Varel. Von den sieben letzten Worten Jesu am Kreuz, die in den biblischen Evangelien übermittelt werden, ist „Mich dürstet“ das scheinbar bedeutungsloseste. Bernardo Pasquini, im 17. Jahrhundert neben Scarlatti und Corelli einer der namhaftesten Komponisten Roms sowie wichtiges Vorbild für Händel, hat dieser knappen, jedoch von jedem Menschen prompt nachvollziehbaren Bedürfnisäußerung ein komplettes Oratorium gewidmet. In „La sete di Christo“ („Das Dürsten Christi“) bildet das metaphorisch interpretierte Jesuswort den Kern eines fiktiven, im Angesicht des sterbenden Christus stattfindenden philosophisch-theologischen Gedankenaustauschs zum Thema Vergebung; er wird geführt von der Mutter Maria, dem Jünger Johannes, dem Pharisäer Nikodemus und Joseph von Arimathäa (der für den Leichnam Jesu sein Grab zur Verfügung stellen wird).
„Mich dürstet“, latinisiert als Einwortsatz „Sitio!“, steht in dem hierzulande unbekannten Opus an zentraler Stelle und erhält eine zusätzliche Akzentuierung: Das sehr kurze Gesangsmotiv ertönt als einziges a cappella. Bei diesem Musikfest-Konzert wurde die Aufführung des Oratoriums in der Vareler Schlosskirche direkt unterhalb einer Golgatha-Darstellung zur faszinierenden Entdeckungsreise.
Perfekt ausbalancierte Besetzung
Unter dem stringenten Dirigat von Alessandro Quarta präsentierte sich das in Rom beheimatete Kammerensemble „Concerto Romana“ in perfekt ausbalancierter solistischer Besetzung mit sicherem interpretatorischem Gespür für opulente Klangfarbigkeit. So wurde etwa die Schilderung eintretender Finsternis bei der Kreuzigung oder das begleitende Erdbeben in glühenden Harmonien nachgezeichnet. Das tiefsinnige Gespräch der Protagonisten erfolgt ausschließlich solistisch als Rezitative und Ariosi.
Die Tenöre Leonardo Cortellazzi (Johannes) und Luca Cervoni (Joseph) sowie Bariton Mauro Borgioni (Nikodemus) überzeugten, besser noch: faszinierten samt und sonders mit sonorer Klangfülle und modulationsreichen, auch bei hoch dramatischen Partien stets fein entgrateten Timbres, die auf packende Weise die jeweilige Stimmung des italienischen Textes vermittelten. Erzählend gesungene Hinweise auf die göttliche Führung in der wechselvollen Vorgeschichte Israels bestachen mit stimmlicher Schlichtheit; die Fassungslosigkeit im Hinblick auf das unsägliche Leiden des Gottessohnes sowie die Unverständigkeit der Täter und Gaffer intonierten die Sänger mit aufwühlendem, von orchestraler Wucht untermauertem Impetus.
In ebenso herausragender Form und gleichermaßen differenzierter Gestaltung verkörperte die noch junge Sopranistin Francesca Aspromonte die anspruchsvolle Partie der Maria. Wie aus dem Mund einer leibhaftigen Mater dolorosa, einer „schmerzensreichen Mutter“, erklang ihr einleitendes Lamento; wie eine in Töne gefasste Pietà, die Darstellung der Maria samt dem Leichnam Christi, beeindruckte am Schluss des Oratoriums ihr zutiefst erschütternder Schmerz über das unbegreifliche, das gesamte Universum betreffende Elend. Ihre Mimik und Hände ringende Gestik wirkten dabei niemals aufgesetzt, sondern als authentische Pointierung grandiosen Gesangs. Begeisterter Beifall für eine in jeder Hinsicht exzeptionelle Aufführung.