Bremer Woll-Kämmerei Große Pläne für Gebäude 43

Die Bremer Woll-Kämmerei wurde 1915 eingeweiht und hat die Jahrzehnte bis heute als stummer Zeitzeuge überstanden. Nach Jahren des Dornröschenschlafs kommt nun wieder leben in das Gebäude.
26.11.2016, 00:00 Uhr
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Von Ulf Buschmann

Die Bremer Woll-Kämmerei wurde 1915 eingeweiht und hat die Jahrzehnte bis heute als stummer Zeitzeuge überstanden. Nach Jahren des Dornröschenschlafs kommt nun wieder leben in das Gebäude.

Detlef Gorn schwärmt ohne Unterlass. „Schauen Sie sich bloß dieses Gebäude an. Es ist vollkommen symmetrisch“, sagt der Vorsitzende des Fördervereins Kämmereimuseum Blumenthal. Und wuchtig ist es. Gorn gibt die Maße mit 80 mal 20 Metern an, und das auf vier Geschossen. „Macht eine Gesamtfläche von 7000 Quadratmetern.“ Er steht vor dem ehemaligen Sortier- und Verwaltungsgebäude der Bremer Woll-Kämmerei (BWK) mit der Nummer 43. Es heißt schlicht Gebäude 43.

Über dem ehemaligen Haupteingang steht die Zahl des Einweihungsjahres: 1915. Der Schriftzug ist reich verziert, wie es damals üblich war. „Dass zu der Zeit überhaupt noch ein Gebäude eingeweiht wurde, ist aus heutiger Sicht verwunderlich“, meint Gorn, „das war ja schon während des Ersten Weltkriegs.“

Dass sich die Bremer Woll-Kämmerei trotz der „schlechten Zeit“, wie die Leute zu der Zeit sagten, ein neues Sortiergebäude gönnte, kam nicht von ungefähr. Damals wie heute war es nämlich unabdingbar, Wolle vor dem Verarbeiten zu Kammzug zu sortieren. Die schlechten Teile des Wollvlieses werden abgeschnitten und aussortiert. In die Kammzugproduktion kommen nur die besseren Teile.

Je besser die Sortierung, desto besser das Endprodukt – auch diese Losung gilt in der Wollproduktion bis heute. Genauso wie die Notwendigkeit, jedes einzelne Vlies bei Tageslicht anzuschauen. Deshalb gibt es im Dach von „Gebäude 43“ große Fenster. Sortiert wurde also ganz oben. Dies war übrigens meistens die Aufgabe von Frauen. Ebenso wie das Beschneiden der Vliese. Gute und schlechte Teile wurden in Rutschen geschoben und in den Geschossen darunter wieder in Säcke verpackt. Erst dann folgten die nächsten Produktionsschritte.

Produktion immer weiter automatisiert

In den folgenden Jahrzehnten wurde die Produktion immer weiter automatisiert. Im alten Gebäude zog neues Leben ein: die Werkskantine, das Lohn- und das Personalbüro, das BWK-eigene Versorgungswerk und vor allem das Labor. Ab den 1960er-Jahren setzten sich technisch einheitliche Standards für Wolle immer mehr durch. Die Qualität von Kammzügen prüfen bis heute nun wenige Labors rund um den Erdball. In Bremen gab es zwei: das Faserinstitut und das Labor der Bremer Woll-Kämmerei. Ersteres hat seinen Sitz an der Universität. Letzteres ist genauso Geschichte wie die BWK.

Von dieser Zeit zeugt der Zustand des Sortier- und Verwaltungsgebäudes: Die riesigen Sortiertische sind verschwunden; im vierten Stock stehen nur noch drei oder vier in einer Ecke. Einen weiteren gibt es im zweiten Stock. Aber sie alle dienen lediglich dazu, Proben jeder Partie Wolle zu ziehen, damit sie im Labor untersucht werden können. Alte Computerbildschirme und Messgeräte sind dort zurückgelassen worden. Unter der Decke hängen Rohre und Ventilatoren in den Grün- und Orangetönen der 1970er-Jahre.

Über mehrere Etagen erstrecken sich lange Regalreihen. Dort lagen einst die Referenzmuster jeder BWK-Kammzugtype und Proben jeder Partie – bis sie verkauft wurden. Die Regale mit den früher unzähligen Wollmustern markieren den Wechsel in der Geschäftspolitik der Bremer Woll-Kämmerei. Sie wandelte sich in den 1980er-Jahren vom reinen Lohnunternehmen zum Anbieter von Kammzug, Waschwolle für die Streichgarnindustrie und Chemiefaser.

Nach und nach von der Bildfläche verschwunden

Dies war der Marktentwicklung geschuldet, denn die Wollhändler als Hauptkunden der BWK verschwanden nach und nach von der Bildfläche. Dass es einmal in die Richtung gehen würde, war in den 1950er-Jahren nicht zu erkennen. Als das deutsche Wirtschaftswunder in Schwung kam, arbeiteten bis zu 5000 Menschen „auf Kämmerei“, wie die Leute sagten. Damals war viel los im Sortier- und Verwaltungsgebäude. Als der Lohn beispielsweise noch wöchentlich bar ausgezahlt wurde, gab‘s die Tüten mit Scheinen und Münzen im Erdgeschoss. „Lohntütenball“ nannten die BWK-Mitarbeiter das. Sie selbst bezeichneten sich nicht ohne Stolz als „Kämmeristen“.

Damit war es bis Ende der 1970er-Jahre vorbei. Wie überall, wurden Löhne und Gehälter am Monatsende auf die Konten der Mitarbeiter überwiesen. Es wurde ruhiger im Sortier- und Verwaltungsgebäude. Auch mit der Bremer Woll-Kämmerei ging es bergab. Die Rohwoll-Verarbeitung wurde am 27. Februar 2009 nach 125 Jahren komplett eingestellt. Lediglich Chemiefaser wird noch auf einem Bruchteil des Geländes in Blumenthal produziert.

Inzwischen ist dort viel geschehen. Die Wirtschaftsförderungsgesellschaft Bremen, WfB, hat das brachliegende Areal gekauft und vermarktet es seit einigen Jahren – durchaus mit Erfolg, denn inzwischen haben sich einige neue Betriebe in Blumenthal angesiedelt. Nur die Zukunft des Sortier- und Verwaltungsgebäudes ist noch völlig offen. Was dort alles möglich ist, zeigten Kreative im Sommer 2012. „Palast der Produktion“ hieß das Projekt, das die Zwischenzeitzentrale dort auf die Beine stellte. Für einige Wochen hauchten Künstler, Designer und andere dem „Gebäude 43“ wieder Leben ein.

Ausstellungen, Vorträge und Veranstaltungen

Im Erdgeschoss nutzte der Förderverein Kämmereimuseum die Zeit, um seine Ausstellung über die Geschichte der BWK zu zeigen. Vorträge und diverse Veranstaltungen inklusive. Nur einmal im Jahr, zum Tag des offenen Denkmals, dürfen Besucher jetzt noch den Industriebau betreten. Eine generelle Nutzung hat das Bauamt Bremen-Nord untersagt, denn der Gesamtzustand ist „mittelmäßig bis schlecht“. So steht es auf der Internetseite der Zwischenzeitzentrale unter www.zzz-bremen.de. Für Gorn bedeutet das, ohne einen Mitarbeiter der WfB kann er niemanden durch das Gebäude führen – „aus haftungsrechtlichen Gründen“, sagt Sprecherin Juliane Scholz.

Das Kämmereimuseum soll im „Gebäude 43“ eine feste Bleibe bekommen. Doch nicht nur das, Gorn und Mitglieder des Kulturausschusses des Blumenthaler Beirats plädieren dafür, dass 20 Prozent des ehemaligen Sortier- und Verwaltungsgebäudes kulturell genutzt werden. Beim Rundgang um das Gebäude nennt Gorn das Kulturhaus „Brodelpott“ in Walle als Beispiel.

In das „Gebäude 43“ soll nach seinen Vorstellungen nicht nur das Kämmereimuseum einziehen. Es gibt Partner. So macht sich auch die Internationale Friedensschule Bremen für eine teilweise kulturelle Nutzung stark. Sie möchte dort die Geschichte der während des Zweiten Weltkriegs bei der BWK eingesetzten Zwangsarbeiter genauer untersuchen. Gorn kann sich darüber hinaus vorstellen, dass auch die ehrenamtlich geführte Blumenthaler Stadtteilbibliothek in das „Gebäude 43“ einzieht. Und: „Wir brauchen hier unbedingt Angebote für Senioren.“

Ob und wann

Ob das alles überhaupt etwas wird und wann, das weiß zurzeit noch niemand. Gorn lässt den Blick über das Gebäude schweifen. Einzig einige Mitarbeiter der Ziegler Film sind vor Ort. Sie haben die Erlaubnis, hier einen Teil der Innenaufnahmen der ARD-Produktion über das Geiseldrama von Gladbeck und Bremen von 1988 zu drehen.

Rechts daneben, im einstigen Betriebsratsgebäude, ist die Zentrale der BWK-Chemiefaser. Auf der anderen Seite des Geländes fahren Lkw vorbei. Beim Rundgang kommt Gorn auf die Brachfläche links neben dem Gebäude 43 zu sprechen. „Hier finden sich Gräser, die es bei uns eigentlich gar nicht gibt. Klar, wenn man Wollsäcke aus aller Herren Länder ausleert, bleibt natürlich irgendwas zurück“, erinnert er an die Zeit der Kammzugproduktion in Blumenthal im „Gebäude 43“.

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