Herr Bakhshi, sollten Leute Freude haben, Ihren Film zu sehen?
Massoud Bakhshi : Ich habe darüber wenig nachgedacht. Der Filme sollte vor allem realistisch sein und ein Bild der iranischen Gesellschaft zeichnen, in dem sich die Menschen meiner Heimat wiederfinden. Der Film lässt sich zudem ganz unterschiedlich schauen. Oberflächlich gesehen ist es ein Sozialdrama, aber blickt man tiefer, entdeckt man viele Schichten, die melodramatische, aber eben auch gesellschaftliche Fragen aufwerfen. Im Film gibt es kleine Geschichten, die sich jeweils auch um die Nebenfiguren drehen. Ein sehr wichtiges Bild, vor dem sich die Geschichte um Mona, Maryam und Monas Vater, Nasser Zia, abspielt, ist durch die Konfrontation und Koexistenz von Moderne und Tradition im Iran mitbestimmt.
Was für eine Art Film ist „Yalda“?Der Film ist für mich wie eine DNA der modernen iranischen Gesellschaft. Er zeigt die Situation von Frauen. Die Kernhandlung besteht aus einer Fernsehshow, die von einem realen Vorbild aus dem Iran inspiriert ist, in dem Maryam Mona um Vergebung für den augenscheinlichen Mord an Monas Vater bittet. Maryam wurde zum Tode verurteilt und kann nur auf einem Wege gerettet werden: Mona ist die einzige Tochter des verstorbenen Ehemannes auf Zeit von Maryam, und nur sie kann ihr den Tod durch Vergebung ersparen. Das Gesetz der Vergeltung, diese Vorstellung von Auge um Auge, Zahn um Zahn, ist ein integraler Bestandteil des islamischen Rechts. Wenn die Familie des Opfers bereit ist zu verzeihen, gibt es keine Hinrichtung. Im Endeffekt suchen hier aber auch zwei Frauen, die aus komplett unterschiedlichen Schichten stammen, ihren Platz in der Gesellschaft. Denn auch für Mona spielen neben Rache und der Trauer über den Tod ihres Vaters noch weitere Beweggründe eine wichtige Rolle.
Ist Rache ein entscheidendes Thema?Vergebung und Rache sind entscheidende Faktoren, die den Film bestimmen. Aber Rache ist auch weltweit ein sehr bedeutendes, ein sehr menschliches Thema. Ich denke, es ist die älteste Grundlage aller Moral und jeder Reflexion, sich selbst an die Stelle eines anderen zu setzen. Das ist auch mein Wunsch an die Zuschauer: Ich hoffe, dass sie versuchen, sich in das Leben, in die Probleme der Protagonisten hineinzudenken.
Wie nah ist Ihre nachempfundene Show am Original?Es gibt Unterschiede, aber das Original ist klar zu erkennen. Die Show, die mich am meisten inspiriert hat, wurde etwa zehn Jahre lang ausgestrahlt, jetzt aber nicht mehr. Sie war ein großer Hit während des Fastenmonats Ramadan im Iran. Es geht dort nicht nur um Mord oder ähnliche drastische Verbrechen, sondern zum Beispiel auch um Streitigkeiten zwischen Familien. Der Kern ist immer Vergebung. Das inspirierte mich zu der Sendung im Film, die ich satirisch „Die Freude der Vergebung“ nannte, und die ausgerechnet in einer bestimmten Nacht des Jahres stattfindet: Yalda. Das ist ein zoroastrisches Fest, das den Beginn des Winters und die längste Nacht des Jahres feiert.
Die Show wurde abgesetzt?Ja, sie haben die Show inzwischen abgesetzt.
Wegen Ihres Films?Der Grund wurde nie öffentlich gemacht, aber das Timing passt. Ich denke schon, dass die kritische Berichterstattung rund um meinen Film damit etwas zu tun haben könnte. Denn die Meinung der meisten war klar: Es geht nicht, das Schicksal eines Menschen derart emotional im Fernsehen auszuschlachten und die Verantwortung über das Leben eines Einzelnen einem anderen, der emotional auch so stark eingebunden ist, in die Hände zu legen. Mona ist hierfür ein gutes Beispiel. Sie steckt in einem Dilemma und soll über Maryams Leben entschieden. Das ist für beide grausam.
In welchem Dilemma befindet sich Mona?Mona ist eine sehr gut ausgebildete Unternehmerin, die die Firma ihres Vaters, des Ehemanns auf Zeit von Maryam, geerbt hat. Zudem war sie früher mit Maryam eng befreundet. Mona teilt die Werte der westlichen Welt. Aber die Firma ist bankrott, und wenn Sie Maryam vergibt, erhält sie Blutgeld. Aber Mona liebte ihren Vater auch über alles.
Können Sie kurz etwas zu dieser Art befristeter Ehe sagen?Die befristete Ehe, „Sigheh“, ist eine Vertragsehe, die auf eine bestimmte Dauer festgelegt ist. Die kann sehr kurz sein oder mehrere Jahre dauern. Das Ehepaar muss diese vereinbarte Dauer aber auf jeden Fall respektieren.
Was passiert mit Kindern, die aus dieser Ehe hervorgehen?Das ist schwierig und oft tragisch: Die Kinder dürfen den Vaternamen nicht behalten, wenn die Väter sie nicht anerkennen. Ohne Vater gelten sie als „Bastarde“.
Ohne zu viel vorwegzunehmen – wird Maryam leben und glücklich sein?Das ist eine gute Frage, das Ende des Films ist offen. Da kann viel passieren. Ich mag Mona, ich mag Maryam. Ich mag all meine Charaktere, mit ihren Stärken und Schwächen. Aber nur so viel: In unserer Welt sind die Armen oft die Stolzeren, Menschlicheren und Würdevolleren. Aber nicht unbedingt die Glücklicheren.
Das Gespräch führte Gerald Weßel.Massoud Bakhshi (48)
ist in Teheran geboren. Als Regisseur realisierte er zwölf Dokumentar- und Kurzfilme, für die er mehrere internationale Preise erhielt.
Weitere Informationen
„Yalda“ ist ab Donnerstag, 27. August, im Kino zu sehen. Am Mittwoch, 26. August, findet ab 20 Uhr eine Sondervorführung im Cinema Ostertor, Ostertorsteinweg 105, statt. Der Regisseur Massoud Bakhshi wird anwesend sein und nach der Vorführung über den Film sprechen.
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