Preisverleihungen sind in den seltensten Fällen besonders schwungvolle Veranstaltungen, das ist bei der Vergabe des 66. Bremer Literaturpreises nicht anders als anderswo. Umso erfrischender war dieser Moment am Montagmittag: 90 Minuten mit Grußworten, Laudationes, Begründungen, Bitte und Danke waren bereits vergangen. Dann trat Tonio Schachinger ans Mikrofon in der gut gefüllten Oberen Rathaushalle.
Der 27-jährige österreichische Autor hat den mit 6000 Euro dotierten Förderpreis für seinen Roman „Nicht wie ihr“ gewonnen und erklärte in seiner von ihm erwarteten Dankesrede zunächst einmal, für wie langweilig und überflüssig er Dankesreden halte. Er müsse nun zehn Minuten sprechen, habe seinen Beitrag aber, da er bis Ende vergangener Woche an einer Lungenentzündung laboriert habe, erst „heute Morgen nach dem Frühstück“ formuliert. Und er wisse jetzt nicht so recht, ob er die Zeit füllen könne. Weil, eigentlich konzentriere sich ja sowieso alles in dem Wort „Danke“. Und so plauderte Tonio Schachinger dann wohltuend spontan und ein bisschen frech vor sich hin; das alles passte irgendwie ganz gut zu seinem ausgezeichneten Roman um einen Profi-Fußballer in der Krise. Die mittelschwere betuliche Bedeutsamkeit, die die Preisverleihung zuvor verströmt hatte, war wie weggeblasen. Wobei das vielleicht etwas unfair ist: Bereits Daniela Strigls unangestrengte Laudatio auf Schachingers Buch hatte zuvor für Schmunzeln gesorgt.
Die Wiener Literaturwissenschaftlerin und Essayistin, Mitglied der Literaturpreis-Jury zudem, machte die Zuhörerinnen und Zuhörer in fußballaffinen elf Absätzen mit „Nicht wie ihr“ bekannt. Einem Roman, der für sie weniger über etwas oder jemanden, sondern „aus Sprache“ geschrieben sei; eine Sprache, die dem „Helden wie angegossen passt“. Der Held ist der Profi-Fußballer Ivo, ein Wiener mit Vorfahren vom Balkan. Einer, der 100 000 Euro pro Monat verdient und sich freut, dass es sich in seinem Bugatti so bequem sitzt. Ein Typ also mit diesem gewissen Marko-Arnautovic-Macho-Touch. Doch Schachinger stelle diesen Außenseiter in seinem Schelmenstück nie bloß, seine Entwicklung begleite er mit „Menschenkenntnis und Menschenfreundlichkeit“, so Strigl: „Der Autor mag seinen Helden“. Nebenbei lerne der Leser eine Menge österreichischer Fußballbegriffe, „Wuchtel“ beispielsweise, was Ball, aber auch Gag bedeuten kann, oder das schöne Wort „Dribblanski“ – für Ballkünstler, die zwar zaubern können, aber nicht unbedingt mega effektiv spielen.
Ganz anders ging es zuvor in der Laudatio auf Barbara Honigmann und ihr biografisch grundiertes Buch „Georg“ (wir berichteten ausführlich am Montag) zu. Honigmann ist der mit 25 000 Euro dotierte Hauptpreis zugesprochen worden. Das ehre nicht nur das jeweils aktuelle Buch, sondern auch das Gesamtwerk, wie Barbara Lison, Direktorin der Stadtbibliothek Bremen und Vertreterin der Stiftung Bremer Literaturpreis in der Jury, erklärte.
Der Jury-Vorsitzende Lothar Müller („Süddeutsche Zeitung“) führte in Barbara Honigmanns literarisches Schaffen ein. Dieses Schaffen speise sich auch aus der Maßgabe, die Balance im Leben nicht zu verlieren – immerhin sei die 1949 in Ost-Berlin geborene Autorin 1984 aus der DDR ausgereist, habe mit Mann und Kindern nicht den deutschen Westen, sondern Frankreich als neuen Ort zum Leben gewählt. Und sie habe sich bewusst für das Judentum entschieden.
Mit ihrer Familie und ihrem Vater Georg, von dem ihr Roman handelt, habe sie dadurch mehrfach gebrochen. Die Honigmanns waren seit den Zeiten ihres Urgroßvaters assimilierte Juden. Georg und seine Ehefrau „Litzy“ kehrten zudem als Kommunisten aus dem englischen Exil nach Ostdeutschland zurück. In „Georg“ wie in ihren anderen, collagenhaft gestalteten Büchern, „die ineinandergreifen“, hadere Barbara Honigmann immer wieder mit der „Blindheit“ der akademischen jüdischen Elite in der DDR. Das betonte die Autorin auch selbst in ihrer Dankesrede. Die drehte sich, nach einem Exkurs über den Antisemitismus der Brüder Grimm, um den Mikrokosmos der jüdischen Intelligenzija, der von den ostdeutschen Behörden argwöhnisch beäugt wurde. Völlig unverständlich sei für sie geblieben, warum „sie beim Lügen auch noch mitgemacht haben“, so Barbara Honigmann. Beim Unverständnis bleibt es, denn ein „Fazit der Tochter über das Leben des Vaters“ gebe es nicht, hatte Müller analysiert. Barbara Honigmann erzählt ihre Geschichten nicht aus.
++ Dieser Artikel wurde um 18.55 Uhr aktualisiert ++