Eigentlich, sagt Jennifer Smailes, stehe sie gar nicht so gerne im Mittelpunkt. Wenn sie dadurch allerdings über ein Thema reden kann, das ihr sehr am Herzen liegt, dann fackelt sie nicht lange, beantwortet Fragen, kommt ins Erzählen, posiert sogar vor der Kamera.
Denn Smailes weiß: So kann sie noch mehr Menschen für das sensibilisieren, was ihr wichtig ist. Fast ein Jahr ist es her, dass die Kulturwissenschaftlerin in Hamburg ihre sieben Sachen packte und nach Bremen zog. Denn hier wartete eine neue Herausforderung auf sie. Eine Herausforderung, die die heute 37-Jährige reizte. Smailes arbeitet in der Kunsthalle Bremen – als wissenschaftliche Mitarbeiterin für gesellschaftliche Vielfalt.
Sie studierte Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis in Hildesheim sowie kuratorische Praxis in Leipzig. Smailes arbeitete unter anderem beim Subvision-Festival in Hamburg, im Museum of Contemporary Art in Cleveland, Ohio und am Museum für Neue Kunst in Freiburg. Bevor sie nach Bremen kam, war sie zwei Jahre lang Leiterin des Kunstvereins Harburger Bahnhof in Hamburg. Für sie sei es, als würden in ihrer neuen Position in Bremen die Fäden ihrer bisherigen Arbeit zusammenlaufen.
„Die zeitgenössische Kunst beschäftigt sich mittlerweile mit vielen gesellschaftlichen Themen“, sagt Smailes. Oft gehe es darum, wie man bestimmte Publikumsgruppen miteinbezieht und unter dem Begriff der Teilhabe verschiedene Perspektiven behandele. Genau diese Fragestellungen haben Smailes, wie sie selbst sagt, schon immer beschäftigt. Und genau auf diese Fragen will sie in den kommenden Jahren in Bremen Antworten finden.
Ihre Stelle ist auf vier Jahre befristet. Gefördert wird sie von der Kulturstiftung des Bundes im Rahmen des Programms „360° – Fonds für Kulturen der neuen Stadtgesellschaft“ (siehe Infokasten). In ihrem ersten Jahr ging es für Smailes erst einmal darum, sich einen Überblick zu verschaffen: Was wird in der Kunsthalle im Feld der Diversität bereits gemacht, wo besteht Nachholbedarf?
Die Ausstellung „Tierischer Aufstand“ sei bereits dazu genutzt worden, „ein paar Testballons“ loszuschicken, wie Smailes es beschreibt. „Wir haben probiert, mit Mehrsprachigkeit zu arbeiten, wir haben versucht, am Abbau von Barrieren zu arbeiten“, fasst sie zusammen. „Es gab kleine Kniffe, wie der Großdruck von Ausstellungstexten und Texte in einfacher Sprache.“
Gerade sind konkret zwei Veranstaltungen in Planung: Das „Fest der Frauen*“ am 8. November, zu dem jede eingeladen ist, die sich selbst als Frau definiert. Es wird Essen, Musik und Tanz geben, außerdem eine Kinderbetreuung mit Malaktion sowie Einblicke in die „Ikronen“-Ausstellung in verschiedenen Sprachen. In Freiburg, sagt Smailes, sei das Konzept bereits erfolgreich umgesetzt worden.
Auch geplant ist eine Reihe interreligiöser Kunstgespräche, die parallel zur „Ikonen“-Ausstellung laufen soll – ein Format aus der Kunsthalle Hamburg. Vertreter verschiedener Glaubensrichtungen blicken gemeinsam auf ausgewählte Kunstwerke. „Die Kunst soll zum Anlass genommen werden, über ganz andere Themen zu sprechen, die die Menschen bewegen“, sagt Smailes. „Wir wollen ein Publikum erreichen, das durch Religion angesprochen wird und dadurch zur Kunst kommt.“
Noch viel Potenzial für die Kunsthalle
Wenn es um Aspekte wie die Zusammenarbeit mit Vertretern unterschiedlicher Migrationsgesellschaften geht, gebe es in der Kunsthalle noch Potenzial, findet Smailes. „Wir müssen rausgehen und mit den Leuten sprechen, mit denen wir sprechen wollen, wir müssen aber gleichzeitig auch gucken, ob wir überhaupt in der Lage sind, zu hören, was sie sagen.“ Andere Einrichtungen wie das Focke-Museum oder die Stadtbibliothek seien da, auch aufgrund ihrer inhaltlichen Möglichkeiten, schon weiter, wie die Diversitäts-Referentin betont. „Wir müssen schauen, was wir davon lernen und auf unser Haus übertragen können.“
Auch an der Neuordnung der Dauerausstellung im kommenden Jahr wird Smailes beteiligt sein. Was ihr dabei wichtig ist? „Dass wir Lebensnähe herstellen“, sagt sie. „Ich bin mir sicher, dass es viele Arten gibt, wie man relativ voraussetzungsfrei Kunstwerken begegnen kann.“ Smailes würde sich wünschen, dass Kunstwerke Anlässe sind, über den Alltag zu sprechen. Auch eine Stärkung der inklusiven Kunstvermittlung wäre für Smailes wünschenswert. Wie diese genau aussehen wird, könne sie zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht sagen. Tastbilder würden ihr allerdings gut gefallen. „Die sind auch für Menschen, die sehen können, super spannend“, sagt sie. Gerne würde sie in diesem Bereich mit der Kunsthalle „progressiv nach vorne gehen“.
„Irgendwann wird es auch darum gehen, dass wir insgesamt unser Ausstellungsprogramm stärker hinterfragen“ sagt Smailes. Schon in der Vergangenheit sei hier viel passiert, zum Beispiel mit der Ausstellung „Der blinde Fleck“ über die Sammlungsgeschichte in der Kolonialzeit, die laut Smailes ein sehr politisches Publikum in die Kunsthalle brachte. Oder mit der Ausstellung „What is Love?“, bei der das Publikum weitaus jünger war als sonst. Es müsse auch zukünftig um Fragen gehen wie: Was kann die Kunsthalle mit ihrem Ausstellungsprogramm anders machen und welche gesellschaftlichen Gruppen werden überhaupt repräsentiert?
Das Programm 360°
Mit dem Programm „360° – Fonds für Kulturen der neuen Stadtgesellschaft“ unterstützt die Kulturstiftung des Bundes Institutionen aus Sparten wie Kunst, Musik, Darstellende Künste, Literatur, Architektur oder Neue Medien, spartenübergreifende Einrichtungen sowie Kunst- und kulturhistorische Museen. Ziel des Programms ist es, die thematische und personelle Diversität in Kunst- und Kultureinrichtungen zu steigern.
Gefördert wird die diversitätsorientierte Öffnung von Kultureinrichtungen in den Bereichen Programmangebot, Publikum und Personal. Hierfür stellt die Kulturstiftung Mittel für eine Personalstelle in der Einrichtung sowie Projektmittel für unterstützende Aktivitäten und Formate bereit. In bisher zwei Förderungen hat die Kulturstiftung insgesamt 39 Kultureinrichtungen mit rund 13,9 Millionen Euro unterstützt. Die Einrichtungen umfassen 16 Museen, 13 Theater, acht Bibliotheken, eine Musikschule und ein Symphonieorchester.
Mit dem Focke-Museum, dem Theater Bremen, der Stadtbibliothek und der Kunsthalle sind auch vier Bremer Einrichtungen unter den Begünstigten. Die Kultureinrichtungen erhalten im Rahmen des Programms eine Förderung von bis zu je 360 000 Euro. Voraussetzung für die Förderung ist, dass die Einrichtungen zusätzlich auch eigene Mittel in die Umsetzung von Projekten zur Diversitätssteigerung einsetzen.
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