällig ausgewählt, um einen repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung der jeweils betreffenden Region abzubilden – also Stadtteil, Stadt oder sogar ein ganzes Land. Dieses kann entweder digital oder als reguläres Treffen ablaufen. Alle gemeinsam erarbeiten dann einen Vorschlag zum jeweiligen Thema und das zuständige Parlament muss diesen bei der Entscheidung berücksichtigen.
„Das wird die Beiräte nicht ersetzen“, sagt Wessolowski-Müller. Die Foren dienen einzig zur Ergänzung und sollen demnächst in Form von Laborversuchen zu Beispielthemen auf Stadtebene erprobt werden. Derzeit ist auch ein bundesweiter Pilotversuch zu Beispielfragen in Entwicklung. 160 Personen der deutschen Bevölkerung werden voraussichtlich in diesem Jahr zusammenkommen. Und in Baden-Württemberg sind Bürgerforen vor einigen Jahren auf Landesebene etabliert worden.
In Bremen wären Thema und Anzahl der Bürger im Forum sicher anders, aber eines bliebe gleich: „Wir müssen jeden Ausgewählten aktiv begleiten“, sagt die Ressortleiterin. „Man kann die Teilnahme ablehnen, aber wir müssen jedem eine Hand reichen, um mögliche Hindernisse zu überwinden, wenn dies gewünscht ist.“ Die Überlegungen des Rathauses würden auch in den Fraktionen auf Zustimmung treffen. „Ich erlebe da eine große Offenheit“, sagt Wessolowski-Müller.
Ein Bürgergutachten zur Entscheidung, ob etwa alle Autos ab 2030 aus der Innenstadt verschwinden sollen, werde es nicht geben. Aber andere Themen, so die Referatsleiterin, böten sich durchaus als Laborversuche für Bürgerräte in Bremen an. Genauere Beispiele gebe es noch nicht. „Es ist ein Aushandlungsprozess, was die beste Option für Bremen ist“, erklärt Wessolowski-Müller. „Wir werden verschiedene Optionen vorschlagen.“ Eines sei dabei entscheidend: „Bürgerbeteiligung lebt davon, dass es auch Gestaltungsspielräume im Sinne der Bürgerinnen und Bürger gibt“, stellt sie klar und erteilt damit utopischen Themen eine Absage.
„Wir haben in Bremen derzeit schon sehr viele etablierte Verfahren, doch die Menschen bekommen das oft nicht mit“, sagt sie. Aber hier gebe es bereits seit Kurzem eine digitale Anlaufstelle zur Abhilfe. Unter www.vorhabenliste.bremen.de findet sich eine Vielzahl von städtischen Projekten und Plänen, an denen die Bürger schon jetzt auf unterschiedliche Weise mitwirken oder auf die sie Einfluss nehmen können.
Das sagen die Fraktionen
Auf Nachfrage des WESER-KURIER äußerten sich auch Mitglieder der Bürgerschaft zum Thema Bürgerforum. Thore Schäck, Mitglied der FDP-Fraktion und Landesvorsitzender, meint: „Bei bestimmten Themen machen Foren durchaus Sinn.“ Dies sei aber eine Einzelfalldiskussion. „Thema und Zeitpunkt für das Forum sind entscheidend.“ Grundsätzlich sei Bürgerbeteiligung immer richtig, sie müsse aber ebenso wie die Bürgerforen zur schnellen Umsetzung beitragen.
Ralph Saxe, Fraktionsmitglied der Grünen, sagt: „Wir sollten da aktiv werden.“ Bürgerforen seien ein geeignetes Instrument, um Vorschläge zu erarbeiten und das Engagement der Bürger an der Demokratie zu erhöhen. „Sie sind Bürgerbeteiligung im besten Sinne.“
Olaf Zimmer aus der Fraktion der Linken hingegen zeigt sich zurückhaltender: „Formen der direkten Demokratie sind immer toll“, beginnt er, schränkt jedoch ein: „Wir haben bereits die Beiräte und Beirätekonferenzen.“ Seiner Meinung nach sollten eher diese in ihren Kompetenzen gestärkt und mit mehr Mittelvollmachten ausgestattet werden. Man könne Bürgerforen zwar gerne einrichten, müsse man aber nicht. „Sie sind kein großer Fortschritt für die Demokratisierung.“ Die SPD- und CDU-Fraktion ließen die Anfragen unbeantwortet.