Emden. Die Kunsthalle Emden gönnt sich und ihren Besuchern zum 30-jährigen Bestehen eine Entdeckung – die Entdeckung von Nikolai Astrup. Gemeinsam mit Museen in London und Oslo wird erstmalig in Deutschland ein Maler vorgestellt, der in Skandinavien und insbesondere in seinem Heimatland als einer der herausragenden norwegischen Künstler des 20. Jahrhunderts bekannt ist. Die erst späte, lohnende Entdeckung hierzulande fast 100 Jahre nach dem Tod Astrups hat mehrere Gründe.
Nikolai Astrups Zeitgenosse und Landsmann Edvard Munch hatte seit 2005 viel beachtete Ausstellungen in Emden und Bremen, die Norwegerin Oda Krohg war bis zu ihrer Ausstellung 2011/12 in der Böttcherstraße eine Unbekannte. Und nun Nikolai Astrup. Dessen Malerei kreist um seine westnorwegische Heimat und ihre grandiose Landschaft, deren Lichtstimmungen und Mythen – es liegt nahe, seine Kunst mit der Musik des großen norwegischen Komponisten Edvard Grieg zu vergleichen. Aber warum hat das außerhalb Norwegens kaum jemand registriert? Das liegt zum einen an der Person Astrup und zum anderen daran, dass die große norwegische Stiftung DNB erst 2005 eine bedeutende Privatsammlung für die Allgemeinheit sicherte und das künstlerische Lebenswerk wissenschaftlich aufarbeiten ließ. 2012 erging dann das Angebot an die Dulwich Picture Gallery London, das große Henie Onstad Kunstsenter Oslo und die Kunsthalle Emden, das Werk Nikolai Astrups auszustellen. In Emden findet die kleine Tournee mit mehr als 100 Ölgemälden, großen Farbholschnitten und Archivmaterialien aus internationalem Privatbesitz und mehreren norwegischen Museen nun ihren Abschluss.
Nikolai Astrup, 1880 in Westnorwegen geboren und dort 1928 gestorben, war nie wie Munch oder die Krohgs Teil der Osloer Bohème. Nach Studien in Oslo und Paris bei Christian Krohg in der Académie Colarossi, nach Reisen in die deutschen Kunstmetropolen und durch Nordafrika erwarb er in der Nähe seines Geburtsortes einen Bauernhof. Dort lebte der Einzelgänger, der Edvard Munch nicht leiden konnte, aber Ferdinand Hodler, Arnold Böcklin und Henri Rousseau verehrte, mit Frau und zuletzt acht Kindern unter schwierigen finanziellen Umständen. Sein Lebensthema war die Suche nach einer eigenständigen norwegischen Kunst, die sich bei ihm aus der Naturerforschung, der Volkskunst und internationalen Tendenzen der Malerei speiste. Aus dieser Melange entstanden nicht etwa Ehrfurcht gebietende, sondern eher meditativ anmutende Landschaften, deren naturalistische Farbpalette beeindruckt. Das Haus, der von ihm für seine Motive geformte Garten, der See vor der Haustür und die Berge zu allen Tages-, Nacht- und Jahreszeiten, darin seine Familie – das sind seine Bilderwelten. In diese Motive bringt er norwegische Bräuche und Mythen ein, formt Bäume und Heuhaufen zu Trollen, Schneefelder zu einem weiblichen Akt. Immer wieder malt er die Feuer zur Mittsommernacht – allein elf Variationen dieses Themas mit lodernden Flammen, feiernden Tänzern und Musikern sind in Emden zu sehen. Nicolai Astrup hat die Umsetzung aller dieser Motive akribisch vorbereitet, teils ganz modern zu seiner Zeit vorab fotografiert.
Höhepunkte dieser ohnehin an Glanzlichtern nicht armen Ausstellung, die von dem britischen Team MaryAnne Stevens, Ian A.C. Dejardin und Frances Carey kuratiert wurde, sind die großformatigen Farbholzschnitte. Nicolai Astrup hat nicht etwa Auflagen produziert, sondern jeden auf vier bis sechs Druckstöcken entstandenen Abzug zum Unikat, zur Monotypie werden lassen. Dafür veränderte er jeweils die Druckstöcke, bemalte sie oder das abgezogene Blatt mit Pinsel und Ölfarbe. Die Ausstellung zeigt mehrere dieser so entstandenen, faszinierend vielfältigen Serien.
Ergänzt wird diese Präsentation auf ihrer dritten Station in Emden durch einige Zugaben. Das ist der Nachbau der von Astrup um 1921 gemalten eigenen Wohnstube, das sind die im nordnorwegischen Andenes entstandenen Schattenbilder der Berliner Künstlerin Kati Gausmann, und Bilder und Fotografien skandinavischer Künstler wie Asger Jorn und Per Kirkeby aus der großen Sammlung der Kunsthalle. Diese Ausstellung zum 30-jährigen Bestehen der Emder Kunsthalle bildet zugleich eine Zäsur für das Haus – es ist die letzte Ausstellung unter der Regie der Geschäftsführerin Eske Nannen und des Stiftungsratsvorsitzenden Folkert Hinrichs. Sie ziehen sich zum Ende des Jahres 2016 aus ihren Ämtern zurück und überlassen ihre Aufgaben namentlich noch nicht bekannten Kräften, die mit einem ebenfalls noch nicht benannten Direktor oder einer Direktorin das neue Leitungsteam bilden.