Die sehr besondere Theatergruppe von „The next generation“ ist wie eine große Familie. Das ist sofort zu spüren, wenn Leiterin Saher Khanaqa-Kükelhahn ihre rund 30 Schützlinge im Alter zwischen 15 und 25 Jahren vor der Probe herzlich mit Wangenküsschen begrüßt. „Sie kommen von selbst zu uns, so wie Shadi. Und sie wachsen hier über sich hinaus“, betont Khanaqa-Kükelhahn. Shadi, der blasse junge Mann, dessen Stimmgewalt die Zuhörer förmlich umhaut, hat seine ganze Seele in den Song gelegt, den er für das Stück „Und täglich grüßt der Flüchtling“ gemeinsam mit dem jungen Afghanen Nader komponiert hat. Zu hören und sehen am Mittwoch, 6. Dezember, um 19.30 Uhr im Theater am Goetheplatz.
Dann beginnt er in seiner Muttersprache herzzerreißend zu singen von den Albträumen, die ihn plagen, von dem Schmerz, den er nicht hinausschreien kann, und von dem weißen Jasmin, der sich blutrot färbt. In dem Song schwingt die Angst mit, dass er seinen Weg in der Mitte zweier Kulturen nicht finden kann. Der junge Syrer, der vor zwei Jahren nach Bremen kam, singt davon, dass „sein letzter Herzschlag nicht zurückkommen wird“. „Dieses Lied hat so sehr mein Herz berührt, dass ich weinen musste“, sagt Saher Khanaqa-Kükelhahn, die selbst als Kurdin aus dem Irak stammt und im Alter von 17 Jahren nach Deutschland kam.
Selbst geschrieben und inszeniert
Geprobt wird im Keller des Bürgerzentrums Neue Vahr. Noch ist die Theaterpädagogin und Psychologische Psychotherapeutin nicht ganz zufrieden und verpasst einigen Szenen den letzten Schliff. Wie dieser, in der Zeus, in diesem Stück der Schöpfer der Welt, auf die harten Realitäten einer Fleischerei-Abteilung eines Supermarktes trifft und sich mit dem leicht angenervten, pampigen Ton einer Fachkraft herumschlagen muss. Saher zeigt Ariyan alias Zeus, wie er sich auf der Theaterbühne im Brustton der Überzeugung behaupten kann. Und da ist der selbstbewusste Ton auch schon: „Immerhin bin ich ein gut aussehender, sportlicher Typ und habe keinen langen, weißen Bart!“ Die Theaterpädagogin kommentiert kess: „Na, dann kannst du uns auf der Bühne ja eigentlich auch deinen nackten, durchtrainierten Oberkörper zeigen! Lasst uns mal demokratisch darüber abstimmen.“ Ariyan ist alles andere als begeistert: „Ich zahle jedem fünf Euro, der dagegen stimmt.“
Dass Ariyan sich auf der Bühne behaupten kann, ist wichtig, denn das Stück „Und täglich grüßt der Flüchtling“, das die multikulturelle Truppe selbst geschrieben und inszeniert hat, wird am Mittwoch im Theater am Goetheplatz aufgeführt.
Zweifellos eine große Ehre, aber auch Anlass für reichlich Lampenfieber. „Wow!“ war die Reaktion, als die Jugendlichen zum allerersten Mal auf der Bühne am Goetheplatz standen und in den riesigen Zuschauerraum blickten.
Zum Inhalt von „Und täglich grüßt der Flüchtling“: Zeus kann sich nur die Augen reiben, wie intolerant die Geschöpfe, die er erschaffen hat, geworden sind. Galionsfigur dieser intoleranten Zeitgenossen ist Mandy, die jede Menge Vorurteile mit sich herumträgt. Der Göttervater schickt nun drei Flüchtlingsgeister, einen Afghanen, einen Somalier und einen Inder zu ihr auf die Erde, um ihr Manieren beizubringen und sie zum Nachdenken zu bringen. Zu diesem Zweck veranstaltet Zeus ein Casting, in dem der Super-Flüchtling gesucht wird. „Das ist, wie überhaupt der ganze erste Akt, ziemlich lustig und satirisch. Im zweiten Akt wird es dann ernst und sehr dramatisch“, erzählt Khanaqa-Kükelhahn. Denn im zweiten Teil des Stücks muss sich Mandy mit den Dämonen ihrer Vergangenheit auseinandersetzen. Die Vorurteile und Klischees, die sie gegenüber Migranten hat, stammen von ihren Eltern, die in der DDR aufgewachsen sind. Besonders die Konflikte, die sie mit ihrer Mutter austrägt, bewegen sie. Und am Ende steht die Frage: Hat sie alles nur geträumt?
Saher Khanaqa-Kükelhahn ist dem Bürgerzentrum Neue Vahr und dessen Geschäftsführer Martin Ploghöft sehr dankbar, dass sie seit einigen Jahren finanzielle Unterstützung für ihre Theater-Projekte erhält, die zum Teil auch von der Gewoba kommt. Über zwei Jahre gefördert wurden die jungen, engagierten Theatermacher zudem durch das Aktion-Mensch-Projekt „Meine Zukunft – ein Leben mit euch“. Die Theaterpädagogin und Psychologische Therapeutin, die auch selbst im Impro-Theater „Inflagranti“ spielt, hat ihre Schützlinge erfolgreich mit dem Theater-Virus infiziert. Spielerisch lernen sie beim Theaterspielen die deutsche Sprache, auch von den gebürtigen Bremerinnen und Bremern, die bei „Next generation“ mitspielen.
Aktuell kommen die mitwirkenden Schülerinnen und Schülern von den Oberschulen an der Kurt-Schumacher-Allee und an der Julius-Brecht-Allee, aber auch aus den Vorklassen des Schulzentrums Bördestraße und Oberschule Ronzelenstraße. „Das ist der Schlüssel für gelungene Integration“, betont die Theaterpädagogin. Wichtig sei auch, dass die jungen Menschen mit Migrationshintergrund hier auf andere träfen, die das Gleiche durchgemacht hätten. Und: „Das ganze Team ist wichtig. Viele, die hier vor einigen Jahren bei Next generation angefangen haben, arbeiten heute hier als Coaches, die Impulse geben.“ So wie Inez Klimaczak, die mit 13 Jahren bei der Theatertruppe anfing. „Mein Traum war es schon immer, auf der Bühne zu stehen“, betont sie. Bei „The next generation“ stehen seit mittlerweile neun Jahren Moslems, Juden, Christen, Buddhisten, Atheisten, Aleviten und Yesiden gemeinsam auf der Bühne.
Jetzt sichern: Wir schenken Ihnen 1 Monat WK+!