Jedes Mal, wenn ihn der Drang zum Popeln überkommt, geht ein Kollege von der Süddeutschen Zeitung aufs Klo und nimmt ein Papiertaschentuch zum Bohren. Er bohrt dann richtig tief und schaut sich dabei im Spiegel an. Er tut dies, um sich selbst zu schikanieren. Sein Therapeut soll ihm das empfohlen haben. Jedenfalls schrieb er dies mal in einem Text.
Sich selbst zu ärgern ist offenbar notwendig, wenn man lästige Verhaltensmuster loswerden will. Therapeuten nennen das „die Kosten erhöhen“. Denn der Kollege muss ja erst vom Schreibtisch aufstehen, aufs Herrenklo gehen, das Papiertaschentuch zücken – bis er endlich, endlich einmal kurz in die Nase darf.
Diese Methode soll übrigens auch bei anderen Unsitten helfen, einem Ordnungsfimmel vielleicht. Ich glaube allerdings nicht, dass sie was bringt. Nicht, dass hier Missverständnisse entstehen. Ich popele nicht. Ich habe eine andere Marotte.
Ich rede hier von einer exzessiven Pflanzensucht, gepaart mit einer extremen Kaufwut, begleitet von dem Glücksgefühl, das einen überkommt, wenn man mit acht verschiedenen Kräutersorten, einem Pflanztisch und der Blutjohannisbeere King Edward VII an der Kasse steht und danach noch zweimal in den Laden muss, weil nicht alles für das Schattenbeet auf einen Einkaufswagen gepasst hat, und zum Schluss bei der Verkäuferin fragt, ob man das Pflanzdings kurz bei ihr stehen lassen kann, weil sonst die Kofferraum-Klappe nicht zugeht. Und sie nickt. Ich war damit nie beim Therapeuten. Aber unbewusst, aus einem Bauchgefühl heraus, versuche ich seit Jahren, meine Kosten zu erhöhen: Indem ich meinen Mann zum Pflanzenkauf mitnehme. Denn niemand ist besser geeignet, einem den Besuch in einer Gärtnerei / einem Gartencenter/Baumarkt zu vermiesen als er.
„Was willst du mit dieser Primel?“
„Musst du hier so lange stehen?“, fragt er, wenn man in Ruhe die Schilder mit den Rosennamen studiert. Oder: „Was willst du mit dieser Primel?“ Oder, wenn man endlich einen Mitarbeiter gefunden hat, der einem die Wasserpest zeigen soll: „Können wir jetzt nach Hause gehen?“
Er hat eine unnachahmliche Art, jeden Pflanzenkauf als vollkommen überflüssig erscheinen zu lassen, dass es wirklich zum Abgewöhnen ist. „Dafür willst du Geld ausgeben? Das verwelkt doch eh wieder.“
Und trotzdem wirkt es nicht.
Beim letzten Besuch hat sich der Gatte derart gelangweilt, dass er mit einem Verkäufer ein Gespräch angefangen hat, über Koi-Teiche und Unterwasserbeleuchtung. Er war dann so begeistert, dass ich fürchte, dies könnte die Kosten bald tatsächlich in die Höhe treiben, aber die echten Kosten. Und am Ende bleibt kein Geld mehr für weitere Blutjohannisbeeren. Muss er nächstes Mal doch Zuhause bleiben...
Martin Renz von der Stadtbibliothek Bremen empfiehlt:
. . . Frau Brandt dringendst einen Blick in „Glück Sucht Leben: Die Sucht nach immer mehr und wie wir uns davon befreien können“ von Brigitte Witzer zu werfen (Ariston 2018). Zugegeben, den Mann zum Shoppen mitzunehmen, ist ein kluger erster Schritt, um das Problem in den Griff zu bekommen. Aber reicht das? Offenbar nicht. Also empfehle ich auch gleich noch „Unwiderstehlich“ von Adam Alter (Berlin Verlag 2018). Darin geht es nicht nur um Kauf- und andere Süchte, sondern darum, wie das Design technischer Geräte uns dazu bringt, „auch dann immer weiter zu spielen, zu kaufen, fernzusehen, zu joggen oder zu arbeiten“, wenn es uns schadet, wie ein Bibliothekskollege schrieb. Leider geht der Autor mit keinem Wort auf Unterwasserbeleuchtung ein, aber vieles dürfte übertragbar sein.