Es ist düster. Das braune, goldgelbe Laub klebt auf der feuchten Straße. An der Abbiegung von der Friesenstraße zur Horner Straße schimmert nur das Licht der Straßenlaterne etwas. In der Kneipe an der Kreuzung ist es dunkel. Seit ein paar Tagen wird es hier nicht mehr hell. Und das hat nichts mit dem Herbst zu tun. Die Kultkneipe Horner Eck hat geschlossen.
Betreiber und Wirt Enno Barfs musste aufgeben, wie er dem WESER-KURIER auf Nachfrage bestätigt. Er rutschte in die Privatinsolvenz. Rund 35 Jahre lang hat er den Eckladen mitten im Bremer Viertel betrieben. Immer wieder hat der 68-Jährige für das Überleben, das Weiterbestehen seines Lokals gekämpft. Jetzt geht es nicht mehr. Schluss. Aus. „Es tut mir sehr weh“, sagt Enno Barfs. Nur langsam lasse der Schmerz nach. „Ich bin durch damit“.
Das Aus für die kultige Eckkneipe an der Friesenstraße, Hausnummer 95, drohte nicht das erste Mal. Als sich das Ende der Traditionsglasbierstätte zuvor einmal angekündigt hatte, griffen die Besucher und Liebhaber der Einrichtung ein. Sie unterstützten finanziell und halfen dem Gastwirt. „Ich bin immer noch tief beeindruckt von der Solidarität der Stammgäste“, sagt Enno Barfs. Das Zusammengehörigkeitsgefühl, die Unterstützung und das Eintreten füreinander der Besucher sei einzigartig gewesen. „Ich kann mich nur bedanken bei meinem Gästen“, sagt Barfs, den eigentlich alle nur als Enno kennen.
Am Ende hat es einfach nicht mehr gereicht. Das Aus sei dann schneller als gedacht und überraschend gekommen. Einer der Hauptgründe: Es kamen zu wenig Besucher, die auch an der Theke blieben. Auch die immer stärkere Konkurrenz durch 24-Stunden-Läden und Kioske änderten das Ausgehverhalten der Besucher. Die Menschen kaufen ihr Bier bis um Mitternacht im Supermarkt, trinken es auf der Straße. Die Eckkneipe hatte immer ein sehr gemischtes Publikum, doch vor allem immer weniger jüngere Gäste kamen. So gab es ein frisch gezapftes Pils immer seltener. Und irgendwann hing dann das Haake-Beck-Schild außen an der Kneipe kopfüber.
Das Horner Eck ist eine unspektakuläre, sympathische Eckkneipe. Mit einer ganzen Menge an Außenplätzen. Hier erzählen nicht nur die Gäste Geschichten aus der Vergangenheit, ihren wilden Zeiten. Hier saß der Student neben dem Lehrer, der junge Künstler neben dem Rentner. Von allen Seiten blickte unter vielen Bildern immer wieder Frank Zappa von den Wänden – in den verrücktesten und verschiedensten Posen. Einige der Bilder sind handsigniert.
Vom frühen Abend bis in die Nacht
Viel Platz zum Stehen gab es nicht in der Kneipe, die viele als eine Institution im Viertel beschreiben. „Ich habe hier immer tolle Musiker gehabt“, sagt Enno Barfs, der gewissermaßen auch Veranstalter war. Besonders gerne erinnert er sich an den Auftritt des US-amerikanischen Gitarristen Eugene Chadbourne – „das war wunderbar“. Als die „Zukunft an der Gitarre“ sah er Sandro Giampietro. Den Gitarristen von Helge Schneider holte er wie auch zahlreiche Blues-Musiker aus Ostfriesland in seinen Laden. Es sind schöne Erinnerungen, die bleiben.
Enno führte die Kneipe seit 1983, mal mit mehr, mal mit weniger Hilfe. Zuletzt hatte er auch wieder einen Koch, einen aus der Villa Ichon, der auch mal am Tresen half. Aber in der Regel war es Enno, der am Zapfhahn stand. Früher auch mal in der Küche. Vom frühen Abend bis in die Nacht, je nachdem wie lange die Gäste blieben und was sie erzählten. In einem Porträt über den Gastwirt im WESER-KURIER hieß es: „Der Wirt als Beichtvater und Sozialarbeiter, so viele Kneipen gibt es nicht, in denen das noch so ist.“
Ohne gute Geschichten und ein flottes Mundwerk war man hier fehl am Platz. Enno besitzt beides, er kann aus einem reichen Fundus schöpfen. Der gebürtige Ostfriese („Rheiderländer“) hat viel erlebt. Die Zeit beim Wasserwirtschaftsamt in Leer, als er mit Landwirtschaft, Straßenbau und Brückenbau zu tun hatte. Vier Jahre in Berlin, in denen er politisiert wurde. Er ist ein Linker durch und durch. Nach Bremen hat es ihn Ende der 1970er-Jahre verschlagen, sein Bruder hatte hier eine Kneipe aufgemacht. Nun wird er bald Großvater. Für das Horner Eck wünscht er sich, dass jemand gefunden wird, der den Laden wieder öffnet und weiterführt.