Wenn im Sommer dieses Jahres 844 junge Geflüchtete die Berufsschulen Bremens verlassen, erwartet sie ein umfangreiches Paket an Maßnahmen für ihren weiteren beruflichen oder schulischen Werdegang. Annette Kemp, Sprecherin der Bildungsbehörde, ist optimistisch, damit die meisten der jungen Leute auffangen zu können.
Zumal 2017 die meisten der Geflüchteten die Berufsorientierungsklassen mit Sprachförderung (BOSP) sogar mit einem Abschluss absolvierten und damit als ausbildungsfähig galten. Sigrid Grönert bezweifelt dies. „Wir wissen, dass die Sprachkenntnisse nur bei sehr wenigen für den direkten Schritt in die Ausbildung reichen“, sagt die sozialpolitische Sprecherin der CDU-Fraktion.
Laut Bildungsbehörde haben im vergangenen Jahr mehr als 70 Prozent der BOSP-Schüler einen Hauptschulabschluss oder sogar den erweiterten Hauptschulabschluss geschafft. Doch für Grönert läuft dies auf eine Mogelpackung hinaus. Die Jugendlichen hätten zwar zwei Jahre lang Unterricht. Der aber würde ebenso wie die Klassenarbeiten an das Klassenniveau angepasst. „Dadurch soll ihre Motivation erhalten bleiben, was ja auch grundsätzlich gut ist, und so können die Jugendlichen am Jahresende sogar recht gute Zeugnisse bekommen.“
Doch den einfachen Hauptschulabschluss bekämen diese Schüler, die die Prüfung absolvierten, schon dann, wenn sie im Zeugnis keine Sechs oder nicht mehr als zwei Fünfen hätten. So sei es kein Wunder, wenn auch sehr schwache Schüler einen Abschluss bekämen. „Doch trotz Hauptschulabschluss liegt ihr Sprachstand oftmals noch weit unter B1-Level.“
Den aber verlange inzwischen die Agentur für Arbeit sogar schon, wenn es um die Finanzierung von Einstiegsqualifizierungen geht. Dies ist eine einjährige praxisnahe Maßnahme, in der die jungen Geflüchteten gezielt auf eine Ausbildung vorbereitet werden. Der einfache und auch der erweiterte Hauptschulabschluss dieser Schüler sei mit dem Abschluss deutschsprachiger Schüler überhaupt nicht vergleichbar, sagt Sigrid Grönert.
Die Folge davon liege auf der Hand: Die Bildungsbehörde halte ihre Aufgabe für erfüllt, aber die Wirtschaft klage, dass die Schulabgänger nicht ausbildungsfähig seien. „Und keiner schließt diese Lücke.“ Hört man sich bei Berufsschullehrern um, liegt die sozialpolitische Sprecherin der CDU-Fraktion mit dieser Einschätzung nicht falsch. Die meisten der Geflüchteten seien nette junge Menschen, die sich sehr bemühten, sagt Ruth Vollzinger*. „Aber sie tun sich einfach unheimlich schwer.“
Sprachförderung mit Berufsorientierung
Was die Lehrerin nicht als Vorwurf verstanden haben will. Entscheidend sei, mit welcher Vorbildung die Jugendlichen nach Deutschland kommen, wie es um das Bildungssystem in ihrem Herkunftsland bestellt war. Natürlich gebe es eine ganze Reihe von Schülern, die mit einem guten Bildungshintergrund kommen. „Die wachsen in unser System rein und haben wenig Probleme.“
Doch zahlreiche Schüler kämen aus überhaupt keinem Schulsystem. „Das sind zum Teil Analphabeten. Oder sie haben in einer Koranschule gerade mal das kleine ABC gelernt. Die wissen überhaupt nicht, wie Schule funktioniert.“ Diese Schüler müssten erst einmal Dinge lernen wie Pünktlichkeit oder das Führen eines Heftes. „Die sind das erste Jahr vollauf damit beschäftigt, die vielen Regeln unseres Schulsystems zu verstehen. Erst dann kann eigentlich ernsthaft daran gedacht werden, sie zu unterrichten.“
Junge Geflüchtete bekommen in Bremen in der Regel im ersten Jahr an einer Allgemeinen Berufsschule Sprachförderung mit Berufsorientierung. Das bedeutet in erster Linie Deutschunterricht, dazu Landeskunde und zwei Stunden Mathematik. Danach wählen sie einen beruflichen Schwerpunkt und werden entsprechend auf etwa 15 Berufsschulen in Bremen verteilt. Ihr zweites Schuljahr ist mit „Berufsorientierung mit Sprachförderung“ überschrieben.
Der Schwerpunkt hierbei liegt auf der Fachpraxis im gewählten Schwerpunkt. Dazu weiterhin Deutsch (Ziel: B1-Niveau), vier Stunden Mathematik und Englisch. Um den Hauptschulabschluss zu erreichen, muss auch Englisch auf B1-Niveau bestanden werden. „Englisch kann aber durch eine Prüfung in der Muttersprache ersetzt werden“, berichtet Berufsschullehrer Gernot Häfker*. Und bestätigt die Skepsis von Sigrid Grönert zum Wert der erreichten Abschlüsse.
Wunsch nach einem dritten Schuljahr
„80 Prozent bestehen am Ende zwar die Prüfungen, aber das entspricht auf keinem Fall dem Niveau der normalen Berufsschule. Im Vergleich dazu sind diese Prüfungen wahnsinnig einfach.“ Wie ihr Kollege sieht die Pädagogin das Problem nicht bei den Geflüchteten. „Die sind nicht gekommen, um die Füße hochzulegen. Die wollen eigentlich arbeiten.“ Doch um all das zu lernen, was sie zu einer anschließenden Lehre befähigt, seien zwei Jahre nun einmal sehr wenig Zeit.
„Unser Wunsch an die Bildungsbehörde lautet schon lange, den jungen Geflüchteten ein drittes Schuljahr zu ermöglichen“, knüpft hieran Markus Saxinger vom Integrationsnetzwerk BIN an, ein Verbundprojekt von fünf Trägern aus Bremen und Bremerhaven, das Asylbewerber und Geflüchtete bei der Arbeitsmarktintegration berät und begleitet.
„Man könnte so die Fachkompetenz der Schulen nutzen und die Schüler blieben in ihren vertrauten Strukturen.“ Doch selbst diesen Vorschlag kommentiert Gernot Häfker skeptisch: „Viele passen in unser Schulsystem einfach nicht rein. Da bringt auch ein drittes Schuljahr nichts.“
*Namen von der Redaktion geändert