Risikospiele im Weserstadion Hoffen auf eine ruhige Saison

Polizeigewerkschafter Jochen Kopelke und der Bürgerschaftsabgeordnete Wilko Zicht sprechen im Interview mit dem WESER-KURIER über Werder-Ultras und die neue Saison. Ihre Blickwinkel könnten unterschiedlicher nicht sein.
26.08.2016, 00:00 Uhr
Lesedauer: 8 Min
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Hoffen auf eine ruhige Saison
Von Ralf Michel

Ihre Blickwinkel könnten unterschiedlicher nicht sein: Im Interview mit dem WESER-KURIER sprechen der Polizeigewerkschafter Jochen Kopelke und Bürgerschaftsabgeordneter Wilko Zicht über Ultras und die neue Saison.

Herr Zicht, Herr Kopelke, Sie sind beide große Werder-Fans. Freuen Sie sich auf die neue Bundesliga-Saison?

Wilko Zicht: Wenn Sie diese Frage vor dem Lotte-Spiel gestellt hätten, hätte ich sie etwas begeisterter bejaht. Ist jetzt schon alles ein bisschen gedämpft. Sagen wir es so: Ich trauere dem Aus im Pokal hinterher, aber ich glaube nicht, dass das ein Signal war, dass es so die ganze Saison weitergeht.

Jochen Kopelke: Als Werder-Fan ist man Leid gewöhnt. In der letzten Saison haben wir das ja alle durchgemacht. Insofern freue ich mich auch auf diese Saison. Vielleicht, weil es ja eigentlich nur besser werden kann.

Da sprechen jetzt die beiden Fußball-Fans. Als Politiker oder Polizeigewerkschafter ist das mit der Vorfreude in Bremen aber ja nicht ganz so einfach. Wo sehen Sie die Hauptprobleme?

Kopelke: Aus gewerkschaftlicher Sicht liegt der Fokus ganz klar auf den Risikospielen. Die haben in der letzten Saison zur extremen Steigerung der Einsatzstunden der Polizei geführt. So ein hohes Niveau hatten wir noch nie. Deshalb hoffen wir natürlich, dass wir einen vernünftigen Start in die Saison 2016/17 finden. Wir als Gewerkschaft verfolgen nach wie vor das Ziel, weniger Polizeikräfte bei diesem Massensport einsetzen zu können. Weil wir in Bremen an der absoluten Grenze unser Belastbarkeit arbeiten.

Zicht: Wenn man sich in anderen Bundesligastädten umhört, dann gilt die Werder-Fan-Szene eigentlich als besonders harmlos und pflegeleicht. Die hiesige Sicht ist da eine andere, aber vielleicht ist ja gerade die Außenwahrnehmung die realistischere. Gleichzeitig gilt auch die Bremer Polizei unter Gästefans, die nach Bremen kommen, nicht gerade als Prügeltruppe. Deswegen habe ich durchaus die Hoffnung, dass wir eine friedlichere Saison erleben werden. Die Voraussetzungen sind auf jeden Fall für mich auf beiden Seiten gegeben.

Hat sich nicht aber gerade in der letzten Saison etwas hochgeschaukelt zwischen Ultras und Polizei?

Zicht: Das gegenseitige Misstrauen hat sich über mehrere Jahre aufgebaut. Der Polizei und der Justiz wurde vorgeworfen, dass sie gegenüber rechten Hooligans nachsichtiger gewesen ist als gegenüber Ultras. Nun ist der Valentin-Prozess glimpflich ausgegangen. Die Polizei hat kürzlich einen rechten Hooligan-Aufmarsch an der Universität konsequent gestoppt. Vielleicht korrigiert sich dadurch langsam das schiefe Bild. Ich rate zu Gelassenheit. Letztlich ist das Verhältnis zwischen Ultras und Polizei eine bundesweite Herausforderung, und wir sollten das hier in Bremen nicht dramatischer reden als es ist. Es ist hier nicht schlimmer als anderswo. Und zumindest im letzten halben Jahr gab es keine größeren Konflikte.

Kopelke: Wobei dieses letzte halbe Jahr schon herausragend war. Die polizeiliche Bewertung ist eindeutig. Wir haben eine politische Fanszene. Es gibt Fußballfans, die eine politische Haltung haben, die sie während des Fußballs oder um ein Fußballereignis herum, aber auch zu anderen Zeiten gegeneinander ausleben. Wir haben einen Links-Rechts-Konflikt in Bremen. Und wir haben im letzten halben Jahr erlebt, was es heißt, wenn Ultra-Auseinandersetzungen, Hooligan-Eskalationen oder politische Auseinandersetzungen zwischen Links- und Rechtsradikalen so geballt auftreten.

Zicht: Ich glaube, Sie erinnern sich eher an den Sommer letzten Jahres. Der war ziemlich heftig. Das Nordderby, der Vorfall am Verdener Eck, dann die Auseinandersetzung zwischen Nazi-Hools und den antifaschistischen Ultras. Das ist dann auch ein bisschen in die ersten Saisonspiele geschwappt. Aber meine Wahrnehmung ist, dass es im letzten halben Jahr relativ ruhig blieb. Es ist doch grundsätzlich eine tolle Sache, dass die Werder-Fanszene nahezu geschlossen gegen rechts steht. Solange wir gleichzeitig gewaltbereite Nazis haben, die das gerne ändern wollen, hat das ein erhebliches Konfliktpotenzial. Für die Polizei ist das schwierig, dafür habe ich großes Verständnis.

Kopelke: Man merkt auch an den parlamentarischen Initiativen, wie sehr die letzte Zeit von diesem Thema geprägt war. Im politischen Raum ist Fußball inzwischen genauso interessant wie aus Polizeisicht oder aus Fansicht. Insofern denke ich schon, dass das zuletzt eine Spitze war, die uns hoffentlich in dieser Saison nicht nochmal passiert.

Zicht: Da gebe ich Ihnen dann ja auch recht. Aber ich bleibe dabei – insgesamt ist die Sicherheitslage in Bremen nicht brisanter als im Rest des Bundesgebiets. Und wenn ich an die 80er und 90er Jahre denke… das waren noch ganz andere Hausnummern. Da hatten wir regelmäßig Jagd- und Prügelszenen am Osterdeich. Insgesamt ist der Stadionbesuch vielleicht noch nie so ungefährlich gewesen wie heute. Aber das Sicherheitsbedürfnis ist angestiegen und damit auch die Sensibilität.

Wo sehen Sie Stellschrauben, um an der Situation etwas zu verändern? Wer ist besonders gefordert?

Zicht: Alle Akteure sind gefordert. Es ist wünschenswert, wenn jeder Besonnenheit und Selbstkritik an den Tag legt. Das wünsche ich mir auch ausdrücklich von der Fan­szene, aber natürlich kann man das erst recht von einer staatlichen Organisation wie der Polizei verlangen. Bei der Polizei sollte zumindest ein kritischer Umgang mit eigenen Fehlern möglich sein. Dann kann man auch umso besser die berechtigten Maßnahmen vertreten.

Kopelke: Ich glaube, meine Kollegen und ich haben da einen ganz anderen Blick. Ich glaube aber, von den Akteuren rund um den Fußball sind 99 Prozent gesprächsbereit und versuchen, gemeinsame Strategien zu gehen. Ich glaube, wir haben nur eine Chance, wenn wir genau die herauskristallisieren, die uns den größten Ärger machen. Das sind benennbare, gewaltbereite Gruppen bis hin zu Einzelpersonen.

Also nicht mehr „die Ultras“?

Kopelke: Ich würde nicht mehr so weit gehen und sagen, dass „die Ultras“ das Problem sind. Wir haben gesehen, dass es bei der Vielzahl an unterschiedlichen Ultra-Gruppierungen hier in Bremen auch ein unterschiedliches Verständnis zum Umgang mit Gewalt gibt. Es gibt Ultra-Gruppierungen, die für sich ausschließlich den Support der Mannschaft sehen. Aber es gibt durchaus auch welche, die gewaltbereit sind, Gewalt ausüben. Und wir sollten den Anspruch haben, genau diese Menschen in den Fokus zu nehmen. Und zwar mit allen rechtsstaatlichen Mitteln.

Soll heißen?

Kopelke: Vor allem Stadionverbote und Betretungsverbote für bestimmte Orte. Dass diejenigen, die beim Fußball nachweislich in bestimmten Bereichen durch Gewalttaten und Verurteilungen aufgefallen sind, diese Räume zu einer bestimmter Zeit nicht betreten dürfen. Zum Beispiel den Bereich zwischen Bahnhof und Stadion.

Zicht: Wenn die rechtsstaatlich vorgesehenen Mittel, die der Polizei zur Verfügung stehen, wie unter anderem Betretungsverbote oder auch Meldeauflagen, in den gesetzlich dafür vorgesehenen Fällen angewendet werden, unterstütze ich das. Dagegen kann sich jeder, der sich ungerecht behandelt fühlt, mehr oder weniger effektiv vor Gericht wehren.

Und wo liegt dann das Problem?

Zicht: Ein Problem, das das Verhältnis zwischen Polizei und Fans seit Jahren belastet, sind die Stadionverbote oder neuerdings auch die Bahnverbote. Da geht die Polizei auf die Vereine oder auf die Deutsche Bahn zu, und sagt denen: „Hier, wir ermitteln gerade gegen Person X, und wir hätten gerne, dass ihr die für die nächsten Jahre ausschließt.“ Und da das dann alles nach dem privaten Hausrecht funktioniert, haben die Betroffenen dagegen gar kein vernünftiges Rechtsmittel, obwohl das Ganze eigentlich von der Polizei ausgegangen ist. Das führt zu Ungerechtigkeiten.

Es gibt bundesweit den Vorwurf, dass Vereine für ihre Fans auch gerne mal ein Auge zudrücken. Bei Pyros zum Beispiel oder wenn es um verunglimpfende Spruchbänder geht. Wie sieht das in Bremen aus?

Kopelke: Wir haben da eine ganz klare Erwartungshaltung: Wenn dort strafwidriges Verhalten, Ordnungswidrigkeiten oder auch Verstöße gegen die Hausordnung geschehen, dann erwarten wir, dass da auch konsequent eingeschritten wird. Es kann nicht sein, dass in der Ostkurve jeder machen kann, was er will.

Also keine rechtsfreien Räume?

Kopelke: Genau. Fußball ist geprägt von Regeln und vom fairen Umgang miteinander. Dann erwarte ich das auch für alles, was rund um den Fußball passiert. Auch im Dialog miteinander und bei der Frage, wie Fans Polizisten gegenübertreten.

Zicht: Profifußball ist aber nun wirklich der letzte Raum, den man als rechtsfrei bezeichnen könnte. Rechtsanwälte berichten immer wieder, dass sie Bagatelldelikte auf den Tisch bekommen, die außerhalb von Fußball überhaupt nicht zur Anzeige gebracht würden, beim Fußball aber gnadenlos verfolgt werden. Man muss natürlich aufpassen, dass man Grenzen setzt und die dann auch durchsetzt. Aber mit Augenmaß. Und das Verhältnismäßigkeitsprinzip sollte ja auch der Polizei ins Blut übergegangen sein.

Kopelke: Wobei wir als Polizei immer einen Nachteil haben. Wir schreiten beim Fußball immer dann ein, wenn es keine Zeit mehr zum Reden gibt. In einem Einsatz ist die Polizei gefordert, da geht es darum, die Situation zu klären. Aber das ist etwas, womit Fangruppierungen schlecht umgehen können, egal, wie gut man vorher oder nachher miteinander redet. In solchen Situationen erwarten wir genauso von Fanszenen, dass sie einen kühlen Kopf bewahren, wie man das vom Polizisten erwartet.

Zicht: Das ist dann natürlich ein gewisser Zielkonflikt. Die Leute, die zum Fußball gehen, gehen ja dahin, um sich emotionalisieren zu lassen. Das macht den Reiz aus. Wenn es dann in der Hitze des Gefechts zu Konflikten kommt, ist die Erwartung der Polizei, kühlen Kopf zu bewahren, leider ein bisschen unrealistisch.

Kopelke: Aber auch Ultras und Hooligans sind Profis in diesem Geschäft. Das sind teilweise trainierte Menschen, die sehr genau wissen, wie man schlägt und welche Griffe und Techniken man anwendet. Deshalb kann man den Vorwurf, die Polizei muss ab einem gewissen Augenblick einen kühlen Kopf bewahren, in die Fanszene zurückgeben. Das ist ein Stück weit mehr Verantwortung und Pflicht, die man den Fans aufbürden muss, indem man ihnen sagt, dass sie genauso viel zum friedlichen Fußball beitragen, wie alle anderen.

Ist es zu naiv, hier auf Selbstregulierungskräfte innerhalb der Ultras zu hoffen?

Zicht: Nein, das passiert ja auch. Für Außenstehende nicht so sichtbar, weil man natürlich Betroffene nicht der Polizei überstellt. Aber intern werden Leute durchaus auf den Topf gesetzt. Aber das Ganze funktioniert nur dann gut, wenn von außen keine falsche Solidarisierung begünstigt wird. Als unfair empfundene Polizeimaßnahmen können zu Solidarisierungseffekten führen, die die Selbstregulierung doch eher behindern.

Die Polizei macht etwas falsch, und deshalb muss sich der ansonsten friedliche Ultra mit den Gewalttätern solidarisch erklären?

Zicht: Nein, so nicht. Aber wenn ein einzelner eine Straftat begangen hat und danach haben dann zehn Leute deswegen Stadionverbot bekommen, weil alle, die irgendwie drumherum standen, mit dran sind – dann ist eben nicht die Bereitschaft da, einzusehen, dass da einer gerecht bestraft wird. Dann ist da das Gefühl: „Die haben uns wieder in Sippenhaft genommen.“ Als Problem wird dann nicht das eigene Verhalten gesehen, sondern die vermeintliche Polizeiwillkür. Aber andererseits muss man natürlich auch sagen, dass die Polizei es schwer hat, die Richtigen zu identifizieren.

Kopelke: Vor allem, weil die Fanszene nicht spricht.

Zicht: Genau. Das ist eine schwere Gratwanderung. Die gelingt der Polizei mal besser und mal schlechter. Ich rate da wie gesagt zu mehr Gelassenheit auf beiden Seiten.

Ungeachtet Ihrer unterschiedlichen Positionen – Sie sind beide Werder-Fans: Wo landet Werder am Ende der Saison?

Kopelke: Aus Fan-Sicht hoffe ich natürlich auf einen Europa-League-Platz.

Möchten Sie das noch toppen, Herr Zicht?

Zicht: Nee, die Polizeigewerkschaft überteibt es mal wieder. Ich denke, es wird ein ruhiger Mittelfeldplatz diese Saison.

Kopelke: Wir haben doch auch tolle Fans. Die tragen dazu bei, dass wir in der Liga bleiben. Warum sollen die dann nicht auch dazu beitragen, dass wir in die Europa League kommen?

Das Gespräch führte Ralf Michel.

Jochen Kopelke (31)

Zur Person

arbeitet seit 2005 bei der Polizei. Seit 2014 ist der Oberkommissar Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Bremen.

Wilko Zicht (40)

Zur Person

ist Bürgerschaftsabgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen und innenpolitischer Sprecher seiner Fraktion. Vor seinem Mandat in der Bürgerschaft war er Sprecher des „Bündnis aktiver Fußballfans“, ein bundesweiter Zusammenschluss von Fans, der sich gegen Rassismus und Diskriminierung in den Stadien einsetzt, sich aber auch zu Repressionen durch Sicherheitsorgane zu Wort meldet.
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