Los Angeles. Am Ende ist es unmöglich, diese Frauen nicht zu mögen. Unter Tränen steht Adele auf der Bühne des Staples Centers in Los Angeles und schluchzt: „Ich kann das nicht annehmen. Die Künstlerin meines Lebens ist Beyoncé.“ Sekunden zuvor war die Britin als letzte Siegerin der 59. Grammy-Verleihung ausgerufen worden. Ihr „25“ setzte sich in der Königskategorie bestes Album des Jahres gegen „Lemonade“ von Beyoncé durch. „Du bist unser Licht“, sagte sie in Richtung ihrer Konkurrentin. Es war der versöhnliche Abschluss eines monatelangen Wettbewerbs um den begehrtesten Musikpreis der Welt. Britsche Bodenständigkeit gegen amerikanischen Glamour. Am Ende gehen nun beide Frauen als Siegerinnen von der Bühne, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen.
In Adeles Fall ist da die makellose Grammy-Bilanz dieses Abends: Fünf Mal war sie nominiert, fünf Preise hat sie gewonnen, darunter die in den drei Hauptkategorien „Lied des Jahres“, „Aufnahme des Jahres“ und „Album des Jahres“. Auf 15 Trophäen kommt sie insgesamt in ihrer Karriere.
Die Herzen des Publikums erobert sie an diesem Abend aber mit einer Panne: Während ihrer Darbietung von „Fastlove“, einer von Streichern getragenen Version zum Gedenken an den verstorbenen George Michael, bricht sie ab. Sie flucht, entschuldigt sich sofort dafür und erklärt: „Ich kann das nicht versauen, seinetwegen.“ So viel Menschlichkeit und Größe lieben die Stars – Standing Ovations waren der Lohn. Auch Beyoncé begeistert mit einer eindrucksvollen Show. Der erste großer Auftritt nach Bekanntwerden ihrer Schwangerschaft bietet weit mehr als nur Gesang. Ihre Performance gerät zum anspielungsreichen Hohelied auf die Mutterschaft und die Kraft der Frauen. In einem umwerfenden goldfarbenen Kostüm legt die 35-Jährige eine Multimedia-Performance mit Hologrammen und zwei Dutzend Tänzerinnen hin, das unter anderem an das letzte Abendmahl Jesu erinnert.
Im Vergleich bleibt da der Rest des Abends zwangsläufig blass. Anders als bei der engagierten Rede Meryl Streeps anlässlich der Golden Globes vor einigen Wochen bekommen die Zuschauer von „Music‘s Biggest Night“ keine große Rede gegen den neuen US-Präsidenten Donald Trump zu hören und zu sehen. Am politischsten sind da noch die Hip-Hopper von A Tribe Called Quest, die zusammen mit Busta Rhymes und Anderson Paak auf der Bühne stehen. Sie trommeln Dutzende Statisten zusammen und lassen sie eine Mauer durchbrechen.
Zum Ende reißen Frauen in Kopftücher und Afroamerikaner ihre Arme hoch und fordern zum fortdauernden Widerstand auf: „Resist!“ Andere sind zurückhaltender, Katy Perry trägt zum Beispiel ein Armband mit dem ähnlichen „Persist“ während ihres Songs „Chained to the Rhythm“. Von ihrem Song wird wie auch von den übrigen Auftritten wenig in Erinnerung bleiben. Metallica-Sänger James Hetfield plagen bei seiner Heavy-Metal-Performance mit Lady Gaga Mikrofonprobleme. Bruno Mars gibt in lilafarbenem Anzug den verstorbenen Prince, zusammen mit dessen langjähriger Funk-Truppe Time. Und Little Big Town, Demi Lovato, Andra Day und Tori Kelly bekommen Nostalgie-Punkte für ihr Bee-Gees-Medley anlässlich des 40-jährigen Jubiläums der Veröffentlichung von „Saturday Night Fever“. Alles hochprofessionell, aber eben nicht wirklich nachhaltig. Ein späte Ehre kommt dem 2016 verstorbenen David Bowie zu Teil. Sein Album „Blackstar“, das zwei Tage vor seinem Tod erschienen war, wird in fünf kleineren Kategorien ausgezeichnet. Zu Lebzeiten hatte der Sänger nur einen Grammy gewonnen. Am Ende bleibt vielleicht noch ein Wort zu den Verlierern des Abends: Rihanna geht trotz acht Nominierungen leer aus und auch dem früheren Skandalstar Justin Bieber bleibt das Lob für seinen Imagewandel („Sorry“) versagt. Für den 22-Jährigen ist in der Dramaturgie dieses Abends schlicht kein Platz – stattdessen feiert die Musikbranche zwei unterschiedliche Frauen und die Facetten ihrer Weiblichkeit.