Angehörigengruppe von Spielsüchtigen trifft sich alle zwei Wochen im Behandlungszentrum Nord „Jedes Mal wieder drauf reingefallen“

In Bremen-Nord gibt es seit Kurzem eine Selbsthilfegruppe für Angehörige von Spielsüchtigen. In einem geschützten Umfeld tauschen sich Frauen über die Auswirkungen der Sucht ihres Partners auf ihr eigenes Leben aus. Eine Psychologin gibt außerdem Rat, wie Angehörige den Betroffenen am besten helfen können.
31.10.2012, 05:00 Uhr
Lesedauer: 4 Min
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Von Christina Denker

In Bremen-Nord gibt es seit Kurzem eine Selbsthilfegruppe für Angehörige von Spielsüchtigen. In einem geschützten Umfeld tauschen sich Frauen über die Auswirkungen der Sucht ihres Partners auf ihr eigenes Leben aus. Eine Psychologin gibt außerdem Rat, wie Angehörige den Betroffenen am besten helfen können.

Bremen-Nord. Die bittere Wahrheit erfuhr Daniela H.* aus Bremen-Nord im Krankenhaus, genauer in der Psychiatrie. Dort lag ihr Mann und kämpfte mit seinen Depressionen. Als sie ihn zum ersten Mal besuchte, beichtete er ihr: "Ich habe gespielt. Zweieinhalb Jahre lang." Peter H.* hat seine gesamte Altersvorsorge verzockt. Beim Online-Pokern im Internet. Gemerkt hat Daniela H. nichts.

Genauso wenig wie Maike W.*, deren Mann über Jahre in Spielhallen zockte. Seine Sucht kam zwar schnell heraus, trotzdem hat er es immer wieder geschafft, an Geld vom gemeinsamen Konto zu kommen, ohne dass Maike W. etwas ahnte. Mittlerweile sind beide Männer – beim Alkohol würde man sagen "trocken" – spielfrei und besuchen die Selbsthilfegruppe "GGG" in Blumenthal.

Die beiden Frauen sind Mitbegründerinnen einer Angehörigengruppe, die sich alle zwei Wochen trifft. Zwar sind alle Schicksale dort ganz individuell, aber eines eint die Teilnehmer: Die Spielsucht ihrer Lebenspartner hat auch ihr Leben drastisch verändert. Viele schämen sich, sagt Daniela H., die "endlich" das Gefühl hat, nicht mehr allein mit ihren Gefühlen dazustehen.

Sucht ist immer eine Familienkrankheit, und deshalb ist es so wichtig für die beiden Frauen, sich in einem geschützten Umfeld die Belastungen von der Seele reden zu können. Obwohl ihre Männer als spielfrei gelten, ist bei Daniela H. und Maike W. trotzdem etwas zurückgeblieben. Leises Misstrauen etwa, ob der Lebenspartner vielleicht doch heimlich zocken geht.

Aber auch Wut – unter anderem wegen der vielen Lügengeschichten, die die beiden Frauen im Laufe der Jahre gehört haben. "Spielsüchtige werden unglaublich erfinderisch, um an Geld zu kommen", sagt Daniela H., die es wissen muss. Abenteuerlich waren auch die Geschichten, die Maike W. aufgetischt wurden. "Und ich bin jedes Mal wieder drauf reingefallen", sagt sie. Denn immer dann, wenn sie gerade wieder angefangen habe zu vertrauen, habe sie ihren Lebenspartner wieder beim Zocken erwischt. Und sich dabei neben aller Hilflosigkeit auch maßlos geärgert, was sie sich "die ganzen Jahre über angetan" habe.

Entzug mit körperlichen Folgen

Dass exzessives Spielen eine Krankheit sein kann, wussten die beiden Frauen schon, bevor ihre beiden Ehemänner sich dazu bekannten. Aber warum Glücksspiel süchtig machen kann, wissen sie jetzt umso besser. Kurz gesagt, verändert pathologische Spielsucht die Denkstruktur im Belohnungssystem des Gehirns. Wie Alkoholiker den Saufdruck kennen, erleben Zocker den Spieldruck – ebenfalls mit körperlichen Auswirkungen.

Das Gehirn schüttet bei süchtigem Verhalten Botenstoffe in veränderten Zusammensetzungen aus. Wie sich das anfühlen kann, beschreibt Peter H., der, wie er sagt, selbst nicht gemerkt hat, dass er süchtig ist. "Im Grunde war mir jeden Tag völlig klar, dass ich morgen gewinnen werde", schildert er. Daran habe es für ihn auch nichts zu rütteln gegeben – Poker sei schließlich ein Geschicklichkeitsspiel. Alles eine Frage des Trainings, habe er gedacht. Die feste Überzeugung auf einen Gewinn hat den Nordbremer an den Abenden vor dem nächsten Spieltag lange Listen schreiben lassen, was mit dem zu erwartende Geldsegen passieren soll. Wie realitätsverzerrt seine Denkstruktur war, hat Peter H. nicht wahrgenommen. Im Grunde hat beiden Männern nur eines geholfen, um ihrer Spielsucht den Kampf anzusagen: Die Androhung von Trennung durch die Ehefrauen. "Wenn du noch ein Mal spielst, dann hast du mich verspielt", hat Daniela H. ihrem Mann glasklar gesagt. Und das meint sie immer noch so. Auch Maike W. hat auf diese letzte Karte gesetzt. Sie muss nicht nur sich selbst gut schützen, sondern auch ihre Kinder.

Erst nach der Beichte ihres Mannes ist Daniela H. ein Licht nach dem anderen aufgegangen. Nun gab es eine Erklärung für bestimmte Verhaltensweisen ihres Mannes. Wie sie waren auch die Freunde ahnungslos. Sie weiß: Wenn ihr Mann damit aufhören sollte, seine Sucht zu reflektieren, das heißt, zu erforschen, woher sie kommt, dann ist die Beziehung vorbei.

So weit will Maike W. nicht gehen. Seitdem sich ihr Mann zu seiner Spielsucht bekennt, könnten sie endlich reden, was früher so nicht möglich war. Außerdem hat er sich zur Therapie angemeldet, Maike W. sieht, dass es vorangeht. Aber als Angehörige eines Suchtkranken muss sie auch eigenes Verhalten infrage stellen. Wie bei anderen Süchten auch, besteht auch hier die Gefahr von Co-Abhängigkeit. Ein solches zeichnet sich darin aus, dass Angehörige oft Verantwortung für den Abhängigen übernehmen, sein Verlangen entschuldigen oder rechtfertigen und das Verhalten des Abhängigen kontrollieren. Außerdem bedeutet Co-Abhängigkeit auch, sich selbst gegenüber unaufrichtig zu sein, was die Tatsachen und Gefühle bezüglich der Abhängigkeit angeht. Auch darüber, eben wie man lernt, sich zu schützen und sich selbst gut behandelt, wird in der Selbsthilfegruppe für Angehörige geredet.

*Namen von der Redaktion geändert

Die Selbsthilfegruppe trifft sich an jedem zweiten Mittwoch beim Sozialpsychiatrischen Dienst im Behandlungszentrum Nord, Aumunder Heerweg 83/85. Ansprechpartner ist Katja Sobotta (katja.sobotta@klinikum-bremen-nord.de. ) Mitglieder der Selbsthilfegruppe sind unter 0421/69010600 und unter 0421/770712 zu erreichen.

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