Rolf Hochhuth ist tot Ein passionierter Störenfried

Mit seinem Drama „Der Stellvertreter“ verursachte Rolf Hochhuth 1963 den ersten veritablen Theaterskandal der Bundesrepublik. Auch danach blieb er unbequem - und umstritten.
15.05.2020, 13:15 Uhr
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Ein passionierter Störenfried
Von Iris Hetscher

Bremen. Die Literatur- und Theatergeschichte wird Rolf Hochhuth für zwei Werke immer Platz einräumen. 1963 wurde sein Drama „Der Stellvertreter“ gedruckt und uraufgeführt, und es löste den ersten Theaterskandal der noch jungen Bundesrepublik Deutschland aus. 15 Jahre später erschien Hochhuths investigative Erzählung „Eine Liebe in Deutschland“, die ein politisches Beben zur Folge hatte: Der CDU-Politiker Hans Filbinger, damals Ministerpräsident von Baden-Württemberg, trat deswegen ein halbes Jahr später zurück. Und Hochhuth verarbeitete das Ganze zu einem weiteren Theaterstück: „Die Juristen“, 1979 uraufgeführt. Das Thema beider Werke: die unaufgearbeitete, ja beiseitegeschobene NS-Vergangenheit. Der Stil: dokumentarisch und schmucklos. Der Anspruch: aufklärerisch.

Moralische Grundsätze

Mit „Der Stellvertreter“ trat Hochhuth eine Debatte um die Verantwortung von Papst Pius XII. während des Holocausts los, in einem Text, in dem neben fiktiven Personen auch tatsächliche vorkommen. Die übergeordnete Frage: Welches Maß an Verantwortung hat jeder Einzelne für das, was er tut? Für Hochhuth muss die Entscheidung stets von moralischen Grundsätzen geleitet sein.

Der große politische Regisseur Erwin Piscator richtete die Uraufführung an der Freien Volksbühne in Berlin ein. Danach wurde es fast schon flächendeckend in Europa, aber auch am Broadway inszeniert und löste nicht nur erregte Diskussionen, sondern mancherorts sogar Tumulte aus. Der 32-jährige Autor war auf einmal bekannt als Vertreter des dokumentarischen Theaters, zwei Jahre nach „Der Stellvertreter“ sorgte Peter Weiss mit „Die Ermittlung“ hier für ein weiteres Highlight.

Hochhuths nächster großer Streich befasste sich 1978 mit der Vergangenheit Hans Filbingers (1913-2007). Dieser war während des Zweiten Weltkriegs Marinerichter gewesen; Hochhuth behauptete in seiner Erzählung, Filbinger habe nach dem Ende des Krieges „einen deutschen Matrosen mit Nazi-Gesetzen verfolgt“ und bezeichnete ihn als „furchtbaren Juristen“. Filbinger klagte, doch schließlich belegten Aktenfunde, dass er noch 1945 Todesurteile gesprochen hatte. Hans Filbinger war nicht mehr zu halten. Und erneut hatte der Schriftsteller Hochhuth der Republik den Spiegel vorgehalten und ihr zudem einen Skandal beschert.

Dabei zielte die berufliche Laufbahn des 1931 im nordhessischen Eschwege geborenen Rolf Hochhuth zunächst eher aufs Bücherverkaufen und nicht aufs Bücherschreiben. Hochhuth arbeitete nach der mittleren Reife und einer Buchhändlerlehre zunächst in Antiquariaten in Marburg, München und Kassel, besuchte aber auch Uni-Vorlesungen. Sein Interesse galt der Literatur, aber auch der Geschichte und der Philosophie. Nach und nach begann er, eigene Texte zu verfassen. „Der Stellvertreter“, für den er eigens zu Recherchen nach Rom reiste, war 1961 fertig.

Nach diesem Sensationserfolg legte Hochhuth mit weiteren, natürlich politisch grundierten Stücken nach, überhaupt war der Schriftsteller für ihn einer, der sich einmischen muss. Das trug ihm mitunter Anwürfe von höchster Stelle ein: Bundeskanzler Ludwig Erhard (CDU) meinte auch Hochhuth, als er engagierte Autoren und Künstler 1965 als „ganz kleine Pinscher“ bezeichnete, die sich nicht in Dinge einmischen sollten, von denen sie keine Ahnung hätten.

In den 1980er-Jahren wurde es ruhiger um den Autor, der aber weiterhin fleißig publizierte, neben Stücken auch Novellen, Erzählungen, Lyrik und Essays. Nach der deutschen Wiedervereinigung sollte sich sein aufklärerischer Impetus dann nach und nach ins unangenehm Rechthaberische wenden. Hochhuth kaufte das unauslöschlich mit dem Namen Bertolt Brecht verknüpfte „Theater am Schiffbauerdamm“, die Heimat des Berliner Ensembles. Er vermietete das Theater an das Land Berlin, behielt sich aber vor, dort seine Stücke aufführen zu können. Das sorgte in der Szene nicht nur für böses Blut, sondern auch für jede Menge Spott. Denn Hochhuth stand schon längst nicht mehr so häuftig auf den Spielplänen wie noch in den 1970er-Jahren.

Lob für David Irving

Mit den Stücken, die er nun schrieb, und die sich, wie „Wessis in Weimar – Szenen aus einem besetzten Land“ (1993) oder „McKinsey kommt“ (2004) eher plump denn scharfkantig mit veränderten sozialen Realitäten befassten, konnte er bei der Kritik selten punkten. Die hatte sowieso immer schon seine eher begrenzten stilistischen Fähigkeiten moniert.

Hochhuth fiel jetzt durch Absonderlichkeiten auf. Er lobte den britischen Holocaust-Leugner David Irving – und nahm das später zurück. Aus der Berliner Akademie der Künste trat er mit großem Bohei aus, nachdem Günter Grass dort das israelkritische Gedicht „Was gesagt werden muss“ vorgetragen hatte. Eher unter die Kategorie Kurioses fiel 2005 sein Gastauftritt in der Serie „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“, mit deren Cast er kurz danach sein Stück „Familienbande“ besetzte. 2016 gab der 85-Jährige dann sein „Grundbuch“ mit Kurzgedichten heraus. Eins davon lautet: „Niemand wird mich bald noch spielen, lesen – bin ich überhaupt gewesen?“

Am Donnerstag ist Rolf Hochhuth mit 89 Jahren in Berlin gestorben.

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