Zu Beginn des Kindergartenjahres fehlten in Bremen 660 Kita-Plätze. Besondern problematisch ist die Situation in ärmeren Stadtteilen und an den Rändern der Stadt.
Zu Beginn des Kindergartenjahres fehlten in Bremen der Bildungsbehörde zufolge 660 Kita-Plätze. Doch wo mangelt es an diesen Plätzen? Und wie viele Eltern haben auch jetzt, drei Monate später, noch keine Betreuung für ihr Kind?
Das ist auf Nachfrage bei der Bildungsbehörde nicht zu erfahren. Doch wer in den Stadtteilen nachfragt, hört gerade dort, wo es viel Armut, Migration und Arbeitslosigkeit gibt, viele Klagen: Es mangele sowohl an Kita-Plätzen als auch an Hortplätzen. Ortsamtsleiter, Quartiersmanager und Mitarbeiterinnen von Kitas und Stadtteilzentren berichten von einem großen Bedarf.
Allerdings: Die Eltern, denen derzeit ein Kita-Platz fehlt, sind nicht leicht zu finden. Sie starten keine Petitionen, sie wenden sich selten an die Zeitung. In zentralen, bürgerlichen Stadtteilen wie der Östlichen Vorstadt seien die meisten Kinder letztlich irgendwie untergekommen, heißt es beim Familiennetz Bremen – nicht immer in der Wunschkita der Eltern, aber betreut.
Das Familiennetz hilft den Eltern
Schwieriger sei es in Stadtteilen, die eher an den Rändern der Stadt liegen, wie zum Beispiel in Walle oder Gröpelingen. Beim Familiennetz können sich Eltern aus dem ganzen Stadtgebiet beraten lassen. Dort meldeten sich zuletzt immer wieder Eltern, die noch keinen Betreuungsplatz haben, sagt Anja Lohse vom Familiennetz.
Doch nicht überall, wo es einen Bedarf gebe, werde dieser auch an die Behörden herangetragen. „Manche Eltern brauchen eine Kinderbetreuung, sind aber mit den Anmeldeformalitäten überfordert.“ Das betreffe gerade Familien, die neu in Bremen sind, gelte aber auch für viele Eltern ohne Migrationshintergrund.
Vertreter der Landesregierung kündigten zuletzt an, nun verstärkt in ärmeren Stadtteilen Kita-Plätze und Ganztagsschulen zu schaffen. In Huchting, Hemelingen und Osterholz-Tenever wird kritisiert: Bremen mache sich nun mehr auf den Weg, um gegenzusteuern, doch nur in kleinen Schritten und letztlich sehr spät.
„Bremen tut schon etwas für mehr Betreuung in diesen Stadtteilen, aber es reicht nicht aus, und es kommt sehr zeitverzögert“, sagt Aykut Tasan, Quartiersmanager des Schweizer Viertels, das teils in Osterholz und teils in Tenever liegt. „Bis das umgesetzt ist, ist die nächste Generation Kinder verloren.“ Allein im Schweizer Viertel fehlen Tasan zufolge mindestens 80 bis 100 Plätze.
Heike Groth vom Mütterzentrum Tenever ist mit vielen Familien vor Ort im Kontakt und bekommt mit, wenn Eltern keinen Kindergartenplatz bekommen. „Im Fall einer Mutter hat es von Juli bis September gedauert, bis sie einen Kita-Platz bekam – die Eltern hätten eine weitergehende Betreuung gebraucht, weil die Mutter eine Ausbildung als Einzelhandelskauffrau beginnt.“ Heike Groth hat oft mit arbeitslosen Eltern zu tun, oder mit Müttern, die mehrere Kinder haben.
Ohne Kita-Platz kein Job
„Das Problem ist: Der potenzielle Arbeitgeber möchte wissen, dass die Frau einen Kita-Platz hat, doch die Frau hat nur dann Anspruch auf mehr als vier Stunden Kinderbetreuung pro Tag, wenn sie einen Job nachweisen kann.“ Ein Teufelskreis: Frauen bekommen nicht mehr Betreuung, weil sie nicht arbeiten gehen, und womöglich keine Arbeit, weil sie keine Betreuung vorweisen können. „Es ist wirklich verzwickt“, sagt Groth.
Sie schreibt auch E-Mails für Eltern an die Behörde, wenn die Eltern nicht so gut Deutsch sprechen. „Viele haben Probleme mit der Schriftsprache, und viele haben auch Hemmungen, sich an die Behörde zu wenden und ihr Recht einzufordern“, sagt sie. Allerdings: Damit ein Bedarf auch real ankomme, sei es notwendig, dass die Eltern selbst E-Mails schreiben, das hört Heike Groth dann oft von der Behörde.
Doch dass Eltern ihr Recht schriftlich einfordern, ist in weniger bürgerlichen Stadtteilen oft nicht so einfach: Während gebildete Eltern aus wohlhabenderen Stadtteilen, die einen Kita-Platz brauchen, oft gut vernetzt sind und wissen, wo sie ihren Kita-Anspruch einfordern können, gehen Eltern aus Gröpelingen oder Tenever selten auf die Barrikaden. „Diese Eltern ziehen nicht vor Gericht“, sagt Groth. Dabei seien zuletzt in Tenever 60 Plätze einer evangelischen Kita in der Graubündener Straße weggebrochen. „Das hat sich massiv bemerkbar gemacht.“
Was aus mehreren Vierteln berichtet wird: Gerade Familien mit mehreren Kindern lassen ihr Kind oft letztlich gar nicht betreuen, wenn in der Kita, in der bereits die älteren Geschwister sind, kein Platz frei ist und es kein wohnortnahes Angebot gibt. Die Wege seien dann für die Mütter mit vielen Kindern auch kaum noch zu bewältigen.
Auch Kitas-Leitungen bedauern, dass sie nicht mehr Betreuung anbieten können, wenn Eltern Stunden aufstocken möchten. „Wenn zum Beispiel Eltern einen 450-Euro-Job annehmen, der bis in die Nachmittagsstunden geht, würden wir uns wünschen, dass wir den Eltern bei den Betreuungszeiten mehr entgegen kommen könnten“, sagt Petra Lossau, Leiterin der Kita an der Höhpost in Huchting.
Doch dafür müsse man mehr Plätze vorhalten, um flexibel reagieren zu können. Dies sei auch wichtig, wenn Eltern, die arbeitslos sind, vom Jobcenter in eine Umschulung, einen Sprachkurs oder ein Bewerbungstraining vermittelt würden und während dieser Zeit eine Kinderbetreuung brauchen.
Wichtig sind genug Kita-Plätze und Nachmittagsangebote an Schulen nicht nur für berufstätige Eltern, die konkret eine Betreuung für ihr Kind brauchen, sondern auch für die frühe Förderung von Kindern aus Zuwandererfamilien und bildungsfernen Familien.
Auf die fehlenden Kita-Plätze in benachteiligten Stadtteilen angesprochen, sagt Bildungsstaatsrat Frank Pietrzok (SPD): „Ich bin überzeugt, dass frühkindliche Bildung eine bildungsbiografische Großchance ist – an der Kita-Betreuung werde ich weiterhin arbeiten.“
Lange Wartelisten
Allerdings: Diese große Chance wird gerade dort, wo sie besonders wichtig wäre, vielen bislang nicht zuteil. Es gibt lange Wartelisten für Kinderbetreuung im Stadtteil, sagt Huchtings Ortsamtsleiterin Inga Neumann. Es mangele an Kita- und an Hortplätzen. Und es fehle der offenen Ganztagsschule an der Delfter Straße an Personal und Geld, um das Nachmittagsangebot für die Betreuung verlässlich umzusetzen.
Auch in Hemelingen ist der Bedarf groß, das berichten die Leiterin des Familienzentrums Mobilé und der Ortsamtsleiter des Stadtteils: „In Hemelingen fehlen 80 Kita-Plätze für Drei- bis Sechsjährige, es war Anfang des Jahres schon klar, dass 100 Plätze fehlen, und es ist überhaupt nicht vorangekommen“, sagt Jörn Hermening.
Lediglich 20 Plätze seien geschaffen worden. „Wir haben hier viele engagierte migrantische Eltern, aber die können ihren Kindern bei Fragen im Deutschen oft nicht helfen. Und auch viele Eltern, die keinen Migrationshintergrund haben, scheitern selbst an den Matheaufgaben.“ Kita und Hort dienten nicht nur der Verwahrung, betont er. „Ein Hort ist auch ein Integrationsort.“ Hermening kritisiert: „Es fallen diverse Leute durchs Raster, die keinen Platz bekommen, vor allem große Familien.“
Abschaffung der Kita-Gebühren