Hochschule der Künste führt in der Überseestadt die Oper "Die Schändung der Lukrezia" von Benjamin Britten auf Erschreckend aktuelle Geschichte

Ein Krieg bedeutet nicht nur unermessliches Leid für ganze Völker, er entstellt auch die einzelnen Menschen, Frauen und Männer gleichermaßen. Benjamin Brittens Kammeroper "The Rape of Lucretia" ("Die Schändung der Lukrezia"), 1946 unter den furchtbaren Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs entstanden, erzählt davon. Die Hochschule für Künste führt sie nun im BLG-Forum der Überseestadt auf.
16.06.2012, 05:00 Uhr
Lesedauer: 3 Min
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Von éva Pintér

Ein Krieg bedeutet nicht nur unermessliches Leid für ganze Völker, er entstellt auch die einzelnen Menschen, Frauen und Männer gleichermaßen. Benjamin Brittens Kammeroper "The Rape of Lucretia" ("Die Schändung der Lukrezia"), 1946 unter den furchtbaren Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs entstanden, erzählt davon. Die Hochschule für Künste führt sie nun im BLG-Forum der Überseestadt auf.

Bremen. Die Männer im öden Kriegslager besaufen sich und putschen sich mit obszönen Frauengeschichten auf (was die Tür für Gewalt und Vergewaltigung als Ventil öffnet); die Frauen zu Hause langweilen sich und versuchen, durch seichte Unterhaltung oder eben keusche Sprüche ihr unbefriedigendes (weil ja auch unbefriedigtes) Leben zu meistern. Gibt es in dieser bis heute schrecklich aktuellen Geschichte noch Trost oder gar Erlösung? Benjamin Brittens Oper "The Rape of Lucretia", jetzt von Studenten und Lehrenden der Hochschule für Künste im BLG-Forum aufgeführt, liefert darauf keine klare Antwort.

Die Geschichte der vom Tyrannensohn Tarquinius vergewaltigten Römerin Lukrezia, die aus ihrer Schande nur den Selbstmord als Ausweg sieht, mündet in eine christlich-religiöse Botschaft von allgemeiner Vergebung der Sünden durch unseren Erlöser – ein fragwürdiger, oft kritisierter Schluss der Oper, der jedoch zu Brittens Vorliebe für offen bleibende moralische Fragen passt.

Musikalische Leistung

Brittens Kammeroper wurde unter der Regie von Gregor Horres in einer hochinteressanten und fantasievollen Darbietung aufgeführt. Die Bühne besteht aus einem langen Steg, der links nach außen offen bleibt und trotz unangenehm kalter Luft und gelegentlicher LKW-Geräusche eine stimmige Idee für die imaginäre Verbindung zwischen der Außenwelt und dem hermetisch geschlossenen dramatischen Geschehen versinnbildlichte. Das Orchester (zwölf Musiker) sitzt in der Mitte; links davon agieren die Darsteller, rechts stehen die beiden Erzähler (bei Britten Chor genannt, dennoch solistisch besetzt). Beim häufigen Überqueren des Stegs ergaben sich aber immer wieder vielschichtige Verbindungen zwischen kommentierenden und handelnden Personen. Durch einen halbdurchsichtigen Vorhang wird das Bühnenbild wie in eine irreale Welt versetzt, in der Traum und Wirklichkeit schwer zu trennen sind und damit die zeitlose Botschaft des Werkes wie auch dessen offen gebliebene Fragen eine schlüssige Deutung erhalten.

Sehr charakterstark die Kostüme: Die beiden Erzähler erscheinen in einem komplementären, sich bis zur Haarfarbe im Kontrast ergänzenden schwarz-weißen Outfit, die jeweils drei Männer und Frauen der Geschichte in bunten, oft überbordend protzigen Gewändern – wunderbar das majestätische Rot des Tarquinius und das genauso rote, aber blütenartige Kleid der Lukrezia als verstecktes Symbol für ihre latente Zusammengehörigkeit. Weniger überzeugend wirkte hingegen die Bühnenbewegung: Neben fast rituell-statuenhaften Momenten (die zu Brittens Intention bestens passen) erlebt man zu viel Hin- und Herlaufen, womit wohl die Gefühlsregungen der Darsteller veranschaulicht werden soll, was jedoch meistens ziel- und hilflos wirkt. Zum Verstehen des Dramas wäre übrigens eine auf den oberen Bühnenrand projizierte kurze deutsche Textzusammenfassung hilfreich gewesen – warum waren dort nur die Texte der Erzähler zu lesen?

Höchstes Lob verdient die musikalische Wiedergabe. Unter der Leitung von Kenneth Duryea (der auch die Rezitative am Klavier begleitete) boten die Instrumentalisten eine spieltechnisch tadellose, in Klangfarben facettenreiche Leistung und stellten damit beeindruckend unter Beweis, welche faszinierende Farbenvielfalt Britten selbst in dieser kleinen Besetzung zu erreichen vermag. Die beiden Erzähler (Luise Eckardt und Tomonobu Kurokawa) überzeugten durch ihre scheinbar narrativ-unbeteiligte, in Wirklichkeit sehr wohl mitfühlende Wiedergabe; Grzegorz Rozkwitalski gefiel als zynisch-provozierender Junius, Miroslav Stricevic (Collatinus) als weiser und sensibler Ehemann von Lukrezia. Lissa Meybohm (Bianca) und Marina Szudra (Lucia) erschienen als sensible und sehnsuchtsvolle Begleiterinnen Lukrezias. Huiyeol Kim vermochte die Brutalität und Hemmungslosigkeit von Tarquinius ebenso zu veranschaulichen wie dessen letztlich doch subtile Gefühle für Lukrezia, wenn dieser etwa am Schluss der Vergewaltigungsszene noch etwas unschlüssig-zärtlich um sein Opfer herumschleicht; Tomomi Ikkaku verlieh der Hauptfigur nicht zuletzt durch ihren tief empfindsamen, samtenen Gesang eine rührende Würde.

Weitere Termine: 16., 18., 20. und 22. Juni, jeweils 19.30 Uhr, BLG-Forum Überseestadt; um 18.30 Uhr gibt es eine Werkeinführung.

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