Herr Rating, Sie treten am 2. Oktober wieder in die Begegnungsstätte Lemwerder auf. Wissen Sie, wie oft Sie schon zu Gast gewesen sind?
Arnulf Rating: Nein. Aber das ist logisch. Ich sage immer: Wer einen Abend in der Begu Lemwerder erlebt hat und sich noch dran erinnern kann, war nicht dabei.
Werden Ihnen Bühnen wie die der Begu nicht langsam zu klein? Mit Auftritten im Fernsehen könnten Sie ein viel größeres Publikum erreichen.
Im Fernsehen ist es viel kleiner. Es ist sehr eng dort. Und flach. Besonders in Flachbildschirmen. Da macht es in der Begu einfach mehr Spaß.
Was dürfen die Besucher von Ihrem neuen Programm „Rating akut“ erwarten?
Wie der Name schon sagt: Akutes zur gegenwärtigen Lage. Also Fluchtbewegungen von Syrien bis Wolfsburg.
Wie hat das Premierenpublikum auf „Rating akut“ reagiert?
Begeistert. Beeindruckt.
Finanzkrise und Griechenland, NSU und NSA, Flüchtlinge und nun die Abgas-Affäre bei Volkswagen: Wie machen Sie es, dass Ihnen auch zu extrem schlagzeilenträchtigen Themen noch etwas einfällt, was nicht schon jemand anders gesagt hat?
Wie sagte schon Karl Valentin: „Es ist schon alles gesagt, nur nicht von allen.“ Ich empfehle ja selbst, dreimal täglich zu googeln. Man kann alles googeln und da ist auch mancher Scherz dabei. Doch hier geht es um Unterhaltung. Und in dem Wort Unterhaltung steckt schon die Haltung drin. Die ist beim Kabarett entscheidend. Darauf kommt es an. Eine Haltung, die kann man nicht googeln. Die muss man einnehmen. Die sollte möglichst gerade sein, aber die Zuschauer sollten sich trotzdem biegen vor Lachen. Das ist Kabarett.
Wie begegnen Sie der Gefahr, als politischer Kabarettist dazu beizutragen, das Publikum an die in den Programmen beklagten Zuständen und die dafür Verantwortlichen zu gewöhnen, sodass es irgendwann nur noch herzlich lacht anstatt sich wenigstens mal zu empören?
Beides wird in den Abend gepackt: Meine Freude zu leben und mich lustig zu machen und meine Empörung über die unhaltbaren Zustände, die oft nur aufgrund unserer Gier oder unserer Gleichgültigkeit fortbestehen.
Wann hat politisches Kabarett zum letzten Mal die Politik verändert und was hat sich geändert?
Das ist eine persönliche Sache. Bei mir persönlich verändert das Kabarett täglich meinen Blick auf die Politik. Und zwischen Lachen und Weinen ist meine Reaktion, da muss was geändert werden.
Wundert es Sie noch, wenn eine Partei wie die CSU mit ihren Lieblingsprojekten wie der Herdprämie grandios scheitert und dennoch – zumindest in Bayern – jedes Mal die Wahl gewinnt?
Das ist keine Politik. Das sind Volkstänze eines Volksstammes, der seinen Restalkohol vom Oktoberfest ganzjährig nicht mehr loswird. Oder?
Denkt man an Atomausstieg, Mindestlohn und Einwanderung hat es den Anschein, als könnte auch Kanzlerin Angela Merkel machen, was sie will, ihrer Beliebtheit tut es keinen Abbruch. Was sagt Ihnen das über die Deutschen?
Noch fragwürdiger als beispielsweise die Manipulationen bei VW ist doch, dass wir Deutschen selber glauben, mit dem Geländewagen zurück zur Natur fahren zu können. So ein Volk glaubt auch, die Abgaswerte der Klimakanzlerin Merkel seien noch im grünen Bereich.
Am Tag nach ihrem Auftritt in der Begegnungsstätte Lemwerder jährt sich die Wiedervereinigung von Bundesrepublik Deutschland und DDR zum 25. Mal. Ein Grund zum Feiern?
Ja. Damals sind 16 Millionen Wirtschaftsflüchtlinge zu uns gekommen. Wir haben ihnen Asyl gewährt, obwohl sie nicht richtig deutsch sprechen konnten. Das war der Beginn unserer Willkommenskultur. Das feiern wir jedes Jahr.
Wären Sie selbst vielleicht gerne Politiker oder Wirtschaftsboss geworden? So könnten Sie vieles besser machen als diejenigen, die jetzt an der Macht sind.
Nein. Das täuscht. Ich mache ja extra Kabarett, weil es lustig ist. Würde ich ernsthaft etwas als Politiker oder Wirtschaftsboss versuchen, dann gäbe es nichts mehr zu lachen.
Durch wen oder was sind Sie Kabarettist geworden?
Durch tägliche Zeitungslektüre.
Wie lange wollen Sie noch Kabarett machen, und wann kommen Sie wieder nach Lemwerder?
Ich mache so lange Kabarett und suche Lemwerder heim, bis ich auf einer der schicken Jachten wegfahre, die vor Lemwerder in der Weser schwimmen. Sie werden jährlich größer.
Können wir uns darauf verlassen, dass sie dann wieder im Anzug erscheinen und einen Aktenkoffer voller Bild-Zeitungen dabeihaben, um anhand der Schlagzeilen das Zeitgeschehen zu kommentieren?
Genau. Ich freue mich auf Lemwerder und sein Publikum.
Das Interview führte Georg Jauken.
Seit 1977 als Kabarettist auf der Bühne
◼ Mit den „Drei Tornados“ trat Arnulf Rating im Jahr 1977 erstmals auf. Nach Eroberung der West-Berliner Alternativszene trat das kabarettistische Trio bei Anti-AKW-Demonstrationen, auf Straßen, in Theatern, Kneipen und autonomen Jugendzentren in Westdeutschland auf. Kurz nach der Wiedervereinigung begann der „Wessi“ Arnulf Rating eine Solokarriere und avancierte zum regelmäßigen Gast in der Begegnungsstätte (Begu) Lemwerder. Am Freitag, 2. Oktober, präsentiert er dort ab 20 Uhr auch sein brandneues Programm „Rating akut“. Wie immer, hat er einen Aktenkoffer voller Zeitungen dabei, um im Schnelldurchlauf aktuelle Schlagzeilen gegen den Strich zu lesen. Vor allem aber hat es ihm diesmal der Medienrummel angetan, dessen kurzlebige Botschaften digital über Smartphone-Displays und Flachbildschirme in die Köpfe der Menschen dringen. Rating empfiehlt: Abschalten, durchatmen und einfach mal schauen, was draußen los ist. Figuren, denen er in der bunten Welt begegnet ist, erweckt er auf der Bühne zu neuem Leben – um zu zeigen, dass der Wahnsinn überall lauert und nur entdeckt werden will. Tickets für „Rating akut“ in der Begu gibt es ab 16 Euro unter www.begu-lemwerder.de und an der Abendkasse. (gj)
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