Schwangere in Bremen und Niedersachsen finden immer öfter keine Hebamme. Grund: Bei steigenden Geburtenzahlen sinkt nach Angaben der Behörden die Zahl der Hebammen. Der Bremer Landesverband der Hebammen macht dafür vor allem die schlechte Bezahlung und die zu hohen Lohnnebenkosten verantwortlich.
Schon heute lehnen 27 Prozent der freiberuflichen Hebammen täglich Anfragen von Schwangeren ab. Das haben Wissenschaftler der Universität Bremen anlässlich einer Studie zur Entwicklung der Gesundheitsberufe herausgefunden. Auch die Geburtshäuser müssten Schwangere abweisen, weil es nicht genug Hebammen gibt, kritisiert die Bremer Landesfrauenbeauftragte, Bettina Wilhelm. In Niedersachsen arbeiten nach Angaben des Hebammenverbandes etwa 2000 Geburtshelferinnen.
„Für eine gute Versorgung müssten es 500 mehr sein“, so die Vizevorsitzende Hilke Schauland. Viele Freiberuflerinnen hätten mit der Einführung der hohen Prämien für die Haftpflichtversicherung aufgegeben. Auch in den Kliniken gebe es zu wenig Personal, sodass sich die Arbeitsbedingungen im Kreißsaal deutlich verschlechtert hätten. „Nicht selten muss sich eine Hebamme um mehrere Gebärende kümmern“, so Schauland.
Das Recht auf freie Wahl des Geburtsorts sei in Bremen wie in Niedersachsen nicht mehr gewährleistet. „Die Situation der Hebammen spitzt sich seit Jahren zu“, begründet Wilhelm. Das gelte für freiberufliche wie für die angestellten Hebammen. Nach Angaben des Statistischen Landesamtes stieg die Zahl der Geburten im Land Bremen 2016 deutlich um 664 auf 9649 an.
Die Anzahl der in Kliniken angestellten Hebammen sei dagegen um vier auf 118 gesunken. Wie viele freiberufliche Hebammen es gibt, ist nicht bekannt. Die Behörde geht von insgesamt 266 Hebammen aus. Sprecherin Christina Selzer bestätigt: „Der Engpass ist nicht so akut wie auf dem Land, aber der Fachkräftemangel ist deutlich zu spüren.“
Dennoch: Mehr als Dreiviertel der angestellten Hebammen arbeiteten in Teilzeit – vielfach, um dem hohen Arbeitsdruck standhalten zu können, so die Vorsitzende des Bremer Landesverbandes der Hebammen, Heike Schiffling. Um ihr geringes Einkommen aufzubessern, betreuten etliche Hebammen zusätzlich freiberuflich ein bis zwei Familien im Monat. „Viele von ihnen könnten mehr Schwangere unterstützen“, sagt Schiffling, „aber dann überschreiten sie die Grenze dessen, was sie als geringfügig Beschäftigte verdienen dürfen, um keine Lohnnebenkosten bezahlen zu müssen.“
Vom Einkommen bliebe nicht viel übrig. Schiffling fordert, die freiberufliche Arbeit von Hebammen besser zu bezahlen, mehr Hebammen auszubilden und die Auflagen für geringfügig beschäftigte Geburtshelferinnen zu lockern. Ein Konzept des Landesverbandes sieht darüber hinaus vor, Zentren zu bilden, in denen freie Hebammen effektiver zusammenarbeiten. „Dazu bräuchten wir die Unterstützung der Kommune“, so Schiffling. Es fehlten Räume und eine Anschubfinanzierung.
Bund sieht keinen Handlungsbedarf
Die Folgen des Fachkräftemangels baden nach Ansicht Schifflings vor allem schwangere Frauen mit Migrationshintergrund und aus ärmeren Quartieren aus: „Das ist tragisch, weil gerade sie unsicher sind und viele Fragen haben.“ Oftmals gebe es in sozial benachteiligten Familien kein Hilfenetz. Betroffen seien aber auch Frauen, die sich erst nach der 16. Schwangerschaftswoche um eine Hebamme kümmerten. „Viele wollen die zwölfte Woche abwarten, weil bis dahin die Wahrscheinlichkeit einer Fehlgeburt erhöht ist“, so Heike Schiffling.
Im Gegensatz zur Bundesregierung sieht die Bremer Bundestagsabgeordnete Kirsten Kappert-Gonther (Grüne) dringenden Handlungsbedarf: „Eine gute Betreuung fördert die natürliche Geburt, kann Kaiserschnitte vermeiden und Komplikationen vorbeugen“, sagt sie. Die Bundesregierung indes verweist das Problem an die Länder beziehungsweise an die Träger der Geburtskliniken. Das geht aus der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen hervor.
Kappert-Gonther ist entrüstet: „Es ist beschämend, wie Schwangere von Bundesgesundheitsminister Spahn im Stich gelassen werden.“ Die Rahmenbedingungen für Hebammen im Kreißsaal müssten unbedingt verbessert werden, damit sich wieder mehr Hebammen für die Klinik entscheiden.
In Bremen hat Senatorin Eva Quante-Brandt (SPD) angekündigt, die Ausbildungskapazitäten zu erhöhen. Sie reagiert damit auf den Appell der Wissenschaftler. Alle drei Jahre 16 Hebammen auszubilden, reiche nicht aus: „Um den Status quo zu halten, müsste sich die Anzahl der Auszubildenden verdreifachen“, sagt Kai Huter vom Projektteam der Universität. Deshalb prüfe die Hochschule Bremen die Einführung eines Studiengangs, in dem jedes Jahr 16 Hebammen Abschlüsse machen könnten, so Christina Selzer.
Das Gesundheitsministerium in Hannover hält die Anzahl der geburtshilflichen Abteilungen im Land für „bedarfsgerecht“. „Prinzipiell werden in Niedersachsen seit über 15 Jahren genug Nachwuchskräfte ausgebildet“, betont Sprecherin Naila Eid. Darüber hinaus fördere das Land die Fortbildung von Hebammen.
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