Wer war Hermann Rudolf Meyer (8. Januar 1902-4. Juli 1979)? Sein Name findet sich in zahlreichen Publikationen, die sich mit bremischer Geschichte befassen. Er war Bremer und blieb Bremer bis zum letzten Atemzug. Er gehörte als Zeitungsverleger zu den Honoratioren der Stadt.
In dieser Rolle hat er sich vermutlich nicht gesehen, als er seine berufliche Laufbahn einschlug. Meyer war Kaufmann, vor 1945 handelte er unter anderem mit Schreib- und Rechenmaschinen und war im Holzhandel tätig. Anfang September wurde er Geschäftsführer des WESER-KURIER und Verlagsleiter. Wenige Jahre später kaufte er die Verlagsanteile von Felix von Eckardt, der Leiter des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung in Bonn wurde.

Zur Einweihung des Pressehauses im Januar 1957: Hermann Rudolf Meyer mit dem damaligen Bürgermeister Wilhelm Kaisen (vorne rechts).
Hermann Meyer war Kaufmann der hanseatischen Sorte. Für unnötige Ausgaben hatte er nichts übrig, Geprotze muss ihm ein Gräuel gewesen sein. Hartnäckig hält sich das Gerücht, dass er den Mitarbeitern des Hauses nahelegte, den Aufzug nur nach oben zu benutzen. Der „Spiegel“ nahm diese Legende jedenfalls vor 43 Jahren in einem Artikel mit dem Titel „Nur aufwärts“ auf: „Meyer, der sich durch Frühsport auf Trab hält, hat auch seinen Bediensteten Bewegung befohlen (...) Auf jeder Etage des fünfstöckigen Gebäudes gebietet ein Schild: ,Für Betriebsangehörige keine Abwärtsfahrt.‘“
Tatsächlich hing das Schild zum einen nur wenige Wochen. Zum anderen war es weder aus Sparsamkeit noch zur Leibesertüchtigung verfasst worden. Vielmehr blieb beim Einbau einer neuen Liftanlage zeitweise nur ein einziger Aufzug übrig. Kunden und Hausboten sollten keine großen Wartezeiten erdulden müssen, deshalb der Hinweis.

Meyer hatte Rückgrat. Er wusste um die Zeitung als vierte Gewalt, ihm war klar, welche Verantwortung damit einherging. Er katzbuckelte nicht vor Politikern, im Gegenteil. Im Bauland-Skandal soll er ein Machtwort gesprochen haben, als die Berichterstattung zu zurückhaltend ausfiel. Ein Mitarbeiter beschrieb ihn, zitiert der „Spiegel“ im Jahr 1977, als „zielstrebig, eisenhart und knochentrocken“.
Altbürgermeister Henning Scherf erinnerte sich in einem Gespräch über sein Verhältnis zur Presse: „Am Anfang hab‘ ich gedacht, du musst dich überhaupt nicht um Presse kümmern, du musst vernünftige Arbeit machen und die wird sich dann schon rumsprechen. Dann hab ich gemerkt, das läuft überhaupt nicht. Da hab ich angefangen, Pressemitteilungen zu machen, die überhaupt nicht ernst genommen wurden. Dann bin ich hier auch in diesem Haus gewesen (...) und hab‘ gesagt: ,Herr Meyer, wieso werden meine Presseerklärungen ...‘ Dann hat er, das war ein richtig stolzer Kaufmann, gesagt: ,Wissen Sie, was ich mit Ihren Presseerklärungen mache? Die landen alle im Papierkorb!‘ Hat er mir so vorgemacht. ,Das wandert hier gleich in den Papierkorb, ungelesen. Wir sind auf so was nicht angewiesen.‘“

Der Verleger gehörte zu den Honoratioren der Stadt, hier als Gast der Schaffermahlzeit.
Das war nicht nett, nicht kompromissbereit und schon gar nicht charmant. Meyers Reaktion war gradlinig und selbstsicher. Sie ist ganz Haltung – zu dem, was eine Zeitung im Kern ausmacht, wenn sie für sich in Anspruch nimmt, inhaltlich unabhängig und überparteilich zu sein. Hans-Günter Thiele beschreibt Meyer als einen „zupackenden Menschen, der niemals vor Schwierigkeiten kapituliert. Im Gegenteil. Herausforderungen stacheln ihn geradezu an.“ Sein Fleiß, Ausdauer und Engagement waren legendär. Wenn im neuen Pressehaus die Lichter gelöscht waren, war davon oft ein Zimmer ausgenommen: Meyers Büro.
Hackmack und Meyer ergänzten sich, heißt es. Viele gemeinsame Jahre an der Spitze des WESER-KURIER waren ihnen nicht beschieden. Hackmack trat an Meyer Anteile ab, sodass sie auf Augenhöhe den Verlag leiteten. Sie einte womöglich ihre Kompromisslosigkeit, wenn es um die Freiheit der Presse ging, aber auch ihre ernste Bescheidenheit. Thiele schreibt: „Von sich selbst macht er wenig her. Öffentliche Auftritte und Ämter zum Beispiel lehnt er ab. Dafür hat er keine Zeit. Aber sie würden auch seinem Verständnis von Unabhängigkeit und Überparteilichkeit widersprechen. Im Betrieb legt er strenge Maßstäbe an. Er selbst ist eine Persönlichkeit mit Prinzipien, und das bekommen alle zu spüren, die ihm begegnen. Weitschweifigen Rednern fährt er kurzerhand in die Parade. Halbwissen geißelt er mit bitterem Sarkasmus. Und für unverbindliche Meinungsspielereien hat er lediglich Verachtung übrig.“
Beliebt machte sich Meyer mit seinen Ansprüchen nicht, die er nicht nur an sich, sondern auch an seine Mitarbeiter stellte. Es kam zu mehreren Streiks, 1977 dauerte ein Ausstand drei Wochen. Die Verlagsspitze hatte die Gehälter gekürzt, indem bundesweit ausgehandelten Lohn- und Gehaltserhöhungen – ohne Ankündigung – gegen übertarifliche Zahlungen gerechnet worden waren. Formaljuristisch war das zulässig, heißt es, kommunikativ schwierig. Meyer war eben Kaufmann durch und durch. Er schuf die Basis für die wirtschaftliche Unabhängigkeit, ohne die der WESER-KURIER nicht sein könnte, was er ist.
Weitere Informationen
Dieser Artikel ist Teil der Sonderveröffentlichung zum 75. Geburtstag des WESER-KURIER. Am 19. September 1945 erschien die erste Ausgabe unserer Zeitung. Anlässlich des Jubiläums blicken wir zurück auf die vergangenen Jahrzehnte: Erinnern uns an die Anfänge unserer Zeitung und auch an die ein oder andere Panne. Und wir schauen nach vorn: Wie werden Künstliche Intelligenz und der Einsatz von Algorithmen den Journalismus verändern? Natürlich denken wir auch an Sie, unsere Leser und Nutzer. Wer folgt unseren Social-Media-Kanälen, wer liest unsere Zeitung? Was ist aus den Menschen geworden, über die wir in den vergangenen Jahren berichtet haben? Und wie läuft er eigentlich ab, so ein Tag beim WESER-KURIER?
Jetzt sichern: Wir schenken Ihnen 1 Monat WK+!