Herr Maurer, an diesem Sonntag stellen Sie Ihre Dokumentation "Hamburger Gitter" in Bremen vor. Dafür waren Sie mit ihrem Videokollektiv Leftvision vergangenes Jahr bei den G20-Protesten in Hamburg unterwegs und haben die Demonstrationszüge mit der Kamera begleitet. War von Anfang an klar, dass daraus eine Dokumentation entstehen würde?
Steffen Maurer: Nein. Wir begleiten mit Leftvision ja regelmäßig Proteste und stellen kurze Clips davon auf unsere Homepage. So haben wir es zunächst auch in Hamburg gemacht. Zu diesem Zeitpunkt war noch überhaupt nicht klar, dass daraus ein Dokumentarfilm entstehen könnte.
Was hat dazu geführt, dass Sie Ihre Meinung geändert haben?
Die Idee ist erst entstanden, als wir gemerkt haben, wie die politische und mediale Reaktion auf den G20-Gipfel ausgefallen ist. Es wurde in den Medien fast ausschließlich über den schwarzen Block berichtet, nicht aber über die Polizeistrategie. Die massiven Einschränkungen des Versammlungsrechts oder die unverhältnismäßig harten Urteile waren kaum Thema. Uns hat gefehlt, dass auch die Arbeit des Staates und der Polizei kritisch aufgearbeitet wird.
Der Schlüsselmoment war, als die Polizei angekündigt hat, eine Öffentlichkeitsfahndung zu starten. Wir konnten nicht begreifen, warum 100 Menschen, gegen die zum Teil nur ein vager Verdacht besteht, öffentlich an den Pranger gestellt werden. Wir haben uns deshalb gegen eine weitere kleine Onlinereportage entschieden und wollten mit der Dokumentation fürs Kino auch noch einmal ein anderes Publikum erreichen.
Sie waren während der Proteste mit Ihrer Kamera unter den Demonstranten. Wie haben Sie persönlich die Tage im Juli wahrgenommen?
Ich habe eine sehr kamerafeindliche Stimmung erlebt. Ich hatte das Gefühl, überall zu stören. Wir waren auch oft zu zweit unterwegs, weil wir Angst hatten, verletzt zu werden. Es gab mehrere Situationen, in denen auch ich von Polizisten herumgeschubst wurde.

Steffen Maurer.
In Ihrer Dokumentation "Hamburger Gitter" kommen mehrere Interviewpartner zu Wort und schildern ihre Sicht auf die Ereignisse. Nach welchen Kriterien haben Sie die Protagonisten ausgewählt?
Die Suche war sehr kompliziert, weil es einfach so viel zu erzählen gibt. Für uns war aber schnell klar, dass wir schildern wollen, wie sich die Strategie der Polizei verändert hat und wie sie vor Ort überhaupt war. Wir haben versucht, ein neutrales Portfolio von Protagonisten herzustellen. Unter anderem kommen Heribert Prantl von der "Süddeutschen Zeitung", Rechtsanwältin Gabriele Heinecke, verschiedene Aktivisten, Mitglieder des Sonderausschusses und Wissenschaftler in der Doku vor.
Trotzdem hat man den Eindruck, dass Sie bis auf den Pressesprecher der Hamburger Polizei besonders Akteure zu Wort kommen lassen, die den Einsatz kritisch hinterfragen.
Sicherlich gab es bei uns die Intention, den Fokus auf Geschehnisse und Personen zu legen, die unserer Meinung nach bisher noch nicht so sehr im Fokus standen. Danach haben wir natürlich auch die Interviewpartner ausgesucht. Teilweise wurden Anfragen aber schlichtweg auch abgelehnt, wie zum Beispiel von Olaf Scholz (SPD), der zu dieser Zeit noch Bürgermeister in Hamburg war.
Viele Menschen haben sich nach den Bildern völlig erschöpfter Polizisten mit den Beamten solidarisiert. Wieso haben Sie niemanden aus dem direkten Einsatzteam befragt?
Natürlich hätten wir auch solche Stimmen gerne drin gehabt. Wir haben auch viele Hintergrundgespräche dazu geführt. Das Problem ist aber, dass die Beamten nicht mit der Presse reden dürfen oder wollen. Ich kann diese Angst von Polizeibeamten auch verstehen. Wenn sich einer kritisch äußert, dann steht man vor den Kollegen schnell als Kameradenschwein da. Wir hatten zudem zweimal einen Interviewtermin mit dem Präsidenten der Polizei Hamburg, der jedes Mal am selben Tag abgesagt wurde. Im Endeffekt hat es nur mit dem Pressesprecher geklappt und einem Kriminalhauptkommissar, der aus seiner Rolle als Gewerkschafter heraus berichtet.
Sie begleiten häufiger Demonstrationen. Für das Videokollektiv sind Sie extra von Bremen nach Berlin gezogen. Hat sich der G20-Protest stark von anderen unterschieden?
Es war schon eine besondere Situation, eine Stadt mit so einem großen Polizeiaufgebot zu sehen. Schließlich waren während des Gipfels etwa 31 000 Polizisten im Einsatz. Der Umgang, der uns Pressevertretern, den Demonstranten und Aktivsten entgegengebracht wurde, ist allerdings einer, den wir schon häufiger erlebt haben, wie bei der Eröffnung der Europäischen Zentralbank vor einigen Jahren. Trotzdem war G20 eine Ausnahmesituation, wie wir sie so noch nicht erlebt haben. Über das Panorama waren wir alle sehr erstaunt. Mit den neuen Polizeigesetzen habe ich die Angst, dass so ein Umgang mit Demonstrierenden zum Standard werden könnte.
Was bekommen Sie bisher für Resonanzen?
Viele Leute kommen in die Vorstellungen und sind dankbar über den neuen Blickwinkel. Aus der Politik haben wir bisher keine Reaktionen erhalten. Wir erhoffen uns aber vor allem auch, dass in Teilen der Bevölkerung ein anderes Bild vermittelt wird, als das, was letztes Jahr gezeichnet wurde.
Das Gespräch führte Kristin Hermann.
Steffen Maurer kommt aus Bremen und studiert Regie an der Filmarche, einer selbst organisierten Filmschule in Berlin-Neukölln. Der 26-Jährige ist seit 2003 Mitglied des Videokollektivs Leftvision.
Weitere Informationen
Steffen Maurer wird seine G20-Dokumentation "Hamburger Gitter" an diesem Sonntag um 20 Uhr in der Schauburg, Vor dem Steintor 114, vorstellen. Im Anschluss stellt er sich in einer offenen Fragerunde einer Diskussion. Tickets können telefonisch unter 0421/792550 reserviert werden oder über die Homepage www.bremerfilmkunsttheater.de. Neben Maurer gehören zu den Filmemachern: Marco Heinig, Steffen Maurer, Luca Vogel und Luise Burchard.