Herr Ehing, eine Fahrradfahrerin wird an einem Rapsfeld angeschossen, doch ein Metallteil ihres Büstenhalters fängt die Kugel ab. Der Vorfall ereignete sich kürzlich in Gadebusch in Mecklenburg-Vorpommern, wo gerade eine Wildschweinjagd lief. Wie groß ist die Gefahr, im Kreis Osterholz versehentlich von einem Jäger getroffen zu werden?
Heiko Ehing: Die Gefahr ist extrem minimal.
Auf einem Wendeplatz am Stundenweg in Schwanewede wurden Patronenhülsen gefunden. Ist es richtig, dass Kugeln, die ihr Ziel verfehlen, bis zu einen Kilometer weit fliegen?
Der Gefahrenbereich bei Büchsenkugeln beträgt bis zu 5000 Meter, da aus Tierschutzgründen gesetzlich mindestens 2000 Joule vorgeschrieben sind. Schrotkugeln, die üblicherweise in 2,5 bis drei Millimeter Stärke verwendet werden, haben dagegen einen Gefahrenbereich von maximal 300 Meter. Jägerinnen und Jäger dürfen aber nicht einfach in die Luft schießen. Sie müssen sicher sein, dass sie hinter dem anvisierten Ziel einen Kugelfang haben und sind deshalb gehalten, von einem Hochsitz aus zu schießen. Damit die Kugel, die den Wildkörper durchdringt, in den Boden geht und keine Gefahr darstellt. Die heutige bleifreie Munition hat ein etwas anderes Abprallverhalten. Aber die Gefahr, dass so etwas wie in Mecklenburg-Vorpommern passiert, ist sehr minimal. Denn Jäger müssen sich vor der Schussabgabe vergewissern, dass niemand gefährdet wird. Von den am Stundenweg gefundenen Patronenhülsen geht allerdings keine Gefahr aus, trotzdem darf der Schütze diese abgeschossenen Hülsen natürlich nicht einfach in die Landschaft werfen, sondern muss sie ordnungsgemäß entsorgen.
Dann gibt es also behördliche Vorgaben, welchen Abstand Jäger bei ihrer Jagd zur Wohnbebauung einzuhalten haben?
Nein, die gibt es nicht. Es ist im Prinzip egal, ob der Jäger 1000 oder 4000 Meter von der Wohnbebauung entfernt auf die Jagd geht. Entscheidend ist die Optik. Befinden sich Häuser, Straßen oder gar Menschen im denkbaren Gefahrenbereich, darf der Jäger nicht schießen. Der Schütze benötigt immer einen sicheren Kugelfang, das heißt das Geschoss sollte in den Boden gehen, ein Waldbestand dahinter als Kugelfang für eventuelle Splitter gibt weitere Sicherheit.
Gibt es eine zeitliche Begrenzung für die Jagd?
Schalenwild, wie zum Beispiel Rehwild oder Damwild, darf tagsüber bejagt werden, von 1,5 Stunden vor Sonnenaufgang bis 1,5 Stunden nach Sonnenuntergang. Nachts darf nicht geschossen werden. Eine Ausnahme bilden zum Beispiel der Fuchs und das nachtaktive Schwarzwild, also Wildschweine. Wenn wir im Herbst im Mais Wildschweine jagen, gelten sehr hohe Sicherheitsanforderungen. Dann sind mehrere Jäger im Einsatz. Jeder darf dabei den ihm zugewiesenen Platz nicht verlassen. Außerdem werden alle Teilnehmer vor Ort genau eingewiesen, in welche Richtungen nicht geschossen werden darf.
Sie sagen, Jäger dürfen in der Nähe von Häusern und tagsüber schießen. Und meinen dennoch, die Gefahr versehentlich getroffen zu werden, sei gering?
Für das Jagdrecht gelten strenge Auflagen. Beim achtmonatigen Jagdscheinkursus sind Waffenkunde und Wildtierkunde die wichtigsten Fächer. Wer hier bei der Prüfung durch den Landkreis in einem dieser beiden Fächer schlechter als mit der Note 4,4 abschneidet, hat die Prüfung nicht bestanden. Jeder Verstoß gegen die Sicherheitsvorschriften führt sofort zum Nichtbestehen der Prüfung. Als Jäger muss ich wissen, wie Waffen funktionieren. Und ich muss wissen, ob ich ein Tier bejagen darf. Verstöße werden sehr schnell von der Jagdbehörde mit dem Entzug des Jagdscheines geahndet.
Wie groß ist der Jagdeifer im Landkreis Osterholz?
Es gibt im Landkreis Osterholz circa 800 Jäger und Jägerinnen mit Jagdschein. Pro Jahr werden rund 1600 Rehe geschossen. Weitere knapp 500 Rehe werden jährlich in Wildunfälle verwickelt. Daher müssen die Jäger auch unter anderem für die Wildunfallverhütung die vom Landkreis festgesetzten Abschusspläne einhalten. Das heißt, jeder Jäger, jede Jägerin schießt im Schnitt zwei Rehe pro Jahr. Die Zahl der Schüsse, die ein Jäger abgibt, ist aufs Jahr gerechnet also eher gering. Früher war das etwas anders. Damals wurden vermehrt auch Rebhühner bejagt. Darauf verzichten wir inzwischen freiwillig, weil die Zahl der Rebhühner zurückgegangen ist.
Welche Tiere werden im Kreis noch bejagt?
Im Kreisgebiet werden unter anderem jährlich 400 bis 500 Hasen erlegt. Auch ihre Zahl war früher größer, als es hier noch mehr kleinflächig landwirtschaftlich genutzte Flächen gab. Was durch den Maisanbau im Kreis mehr geworden ist, ist die Zahl der erlegten Wildschweine, rund 250 bis 400 pro Jahr. Die Wildschweine richten sehr große Schäden in der Landwirtschaft an. Außerdem versuchen wir mit Blick auf die drohende afrikanische Schweinepest, die Population der Wildschweine gering zu halten. Alles erlegte Wild ist meiner Meinung nach ein wertvolles Lebensmittel und unterliegt den strengen Anforderungen der Wildbrethygiene.
Das Interview führte Patricia Brandt
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Jagdrecht streng geregelt
◼ Zwei- bis viermal pro Jahr kommt es im Schnitt vor, dass der Landkreis Osterholz Jägern im Kreisgebiet Jagdschein und Waffenbesitzkarte entzieht. Fast immer, sagt Marco Prietz, Sprecher beim Landkreis, habe das aber nichts mit ihrem Verhalten während der Jagd zu tun. Gründe sind nach seinen Worten zumeist Verurteilungen bei Gericht. „Das Jagdrecht ist sehr strikt geregelt“, betont Marco Prietz. Wer auf die Pirsch gehen will, muss beim Kreis in fünf Fachgebieten eine Prüfung ablegen. Der Vorbereitungskursus bei der Jägerschaft dauert laut Marco Prietz ein gutes halbes Jahr. Zur Jagdscheinprüfung zugelassen wird nur, wer ein gutes Führungszeugnis vorlegen könne. „Der Landkreis prüft, ob eine Verurteilung vorliegt. Die Gründe, weshalb jemand verurteilt wurde, sind dabei egal. Das kann auch eine Verurteilung wegen eines Steuervergehens sein.“ Nicht nur zu Beginn ihrer Jagdkarriere müssen Jägerinnen und Jäger so ihre Zuverlässigkeit unter Beweis stellen. „Alle drei Jahre wird die Zuverlässigkeit überprüft.“ Als nicht zuverlässig gilt, wer eine Straftat begangen hat, die mit mehr als 60 Tagessetzen geahndet wurde oder zweimal zu geringeren Tagessätzen verurteilt wurde. Die Verurteilung führt nach den Worten von Marco Prietz zum sofortigen Entzug des Jagdscheines. (pbr)
Zur Person
Heiko Ehing (Jahrgang 1961) ist Diplom-Ingenieur, ausgebildeter Forstbeamter und seit 2001 Kreisjägermeister im Landkreis Osterholz. Er ist verheiratet, hat zwei Kinder und wohnt in Garlstedt.
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