Religion interessiert niemanden mehr? Von wegen! Das Interview mit Pastorin Isabel Klaus und dem orthodoxen Erzpriester Alexander Bertash hat eine Debatte ausgelöst - vor allem wegen eines Wortes.
Von wegen christliche Kirche und Religion interessieren niemanden mehr – das Doppelinterview mit der evangelischen Pastorin Isabel Klaus und dem russisch-orthodoxen Erzpriester Alexander Bertash hat eine Debatte ausgelöst. Zwei Seiten Leserbriefe hat der WESER-KURIER bisher veröffentlicht – die reichten von harscher Kritik an Isabel Klaus’ Äußerungen bis hin zu Lob und Bewunderung für die Pastorin. Entzündet hat sich die Debatte vor allem an einem Wort: Glaubensmärchen. Als ein solches hatte die Pastorin die Weihnachtsgeschichte bezeichnet. Doch dieses Wort war nur der Ausgangspunkt einer Debatte um Jungfrauengeburt, Glaubensbekenntnisse und wortwörtliche Bibelauslegung. Die Kritiker gehen sogar so weit, Pastorin Isabel Klaus einen anderen Beruf nahezulegen.
"Vernichtende Mails"
Dass sie mit ihren Worten so viel auslöst, hat Isabel Klaus nicht erwartet. „Ich war überrascht, dass man im Jahr 2016 mit der Jungfrau noch einen Shitstorm lostreten kann“, sagt sie. Als das Interview erschien, habe es keine Stunde gedauert, bis die ersten Mails mit großer Empörung bei ihr ankamen, sie persönlich angriffen. Teilweise seien diese Mails vernichtend gewesen. Wie sie damit umgeht? „Ich versuche diese Dinge nicht an mich heran zu lassen.“
In den Leserbriefen werfen Kritiker ihr Heuchelei vor, zweifelten daran, dass sie den richtigen Beruf gewählt habe – der ehemalige Pastor der Bremer Epiphanias-Gemeinde, Bernd Bierbaum, rät Isabel Klaus, „dringendst“ ihre Theologie zu überarbeiten oder ihren Beruf aufzugeben. Sie kenne Bernd Bierbaum nicht persönlich, sagt Isabel Klaus dazu. „Wenn er mir etwas zu sagen hat, kann er mich gerne besuchen, dafür muss er nicht den WESER-KURIER nutzen.“ Derartige Aussagen über sie stünden ihm nicht zu.
Doch auch Unterstützer melden sich zu Wort. Ein Leser schreibt, Isabel Klaus habe naturwissenschaftlich denkende Menschen eingeladen, sich die Bildwelt der Bibel als spirituelle Quelle zu erschließen. Ein anderer bewundert den Mut der Pastorin, religiöse Dogmen zu hinterfragen. Von ihren beiden Pastorenkollegen in St. Remberti erhält Isabel Klaus Rückendeckung, und auch andere Pastoren hätten ihr Unterstützung zugesagt. „Das tut mir gut.“
Kommentar: Kathrin Aldenhoff über den Religionsstreit
Einige sind froh über die Debatte, die Isabel Klaus angestoßen hat. So wie Pastor Ulrich Klein von der reformierten Kirchengemeinde Blumenthal. „Aus meiner Sicht hat Isabel Klaus nichts falsch gemacht. Ich finde es positiv, dass sie einen Diskurs in Gang gebracht hat. Sie hat die Weihnachtsgeschichte ins Gespräch gebracht, Menschen dazu gebracht, sich mit ihr auseinanderzusetzen.“ Das, was sie gesagt habe, sei in der wissenschaftlichen Theologie nichts Neues, in bestimmten Kreisen werde darüber gar nicht mehr diskutiert.
Aber Pastor Ulrich Klein sagt auch, dass die Jungfrauengeburt für viele Gemeindemitglieder ein wesentlicher Punkt in ihrem Glauben ist. „Wenn die in Frage gestellt wird, werden für viele die Grundfeste ihres Glaubens in Frage gestellt.“ Über solche Themen werde in seiner Gemeinde offen diskutiert. Überhaupt müsste mehr miteinander gesprochen werden, sagt Klein. Nur in einem Punkt ist er nicht ganz einverstanden mit Isabel Klaus: Statt Märchen hätte er den Begriff Legende gewählt.
In der Bremischen Evangelischen Kirche (BEK) gibt es eine große Bandbreite an Meinungen. „Diese Vielfalt gehört zur evangelischen Kirche in Bremen“, sagt Bernd Kuschnerus, stellvertretender Schriftführer des Kirchenausschusses in Bremen. In dieser Vielfalt sei Platz sowohl für Isabel Klaus als auch für Bernd Bierbaum. In der evangelischen Kirche sollten sich Menschen ein eigenes Bild davon machen, wie sie zu Glaubensdingen stehen. „Eine Debatte ist immer gut, aber nicht, wenn sie unter die Gürtellinie geht. Ich wünsche mir, dass wir sachlich über Glaubensthemen sprechen.“

Die Weihnachtsgeschichte ein Märchen? Pastorin Isabel Klaus ist nach ihrem Interview im WESER-KURIER heftig kritisiert worden.
Pastor Andreas Schröder von der Matthäus-Gemeinde ist einer von denen, die nicht einverstanden sind mit dem, was Isabel Klaus sagt. Eine Pastorin, die von der Weihnachtsgeschichte als Glaubensmärchen spricht, sägt seiner Meinung nach am Ast, auf dem sie sitzt. „Wie soll jemand die Kirche ernst nehmen, wenn wir an Weihnachten über Märchen predigen?“, fragt er. Die Menschen sehnten sich nach Halt, Werten und Orientierung. Die Überlieferungen aus der Bibel könnten da viele Antworten geben. Aber man könne sich ihnen nicht mit Rationalität nähern. „Sonst verlieren wir, was Gott bedeutet.“ Andreas Schröder findet: Es muss möglich sein, miteinander zu streiten. Die evangelische Kirche sei nun mal eine pluralistische. Und das sei eine Chance.
Erst vor knapp einem Jahr hatte es einen großen Streit in der evangelischen Kirche gegeben, damals ging es um die Predigt von Pastor Olaf Latzel von der St.-Martini-Gemeinde. Am 18. Januar hatte der als konservativ geltende Pastor in einer Predigt das islamische Zuckerfest als „Blödsinn“, Buddha als „dicken, fetten Herrn“ und die Lehre der katholischen Kirche als „großen Mist“ bezeichnet. Reliquien der katholischen Kirche beschimpfte er als „Dreck“.
Damals hatte sich sogar die Bremische Bürgerschaft verpflichtet gefühlt, sich von der Predigt des Pastors zu distanzieren, die Landeskirche kritisierte in einem Papier den Duktus der Predigt. Disziplinarische Schritte und eine Änderung der Kirchenverfassung, um einen Pastor kündigen zu können, lehnte der Kirchenausschuss im Februar vergangenen Jahres zwar ab. Präsidentin Edda Bosse entschuldigte sich aber bei denen, die sich von Latzels Predigt diskriminiert, gekränkt und verletzt fühlten.
Zu den Leserbriefschreibern, die Isabel Klaus heftig kritisieren, gehört wie es scheint auch ein Anhänger von Pastor Olaf Latzel. Er zitiert in seiner Zuschrift den umstrittenen Pastor mit den Worten, wenn alles nur ein Märchen wäre, sei die Kirche nichts als ein Karnevalsverein, und wirbt dafür, sich eine Gemeinde zu suchen, die noch an Gott glaubt.
Jüdische Gemeinde: "Es gibt kein Dogma"
Elvira Noa, Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Bremen, war erschrocken, als sie die Leserbriefe las – „über diesen gewissen Fanatismus, der dahinter steckt“. „Dass Kritiker das Judentum eines Rabbiners wegen einer Text-Auslegung in Zweifel ziehen, wie es einige mit Pastorin Klaus in Bezug auf ihren christlichen Glauben getan haben, das gibt es bei uns nicht.“ Für jede Stelle in der Tora gebe es viele unterschiedliche Auslegungen. Diese unterschiedlichen Auslegungen stünden nebeneinander. „Das ist im Judentum Tradition. Es gibt kein Dogma.“
Propst Martin Schomaker leitet den katholischen Gemeindeverband in Bremen. Er sagt: „Wenn dieses vorweihnachtliche Interview zu einem Diskurs über Glaubensinhalte führt, zeigt das: Glauben und Religion sind auch heute vielen Menschen nicht gleichgültig.“ Wichtig sei allerdings, dass der Dialog sachlich und fair bleibe. Die historisch-kritische Auslegung der Bibel sei in der katholischen Kirche eine selbstverständliche und legitime Methode. „Sie hilft uns, die heiligen Schriften besser zu verstehen als historisch gewachsene Glaubenszeugnisse, die den Menschen auch heute noch etwas zu sagen haben.“ Die Einsicht in die Entstehungsgeschichte der biblischen Texte führe aber nicht dazu, sie als Glaubensmärchen zu bezeichnen.
Pastorin Isabel Klaus würde den Begriff Glaubensmärchen trotz der heftigen, teils persönlichen Angriffe noch einmal wählen. Sie will ihn nicht negativ verstanden wissen. „Wir kennen Märchen von Kindesbeinen an, lieben sie und hängen an ihnen – eben wie Kinder. Wie schön, dass manche biblische Erzählung ebendiese Kraft hat und ebendiesen Zauber verströmt.“ Sie will dem Thema Glaubensmärchen nun einen Abend in ihrem religionsphilosophischen Salon in der St.-Remberti-Gemeinde widmen. Am 10. Juni, eingeladen sind alle. Auch die Kritiker.
Bremer Kirchenverfassung
In Bremen hat es Tradition, dass die evangelischen Gemeinden unterschiedlicher Auffassung sind, was den Glauben und die Lehre angeht. Das steht sogar in der Verfassung der Bremischen Evangelischen Kirche (BEK). Die garantiert den Gemeinden in Bremen Glaubens-, Gewissens- und Lehrfreiheit. Damit ist die (BEK) bundesweit eine Besonderheit, so explizit steht das in keiner anderen Verfassung. Den klassischen Bischof gibt es in Bremen nicht. Stattdessen einen Schriftführer, seit 2007 ist das Renke Brahms. Er ist der Leitende Geistliche und nimmt in der BEK die Rolle eines Moderators ein. Stellvertretender Schriftführer ist ebenfalls seit 2007 Bernd Kuschnerus. Präsidentin des Kirchenausschusses ist Edda Bosse. Die Verfassung sieht vor, dass dieses Amt ein theologischer Laie übernimmt.