Vegesack. „Bericht aus der Werkstatt" hat Martin Prange seine Analyse betitelt. Der Bremen-Nord-Beauftragte des Senats macht an diesem Auftaktabend im Vegesacker Bürgerhaus Mut für eine neue Aufbruchstimmung im Stadtbezirk. Denn so schlecht, wie gefühlt, sei die Lage nicht, betont er mit Blick auf die Statistikzahlen an der Wand immer wieder. Im Anschluss an seinen Vortrag sind die rund siebzig Bürger im Saal eingeladen, selbst an der Werkstatt für ein „Integriertes Struktur- und Entwicklungskonzept“ teilzunehmen.
Es gibt in Vegesack keine überdurchschnittlichen Migrantenzahlen. Im Gegenteil, Bremen-Nord hat den geringsten Bevölkerungsanteil von Menschen mit Migrationshintergrund im Vergleich der Stadtbezirke. Die Bautätigkeit im Vergleich zur Innenstadt sei überdurchschnittlich. Das Bauamt Bremen-Nord bekomme trotz Unterbesetzung mehr hin als die Bauverwaltung in der Stadt. Die Zahl der Arbeitsplätze steige. Der Stadtteil werde tendenziell eher jünger. Steile Thesen, aber alle belegbar. Martin Prange hat dem Statistischen Landesamt eine Menge Extraarbeit mit dem Auftrag beschert, doch einmal die Strukturdaten für den Norden aus dem riesigen Datenwust auszulesen. Einige der Faktentafeln sehen gar nicht so schlecht aus.
Aber Prange hat auch die ernüchternden Zahlen mitgebracht: Arbeitslosenraten von bis zu 21,3 Prozent, dazu beziehen etwa in Blumenthal noch einmal 22,7 Prozent der Bevölkerung Hartz-IV-Leistungen. „Man packt es einfach nicht, Strukturumbrüche durch den Wegfall von vielen Tausend Arbeitsplätzen – wie beim Vulkan und der Bremer Wollkämmerei geschehen – einfach so wegzustecken. Das geht nicht einmal in Jahrzehnten“, lautet Pranges Erklärung. Andererseits hat er im ganzen Bremer Norden ein sehr enges Beieinander von Arm und Reich festgestellt: „Wenn man die Grohner Düne aus ihrer Umgebung herausrechnet, kommt man auf eine Sozialstruktur wie in Schwachhausen. Da prallen an einigen Orten unterschiedliche Welten aufeinander. Und das ist schon eine Besonderheit im Bremer Norden, die wir so in anderen Stadtbezirken nicht haben.“
Innere Sicherheit ausgeklammert
Innere Sicherheit ist ein Thema, das der Bremen-Nord-Beauftragte an diesem Abend extra ausklammert. Erst müsse die Polizeireform breit in allen Beiräten diskutiert werden: „Sonst reden wir hier in den Wind“, so Prange. Da spricht er schon lieber zu übergeordneten Themen wie der Imageaufwertung. Man habe hier doch Weltmarktführer wie Lürssen oder Gleistein Ropes: „Damit darf man ruhig etwas selbstbewusster umgehen. Aber die schönsten Imagekampagnen nützen nichts, wenn die Nordbremer nicht selbst anfangen, gut über ihren Stadtteil zu sprechen.“ Dann spricht er über Chancen, etwa durch den Ringschluss der Autobahnen, wenn erst die A 281 fertiggestellt und man plötzlich bestens erreichbar ist.
Prange lobt auch die Strahlkraft der Vegesacker Innenstadt bis ins Umland, sagt aber ebenso, dass man das Haven Höövt als Einzelhandelsstandort nicht wird wiederbeleben können. Ein Elektronikangebot fehle auch im Warensortiment, genauso wie ein großes Sporthaus. In Sachen Gesundheitsbranche müsse angesichts des größten Arbeitgebers Friedehorst in Bremen-Nord noch mehr gehen. Man müsse attraktiver für junge Leute werden, dafür auch wohnungsbaupolitisch weiter voranschreiten und den öffentlichen Personennahverkehr stärken.
Ein allgemeines Ärgernis seien die Probleme mit der Stadtsauberkeit, auch da müsse etwas passieren. Beschäftigungsträger hätten bereits signalisiert, sich kümmern zu wollen. All die neuen Kinder im Stadtteil müsse man integrieren, damit sie eine gute Zukunft hätten: Von acht neuen Ganztagsschulen in ganz Bremen seien vier in Bremen-Nord vorgesehen – das sei auch ein Zeichen. Eine Karte seiner Powerpoint-Präsentation zeigt außerdem eine ganze Reihe gelber Punkte: Standorte für neue Kindertagesstätten. Prange: „Der Senat hat hier trotz der Kassenlage eine aufholende Bewegung eingeleitet.“
Dann kommt ausdrückliches Lob für die ausgeprägte Zivilgesellschaft in Bremen-Nord mit all ihren Vereinen und Initiativen von den Vegesacker Jungen bis zur Willkommensinitiative in Grohn. Prange ist durch die Bank positiv, bekommt aber schon mit der ersten Nachfrage der Werkstatt-Teilnehmer Gegenwind: Kirsten Addicks-Fitschen, Leiterin der Oberschule Lerchenstraße, warnt vor einer gefährlichen Dynamik durch die aktuelle Entwicklung in der Sozialstruktur. Und Cord Degenhard von den „Bürgern in Wut“ aus dem Vegesacker Beirat kreidet Prange gar an, nach Monaten nun gar nicht mit fertigen Konzepten an die Öffentlichkeit zu gehen, sondern nur mit einer Zustandsbeschreibung: „Da hätte ich mir jetzt mehr erwartet.“ Prange kontert umgehend: „Die besten Konzepte nützen nichts, wenn sie vor Ort nicht mitgetragen werden.“
Stattdessen hat er Moderationsprofis mitgebracht und bringt mit ihnen den ganzen Saal in Bewegung. Gruppenweise wandern die Teilnehmer durch den Saal und diskutieren an vier Stationen: Station eins zu Arbeit, Wirtschaft und überregionalem Verkehr, zwei zu Bauen, Wohnen, drei zu Bildung, Soziales und Kultur sowie vier zu Zivilgesellschaft und Identität. Es geht schnell munter zu: Vorschläge werden auf Karten festgehalten und an Stellwände gepinnt. Alles soll in eine große Auswertung einfließen. Prange verspricht: „Wir nehmen alles auf. Hier geht kein Vorschlag verloren.“
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