„Es lebte nichts, wenn es nicht hoffte!“ Dieser Sinnspruch von Friedrich Hölderlin scheint gerade in Krisenzeiten wie diesen von überzeitlicher Gültigkeit zu sein. Der Aphorismus macht Mut und vermittelt Zuversicht. Dabei war das Leben des schwäbischen Dichters, der vor 250 Jahren geboren wurde, von Schicksalsschlägen geprägt. Mit 36 Jahren erklärten ihn Ärzte für verrückt. Die restlichen fast 40 Jahre seines Lebens verbrachte er quasi im Exil in einem Turm in Tübingen. Ob Hölderlin wirklich schizophren war oder ob er nicht doch Zuflucht in der inneren Immigration suchte, daran scheiden sich die Geister. Denn der Dichter war ein glühender Anhänger der Französischen Revolution. Vergebens hoffte er darauf, dass sich das Gedankengut von „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ auch hierzulande durchsetzen würde. So lässt sich auch sein wohl berühmtestes Werk, der Roman „Hyperion“, deuten.
Idealistisch gesonnene Freigeister, zu denen auch der elf Jahre ältere Friedrich Schiller zählte, sahen sich in der deutschen Kleinstaaterei der Verfolgung ausgesetzt. Michael Zachcial, der vor 30 Jahren die Band „Die Grenzgänger“ gründete, hält es durchaus für plausibel, dass sich der desillusionierte Dichter von Depressionen und einer ärztlichen Misshandlung, die eher Folter als Therapie war, als Rekonvaleszent im Tübinger Turm erholte. Diesen Ansatz untermauern neueste Studien, an denen auch der Bremer Psychiater Uwe Gonther, Direktor des Ameos-Klinikums, beteiligt war.
Pünktlich zum Hölderlin-Geburtstag am 20. März haben „Die Grenzgänger“ eine CD mit 14 bis dato noch unvertonten Texten von Friedrich Hölderlin eingespielt, die auf ein äußerst positives Presse-Echo stieß. „Es ging uns darum, Hölderlin zu erden und ihn nahbarer zu machen. Die Melodie verstärkt so manche Aussage“, erläutert Michael Zachcial am Telefon. Denn so manche klassische Vertonung wirke denn doch zu verkopft, findet er. „Es ist ja so, dass eigentlich jeder den Namen Hölderlin kennt, aber die wenigsten können etwas von ihm rezitieren“, sagt der Gitarrist und Sänger. So bezeichnete der „Südkurier“ den Dichter gar als Popstar. Und genauso klingen auch die Pop- und Folksongs, gewürzt mit einer Prise Blues und Jazz, in die „Die Grenzgänger“ den teilweise hohen, hymnischen Ton Hölderlins gehüllt haben.
Popstar? Da sei schon was dran, meint Zachcial: „Er war ja sehr emotional in seinen Texten“. In ihnen blitzen Freude, Sehnsucht, aber auch Aggression und Zorn auf. Und er habe eine ganze eigene Ästhetik geprägt, fügt der Musiker hinzu, die von Schiller teilweise kritisiert und korrigiert worden sei. Hölderlin habe versucht, sich mit der Replik „Der Jüngling an die klugen Ratgeber“ gegen diese Einflussnahme zu wehren. In dem Gedicht, das auch von den „Grenzgängern“ vertont wurde, heißt es: „Und könnt ihr ja das Schöne nicht ertragen, so führt den Krieg mit offner Kraft und Tat! Sonst ward der Schwärmer doch ans Kreuz geschlagen, jetzt mordet ihn der sanfte, kluge Rat“. Hölderlin, Feuerkopf, Frauenschwarm und verkanntes Genie. Hölderlin, der wie später Friedrich Nietzsche, seiner Zeit voraus war. Erst 100 Jahre später sollte er von Stefan George und Rainer Maria Rilke wiederentdeckt werden.
Für 40 Auftritte, Stand Jahresbeginn, waren „Die Grenzgänger“ bereits 2020 gebucht, schwerpunktmäßig in Hölderlins Heimat Baden-Württemberg. Doch dann kam Corona und machte alle Konzerte zunichte. Michael Zachcial, der einst als Straßenmusiker begann, machte die Not nach der ersten Schockstarre erfinderisch. Er realisierte eine Idee, die ihm schon einige Jahre vorschwebte: Er schob ein Unterstützer-Netzwerk an, das nach zwei Wochen bereits 85 Mitglieder zählt, die einen monatlichen Beitrag leisten. Einige von ihnen kämen sogar aus der Schweiz, aus Österreich und aus Japan, erzählt der Musiker. Weitere Informationen dazu gibt es auf der Homepage der Band unter die-grenzgänger.de. „Dafür bekommen die Menschen, die uns unterstützen, Sonderkonditionen wie aktuelle CDs vier Wochen vor dem offiziellen Verkaufsstart handsigniert, Insider-Informationen und freien Eintritt in die Konzerte“, erzählt Zachcial. Immerhin wurden „Die Grenzgänger“ schon fünf Mal mit dem Preis der Deutschen Schallplattenkritik ausgezeichnet. Und da ist er wieder, der Mutmacher-Slogan von Hölderlin: „Es lebte nichts, wenn es nicht hoffte!“