Michael Müller: Die Naturfreunde Deutschlands haben eine lange Tradition in der Friedensbewegung. Zu uns gehörte vor 1933 beispielsweise Georg Elser. Das war 1939 der erste Attentäter gegen Adolf Hitler.
Die Naturfreunde sprechen sich für den demokratischen Sozialismus aus. Wie gehören dieser und der Umweltschutz zusammen?Entscheidend ist, dass die europäische Moderne das Thema Natur höchst unzureichend behandelt hat. Auch weil man geglaubt hat, es müsste erst zu einer „neuen Gesellschaft“ kommen, bevor man diese Fragen behandeln kann. Zu wenig wurde gesehen, dass der technische-ökonomische Prozess selbst schon Naturzerstörung ist.
Inwiefern?Wir werden das Klima nicht stabilisieren können, wenn wir nicht auch Herrschaftsverhältnisse ändern. Das Grundprinzip ist der Glaube, dass mit wirtschaftlichem Wachstum und technischem Fortschritt alle Probleme zu lösen sind. Das ist einfach falsch.
Zumindest ist es so, dass die sozialen, die ökologischen und die gesundheitlichen Schutzschichten des menschlichen Lebens mit der Globalisierung sehr dünn geworden sind. Wir müssen alles tun, um sie wieder zu stärken.
Die Naturfreunde fordern, dass sich Individualinteressen dem Allgemeinwohl unterordnen. Das haben wir als Gesellschaft nun ein Jahr lang pandemiebedingt geübt. Ist es das, was Sie sich darunter vorstellen?Mein Problem am Umgang mit der Pandemie ist, dass die Menschen selbst zu wenig beteiligt sind. Alles wird von oben bestimmt, auch die Auswahl der Experten ist verengt. Ich will die Pandemie nicht leugnen, im Gegenteil: Sie ist ein Warnsignal. Ich glaube aber, dass die innere Kraft unserer Gesellschaft groß genug ist, um den Menschen mehr Solidarität zuzumuten.
Ist die Zeit reif für Volksentscheide?Mehr Demokratie brauchen wir auf jeden Fall. Die Friedensfrage ist ein Thema, bei dem der Widerspruch zwischen der Bedeutung des Themas und der öffentlichen Aufmerksamkeit eklatant ist. Doch die Globalisierung stellt uns vor neue Herausforderungen. Wir sind in der doppelten Gefahr einer Selbstvernichtung der Menschheit.
Weil es auf der einen Seite dramatische Zunahmen an militärischer Aufrüstung und auf der anderen Seite die Gefahr einer schleichenden Vernichtung des Erdsystems steht. Wir waren noch nie in einer solchen Schlüsselsituation wie heute.
Der Ostermarsch läuft unter dem Motto Abrüsten. Glauben Sie, dass es die Lösung ist, wenn Deutschland abrüstet und alle anderen nicht?Wir müssen die Spirale der Aufrüstung in der internationalen Politik brechen. Wir haben eine Situation, die pervers ist: 75 Prozent aller Militärausgaben entfallen auf nur zehn Länder. Deutschland ist dabei auf Platz 7.
Das ist schwer vorstellbar, gerade in Anbetracht der vielen negativen Schlagzeilen, die die Ausrüstung des deutschen Militärs gemacht hat.Seit Jahren sind die Weichen falsch gestellt – auch durch die Zweiteilung in Interventions- und Verteidigungsarmee. Wir sollten festlegen, was für die Landesverteidigung notwendig ist und in welchen demokratischen Strukturen das geschehen kann.
Wie könnte sie das?Wir brauchen eine breite Debatte, was Sicherheit und Verteidigung im globalen Zeitalter bedeutet. Wir fordern eine Weiterentwicklung der Idee der gemeinsamen Sicherheit. Eine solche Debatte ist überfällig.
Bräuchten wir eine Wehrpflicht, um die Idee der Bürger in Uniform zu verwirklichen?Ich war nie für die Berufsarmee. Aber ich bin ein Anhänger der gemeinsamen Sicherheit, die politisch organisiert werden muss. Dieses Konzept ist heute wichtiger denn je. Nicht nur für militärische, auch für zivile Herausforderungen. Das ist ein völlig anderes Denken.
Das Gespräch führte Rebecca Sawicki.
Michael Müller
ist seit 1995 Bundesvorsitzender der Naturfreunde Deutschland. Er hat 1983 bis 2009 für die SPD im Bundestag gesessen und war von 2005 bis 2009 Staatssekretär beim Bundesminister für Umwelt.
Weitere Informationen
Der Ostermarsch startet am Sonnabend, 3. April um 11 Uhr am Hauptbahnhof. Der Demonstrationszug wird sich durch die Innenstadt hin zum Marktplatz bewegen, wo ab 12 Uhr die Kundgebung startet. Organisiert wird der Marsch vom Bremer Friedensforum.