Zwölf Quadratmeter. So viel Platz hat Jeff Hemmer in seinem neuen Atelier, das sich in einer Ateliergemeinschaft in der Neustadt befindet. Zwölf Quadratmeter, um seiner Kreativität freien Lauf zu lassen. Denn der 38-Jährige hat sich gerade als Comiczeichner, Illustrator und Workshopleiter selbstständig gemacht. Die Räumlichkeiten an der Kornstraße teilt er sich mit zwei weiteren Künstlerinnen, mit denen er schon zuvor in einem anderen Atelier zusammenarbeitete. An den Wänden hängen Zeichnungen, weitere verstecken sich in einem Regal in der Ecke des Raumes. Zwei Schreibtische dienen als Arbeitsplatz, auf dem einen zwei Federmäppchen, randvoll mit Stiften, auf dem anderen das halb fertige Bild einer Katze. Alles wirkt noch ein wenig spartanisch, aber gut, Hemmer ist ja auch gerade erst eingezogen.
Bis vor Kurzem war das Zeichnen in Hemmers Leben noch ein nettes Beiwerk. Das, was er gemacht hat, wenn er Feierabend hatte. Einfach nur zum Spaß, oder um sich ein bisschen was dazuzuverdienen. In Hemmers Familie wurde schon immer viel gezeichnet. Auch seine Mutter und Großmutter waren sehr kreativ, schon als er klein war gingen sie mit ihm auch oft ins Museum. Aber: „Die Grundhaltung war immer, dass Kunst ein Hobby ist und nichts, womit man seinen Lebensunterhalt verdient“, erinnert er sich.
Der in Luxemburg aufgewachsene Künstler bekam zwar schon früh viele Comics geschenkt, versuchte sogar selbst „Das lustige Taschenbuch“ nachzuzeichnen, aber Comiczeichner werden? Eine Idee, die noch in weiter Ferne lag. Auch in der Zeit als Teenager rückte das Interesse am Zeichnen eher in den Hintergrund. „Ich hab höchstens mal ein Daumenkino in meine Schulbücher gemalt“, sagt Hemmer. „Oder das Artwork für meine Band gemacht.“
Hemmer studierte Englisch und Geschichte in Aberdeen, Schottland. Hier entdeckte er politische Comics für sich und begann wieder mehr zu zeichnen. Nach Abschluss seines Studiums ging er zurück nach Luxemburg, wo er an einer Oberschule Englisch unterrichtete. „Ich habe mich aber nicht wohl damit gefühlt“, sagt er. Die Schule hatte einen Kunst- und Handwerksschwerpunkt, und immer wieder habe er sich dabei erwischt, wie er neidisch auf die Kolleginnen blickte, die in diesen Bereichen unterrichten durften. Alleine, weil der Umgang mit den Schülern viel zwischenmenschlicher sei als beim Unterrichten einer Sprache.
Bremen ist zur Heimat geworden
Das Zeichnen, so Hemmer, habe ihn in dieser unzufriedenen Zeit aufgefangen. Er wurde immer besser, von 2008 bis 2009 erschien sogar einmal im Monat ein Comic von ihm in der luxemburgischen Wochenzeitschrift „Woxx“. Schließlich bewarb er sich an zwei Kunsthochschulen. An einer von beiden – der Bremer Hochschule für Künste (HfK) – wurde er genommen. Von 2009 bis 2012 studierte er Integriertes Design. Bremen ist mittlerweile zu seiner dauerhaften Heimat geworden.
Zurück im Atelier. Hemmer schaltet das Licht seines Zeichenschreibtisches aus, an dem er gerade noch die Skizze der Katze mit schwarzem Fineliner bearbeitet hat. Neben dem Schreibtisch steht ein Plattenspieler. Man kann es sich bildlich vorstellen: Der kreative Kopf, der, bevor er zu arbeiten beginnt, noch einmal seine Plattensammlung durchschaut, das Richtige für seine Stimmung aussucht und dann vorsichtig die Nadel aufs Vinyl legt. Doch Pustekuchen: „Ich höre zwar Musik beim Arbeiten, aber mit dem Handy über Kopfhörer“, sagt er. Der Plattenspieler sei eher Deko, um auf das von ihm entworfene Schallplattendesign aufmerksam zu machen, das direkt daneben aufgebaut ist. Hauptsächlich laufe bei ihm Noise, „jazzige Sachen“ oder auch mal „krasse Pop-Musik“.
Hemmer lehnt sich in seinem durchgesessenen Schreibtischstuhl zurück und erzählt weiter, wie es denn nun dazu kam, dass er sein Hobby doch noch zum Beruf gemacht hat. Direkt nach dem Studium war es nämlich noch immer nicht so weit. Auch, wenn ihm mittlerweile klar war, dass es die Kunst ist, die ihn glücklich macht. Er arbeitete erneut als Sprachlehrer und noch bis vergangenes Jahr als pädagogische Fachkraft für eine Jugendhilfeeinrichtung für unbegleitete geflüchtete Minderjährige.
Die Kunst blieb Beiwerk. 2016 dann der Anstoß dafür, dies zu ändern: Auf Einladung der Robert-Bosch-Stiftung Kairo gab er gemeinsam mit einem ägyptischen Comiczeichner einen Workshop bei der Egypt Comic Week. Die Arbeit machte ihm Spaß und so versuchte Hemmer darauf aufzubauen. Seit 2017 gibt er regelmäßig Comic-Workshops für Kinder beim SOS-Kinderdorf, ab 2019 kamen dann auch Anfragen von Schulen und weiteren Interessenten wie der Stadtbibliothek oder dem Lidice-Haus hinzu. Beim Wohnungslosen-Angebot der Uni der Straße hat er auch schon einen Kurs für Erwachsene geleitet. „Ich hoffe, dass ich diesen Bereich noch weiter ausbauen kann“, sagt Hemmer.
Ein Comic über einen anarchistischen Philosophen
Doch Jeff Hemmer gibt nicht nur Workshops, er konzipiert auch freie Projekte und übernimmt Auftragsarbeiten, bisher vor allem im Bereich der politischen Bildung. Frei arbeitet er gerade an einem sechsseitigen Comic über den anarchistischen Philosophen und Schriftsteller Gustav Landauer. Auch dieses Werk präsentiert Hemmer an der Wand seines Ateliers. Zudem zeichnet er aktuell einen Comic für den Flyer zu einem Projekt, das den Austausch zwischen angehenden Polizeibeamten und jugendlichen Flüchtlingen fördern soll.
In anderen Ländern würden Comics bereits in allen möglichen Bereichen zur Informationsvermittlung genutzt, so Hemmer. Zwar werde dies auch in Deutschland langsam mehr, „es ist aber noch viel Luft nach oben.“ Für das Bremer Service-Bureau Jugendinformation zeichnete Hemmer beispielsweise Kurzcomics für eine Kampagne zur Stärkung der digitalen Zivilgesellschaft. Für die Bildungsarbeit von Amnesty International Deutschland entwickelte er einen komplett wortlosen Comic, der aufzeigt, wie sich jeder Einzelne für Menschenrechte engagieren kann. „Es gibt so viel, was man mit Hilfe von Comics vermitteln könnte“, sagt er. Sich Konzepte für neue Arbeiten auszudenken und diese dann umzusetzen, während man bei jeder Zeichnung etwas Neues dazulernt.
Das sind die Aspekte, die Comic-Zeichner Jeff Hemmer an seiner Arbeit am meisten liebt. „Warum stelle ich etwas dar? Wie stelle ich etwas dar? Jeder Strich ist eine Entscheidung“, sagt er. Denn: „Etwas zu zeichnen, dessen Botschaft auch andere verstehen, ist ein unglaublich schönes Gefühl.“