Herr Pfleiderer, Sie tragen heute Hut statt Mütze. Haben Sie ihm schon ein Gedicht gewidmet?
Eberhard Pfleiderer: Nee, noch nicht. Vor Hüten warne ich ja auch eher: Hüte dich vor den Behütenden! Setze deine Mütze auf! Ich bin ein Mützenfetischist und habe eigentlich immer Mützen auf. Hüte nur ausnahmsweise mal zu besonderen Events.
Ich trage heute meine gelbe Strickmütze. Fällt Ihnen dazu spontan etwas Lyrisches ein?Mhm. Diese Mütze, die gelbe, sonnige behütet eigentlich auch gut. Sie ist ein Zwischending zwischen Mütze, Wolle und Hut – und das ist gut.
Mit „Das Leben der Mützen“ haben Sie dem Thema Kopfbedeckung ein ganzes Büchlein mit Bildern, Lyrik und Kurzprosa gewidmet. Darin habe ich gelernt, dass Pelzmützen besitzergreifend sind, Zylinder nicht gerne Bus fahren und Schirmmützen nichts können, außer (ab)schirmen. Wie kam die Idee zu Ihrem Buch?Darauf gekommen bin ich durch eines meiner frühen Lieblingsbücher, Günter Kunerts „Im Namen der Hüte“ von 1967. Die Grundidee des Romans – eine DDR-spezifische Kritik –, dass man seine Meinung ändert, je nachdem, welchen Hut man auf hat, hat mich immer fasziniert. Die Idee, dass Hüte oder Mützen etwas mit einem machen – damit wollte ich mich befassen. Also habe ich mir meinen Mützen-Alltag mal genauer angesehen. Auch fiktiv – ein „Rotkäppchen“ schlachtet zum Beispiel einen Wolf auf einem Kneipenklo ab. Meine Grundidee war, dass Mützen ein Eigenleben führen, dass sie mit ihrem Träger und der Gesellschaft kommunizieren. Mützen drücken etwas Bestimmtes aus, und sie verändern auch mich als Träger.
In Kunerts Buch geht es ja auch darum, dass der Protagonist die Gedanken derjenigen lesen kann, deren Hüte er trägt. Ist das ein verlockender Gedanke?Nein, finde ich nicht. Gedanken können gefährlich sein. Oder niederschmetternd. Schöner ist die Freiheit der Gedanken und sich selbst Fantasien über die Gedanken anderer zu machen. Wenn Hirnforscher irgendwann mal Apparate konstruieren können, mit denen mein Gegenüber meine Gedanken lesen kann, wäre das Leben nicht mehr so schön. Das wäre ein Krieg, aller gegen alle.
In Ihrem Buch lesen Sie auch die Gedanken Ihrer Mützen. Wie viele haben Sie?Mehr als 50. Einige Mützen trage ich ständig. So lange, bis sie schlapp machen und sich auflösen. Insgesamt hatte ich sicher schon mehr als 100 Mützen. Einige sind nur leider irgendwann gestorben. Allgemein bin ich eher Träger als Sammler. Gerade in anderen Ländern gucke ich aber schon mal genauer hin, weil es dort meist interessantere Mützen gibt als hier. In Frankreich kann man gut fündig werden. Meine neueste Erwerbung ist eine kirgisische Mütze. Ich war im Herbst für einen Monat in Kirgistan. Dort tragen die älteren Männer Filzmützen. In Kirgistan sitzt man damit auch in der Kneipe oder in einem Café. Hier in Deutschland müsste man sich dafür erst mal Mut antrinken.
Wann hat Ihre Leidenschaft begonnen?Das war nach meinem Umzug vor über 40 Jahren. Ich habe in Süddeutschland und Berlin studiert und bin dann als Lehrer nach Bremerhaven gekommen. Das war der Hammer. Nicht wegen der Schule, aber wegen des Klimas. Ich bin dauernd krank gewesen! Mein HNO-Arzt hat gesagt, es gibt drei Möglichkeiten: Entweder Sie krepieren, Sie gehen wieder in den Süden, oder Sie müssen ihren Kopf bedecken. Da habe ich die dritte Möglichkeit gewählt und angefangen, Mützen zu tragen. Heute lasse ich meine Mützen manchmal sogar in Räumen auf. Früher habe ich mich das nicht getraut, aber als Rentner darf man das.
Ihre Lieblingsmütze ist blau, verwaschen und „unglaublich langweilig“. Was sagt das über Sie aus?Vielleicht bin ich auch so? In Bremerhaven ist halt das Wetter oft verwaschen. Im Winter trage ich aber auch gerne ansprechende, farbige Mützen, die gegen das Grau anstinken. Fremde Leute grüßen einen dann plötzlich oder lächeln einem zu. Manche Leute führen Hunde spazieren und lernen so Leute kennen, manche führen eben Mützen spazieren. Ich frage mich bei anderen Mützenträgern auch oft, was für ein Mensch wohl unter der Mütze steckt.
Sie schreiben sehr viel, haben sich in der Vergangenheit schon mit Themen wie Fehlern, dem Warten, Träumen oder dem Älterwerden beschäftigt. Entstehen Ihre Themenideen im Alltag?Meine Bücher sind meist Projekte, die von der Idee bis zur Veröffentlichung in der Regel nicht älter als ein Jahr sind. Es geht um Themen, die einfach so auf mich zukommen. „Das Leben der Mützen“ war für mich eher eine Auszeit, sonst sind meine Texte stärker gesellschaftsbezogen oder auch politisch. Im Vorgängerbuch ging es zum Beispiel um das Grundgesetz.
Und was kommt als Nächstes?Ein Buch über schleichende Einbräunung ist fast fertig, mit Texten über eine allmähliche Faschisierung, die fast unmerklich Einzug in unseren Alltag hält. Diese Texte sind inspiriert durch Zeitungsmeldungen. Dazu habe ich Bilder gemalt. Alle meine Bücher beinhalten Text und Bild. Meist arbeite ich mit jemandem zusammen. Bei „Das Leben der Mützen“ war es Hervé Maillet, ein Bremer Berufsfotograf, den ich schon länger kenne. Nächstes Jahr wird auch noch ein Buch mit dem Titel „Morgenlauf Miniaturen“ veröffentlicht. Ich habe mir angewöhnt, dass ich mindestens jeden zweiten Morgen sofort nach dem Aufstehen los jogge. Egal wo ich bin, ob das in Hanoi ist, in New York oder sonst wo. In kleinen Texten beschreibe ich dann meinen Lauf. Der Bremerhavener Künstler Jens Schnepel macht Zeichnungen dazu.
Außerdem arbeiten Sie noch an einem Roman, der den Arbeitstitel „Der Mann mit der Taucherbrille“ trägt...Damit bin ich aber im Moment sehr unglücklich, darum ist er erst mal in der Schublade verschwunden. Ich bin aber tatsächlich auch noch mit einem anderen Roman zugange. Der heißt „Die Frau in der Krümmung der Stadt“ und ist fast fertig. Es ist ein politischer Roman über das Bremerhaven der vergangenen 30 bis 40 Jahre.
Das sind aber ganz schön viele Projekte auf einmal.Ich mag es, an mehreren Projekten gleichzeitig zu arbeiten. Als Rentner habe ich ja frei verfügbare Zeit, mit der ich machen kann, was ich will. Es ist so schön, nicht mehr in ein Zeitkorsett gepresst zu werden und sich seine Aufgaben selbst zu stellen. Das gibt mir sehr viel Kraft!
Das Gespräch führte Alexandra Knief.Eberhard Pfleiderer (72)
studierte Germanistik, Geschichte und Politik. Er lebt seit 1976 in Bremerhaven, wo er bis 2011 als Lehrer arbeitete. Er ist Dozent für Kreatives Schreiben und Mitglied des Literaturkontors Bremen, organisiert die „Bremerhavener Lesebühne“ und ist Mitglied der Schreibgruppe „Die Schreibverrückten“. Er selbst verfasst Kurzprosa, Rundlaufkrimis, Erzählungen, Romane und Lyrik. Zuletzt veröffentlichte er „Das Leben der Mützen“ im Bremer Sujet-Verlag.
Weitere Informationen
Am Freitag, 21. Februar, stellen Eberhard Pfleiderer und Hervé Maillet ab 19 Uhr in der Villa Sponte, Osterdeich 59B, ihr Buch „Das Leben der Mützen“ vor.