Endlich biegt er um die Ecke, eine halbe Stunde haben sie auf den Trecker mit dem Holzanhänger gewartet, jetzt kann es losgehen: Türen auf, hoch die Treppen, 44 kleine Schuhpaare trippeln auf dem Holzboden, und dann hört man es knarzen und knautschen als sich die Kinder auf den Kunststoffbezug der beiden Bänke rechts und links an den Wänden quetschen. Der Anfang einer Reise durchs Blockland bis zum Hof Kaemena.
Der Motor des Treckers brummt, die langen Holzlatten des Kremsers quietschen und ächzen. Es riecht ein wenig nach Bier, und vorne, direkt über dem Zapfhahn, baumelt ein Schnapsglas an einem Geschenkband von der Decke. Wo sonst Feiergesellschaften Platz nehmen, rutschen jetzt die Mädchen und Jungen der Klasse 2b der Schule an der Kantstraße an die Fenster ran. Statt zur Kneipe geht’s zum Bauernhof: Die Schüler sollen sehen, woher die Milch kommt.
Wobei: Das wissen die Kinder eigentlich schon, in der ersten Klasse war der Bauernhof Thema im Unterricht, doch mit eigenen Augen einen Stall gesehen, das haben die wenigsten der Sieben- bis Zehnjährigen. „Ich will unbedingt mal eine Kuh in echt sehen“, sagt Daniel und springt aufgeregt auf und ab.
Bis dahin dauert es aber noch, denn der Trecker fährt nur langsam, kriecht vorbei an einer Schleuse, unter Kastanien hindurch, bis es immer stärker nach Gülle riecht. „Iiiiih“, rufen die Kinder, doch gleich darauf ist alles wieder „voll schööööön“, und sie zeigen mit ihren Fingern hierhin und dorthin, als wären sie auf einer Entdeckungsreise. „Hier ist irgendwie voll viel Sonne“, sagt eines der Mädchen. „Bei uns ist fast nie Sonne.“
Schließlich kommt der Trecker mit einem Ruck zum Stehen, die Kinder packen ihre Rucksäcke und stürmen raus. Ein Hund steht in der Einfahrt zum Hof „Kaemena“ und begrüßt die jungen Gäste schwanzwedelnd. Die Schüler streicheln ihn kurz, entdecken dann den Spielplatz und die Melk-Holzkuh und die Hollywoodschaukel und rennen lachend über den Hof. Lehrerin Gudrun Kadura hat Mühe, sie alle wieder zu versammeln, denn jetzt ist erst einmal Pause angesagt. Frühstück. Vollkornbrote, Gurken- und Möhrenstangen. „Wir versuchen darauf zu achten, dass unsere Schüler nichts Ungesundes frühstücken“, sagt Kadura. Eis gibt’s später später aber trotzdem. Und auch dabei kann man etwas lernen.
Woher die Milch kommt, erzählt Frauke Kaemena-Murken, also geht es hinein in den Stall, des Blockland-Hofes, der bereits in der neunten Generation betrieben wird. In den Trögen liegen noch die Reste des Futters, der sogenannten Silage. „Kann man das essen?“, fragt eines der Kinder. „Schädlich ist es nicht“, sagt Frauke Kaemena-Murken. Und schwups – schon hat der Junge eine Handvoll feuchte Halme im Mund. Und weil alle laut „Bäääh“ rufen, schiebt er gleich die nächste Portion hinterher. „Schmeckt lecker“, sagt er, und kaut und kaut und kaut.
Das Wiederkäuen machen die Kühe am liebsten im Liegen, fährt die Erzieherin fort und deutet auf die Liegeplätze im Stall. „Die pupsen und pinkeln auch dorthin, wo sie schlafen.“ Die Kinder staunen, aber sie beschäftigt noch eine andere Frage: „Wenn es keine männlichen Kühe auf dem Hof gibt – wie kriegen die Kühe dann Kinder?“ Frauke Kaemena-Murken grinst, und versucht zu erklären, wie Tierzuchttechniker den Samen der Bullen verpflanzen. Die Schüler nicken nur. Das ist dann doch irgendwie zu kompliziert.
Also auf zur nächsten Station, dem Melkstall. Bis hierhin haben sie noch keine einzige Kuh aus der Nähe gesehen – die 70 Tiere sind auf der Weide. Dafür erfahren de Schüler nun, dass die Kühe zwei Mal täglich gemolken werden, „auch an Weihnachten und am Geburtstag“. Und dass sie morgens etwa zwölf und abends ungefähr acht Liter abgeben. Dass die Kühe dabei Radio hören (was aber mehr an den Vorlieben der Melker liegt), und dass sie spezielles „Kuhmüsli“ bekommen. Damit jedes Tier die richtige Menge Kraftfutter erhält, tragen die Kühe ein Halsband mit Computerchip. Alles läuft vollautomatisch.
Ein paar Schritte weiter sind Kälber in kleinen Ställen untergebracht. Jungtiere mit schwarzen Flecken und mit braunen, die neugierig ihre Köpfe durch die Stangen stecken und sich streicheln lassen. Als die Schüler erfahren, dass die Kälber zwei Wochen bleiben und dann bis zur Schlachtung in einem Mastbetrieb leben, ist die Empörung groß. „Aber ihr esst doch gerne Fleisch?“, fragt Frauke Kaemena-Murken. „Ja“, rufen die Kinder. Sie erfahren einiges über den Schlachtprozess und finden danach alles irgendwie gar nicht mehr so schlimm. Die Wurst entsteht eben doch nicht im Supermarktregal.
Zum Abschluss gibt es selbst gemachtes Eis, und dann geht’s mit dem Trecker auch schon wieder zurück vom Blockland in die Stadt. Wie die Schüler es fanden? „Total cool“, sagt die siebenjährige Femke. Und auch die Klassenlehrerin ist begeistert. „Ich habe die Schüler selten mit so viel Bewegungsdrang erlebt“, sagt Kadura. Die Gerüche, die Landschaft, all das scheine sich auf die Kinder auszuwirken. „Und ich glaube, sie nehmen Lebensmittel jetzt anders wahr.“
Einziger Minuspunkt: Sie haben noch immer keine ausgewachsene Kuh aus nächster Nähe gesehen. „Im Juli fahren wir auf Klassenfahrt aufs Land“, sagt die Lehrerin. Da vielleicht keine Schaukelfahrt mit dem Kremser-Wagen, dafür dann aber große Kühe zum Anfassen.
Hofbesuche als Pflichtprogramm
◼ Den Weg der Lebensmittel bis zur Entstehung zurückverfolgen, das will Jan Saffe für Schüler obligatorisch machen. Der Grünen-Politiker hat den Hofbesuch für die Kinder der Grundschule Kantstraße organisiert. „Ich glaube, dass es wichtig ist, dass sie wissen, was sie essen – und woher es kommt“ sagt der 55-Jährige. In der Waldorfschule gebe es bereits ein Konzept, das regelmäßige beziehungsweise längerfristige Aufenthalte auf Bauernhöfen einschließt. „Am liebsten wäre mir, dass alle Schulen so einen Besuch halbjährlich oder jährlich machen müssen.“ Der Mitbetreiber des Bauernladens im Viertel fordert einen Ressortzuschnitt, bei dem Ernährung eine bedeutendere Rolle spielt. Der soll sich dann verstärkt damit beschäftigen, bewusste Ernährung sowohl in den Schulmensen, als auch im Unterricht stärker zum Thema zu machen.
TME