Zwei unterschiedliche Halbzeiten hatte das Galakonzert der Jazzahead in der bestens besetzten Glocke. Den Anfang machte der Altsaxofonist Maciej Obara mit seinem Quartett. Obara hat einige Zeit mit dem polnischen Trompetendenkmal Tomasz Stańko zusammengearbeitet. Inzwischen betreibt er sein eigenes Quartett, zu dem der polnische Pianist Dominik Wania gehört, mit dem Obara schon lange spielt, sowie die beiden Norweger Ole Morten Vågn (Kontrabass) und Gard Nilssen (Schlagzeug).
Für seinen Auftritt hatte Obara die Stücke seiner aktuellen CD „Unloved“ in zwei rund halbstündige, jeweils ineinander fließende Blöcke geteilt. Schon das eröffnende „Echoes“ zeigte die faszinierende Spielstärke der Rhythmusgruppe, die zu wahrhaft rauschhaften Intensitätssteigerungen in wenigen Sekunden in der Lage ist.
Maciej Obara überließ zunächst seinem Pianisten das Feld, der mitunter zu etwas zu ausschweifenden pianistischen Wolken neigte, fügte sich dann aber immer entschiedener mit seinem klaren und auch emphatischen Ton ins Spiel ein. Mit dem Plattentitel „Unloved“ als einziger Fremdkomposition verbeugte sich das Quartett vor einem anderen polnischen Denkmal, vor Krzysztof Komeda. Als Zugabe zum faszinierenden Auftritt spielte das Quartett die beinahe sakral anmutende Ballade „Ula“.
Etwas zwiespältiger war der Auftritt der Sängerin Anna Maria Jopek und des Pianisten Leszek Możdżer, die von Piotr Nazaruk (Gitarre, Flöten, Zither), Robert Kubiszyn (Bass) und Paweł Dobrowolski (Schlagzeug) begleitet wurden. Die kurze Introduktion Możdżers, bei der er spielerisch sein großes pianistisches Können unterstrich, ging direkt in Anna Maria Jopeks erstes traditionelles Lied über, das aber arg schnulzige Passagen aufwies.
Deutlich überzeugender war sie, wenn sie sich an experimentelle Vokalisen wagte, wie bei ihrer auf Deutsch vorgelesenen Begrüßung mitsamt Bandvorstellung, bei der sie allerhand vokale Purzelbäume schlug. Tatsächlich hat die Sängerin allerhand Erfahrungen mit dem Jazz, hat mit Pat Metheny, Gonzalo Rubalcaba und eben mit Leszek Możdżer zusammengearbeitet.
Im Verlauf des Auftritts wechselten die Musiker allmählich von sanften, folkloristischen Klangfarben immer energischer zu Rockmotiven, die auch deutlich die größere Stärke der Sängerin sind. Leszek Możdżer, ausgewiesener Klassik-Jazz-Grenzgänger, streute verspielt Chopins Etüde Nr. 3 in einen Song ein. Heftiger Applaus und Zugaben.
Ein gewichtiges Modul
335 Bewerbungen, 17,5 Prozent mehr als im Vorjahr. Das European Jazz Meeting der Jazzahead war schon immer ein gewichtiges Modul des Festivalprogramms und erfreut sich ungetrübter Beliebtheit. 16 Bands aus elf Ländern spielen in den Messehallen und im Schlachthof, eine Tendenz geht laut Peter Schulze aus dem künstlerischen Leitungsteam wieder mehr in Richtung größerer Formationen.
Ein historischer Rückgriff auf die Swing Bands der 1920er-Jahre, auf einen üppig satten Sound und eine interessante, gegenläufige Entwicklung zum Reduzierungstrend, zu beobachten etwa beim weitverbreiteten Pianotrio. Die Beats & Pieces Big Band aus Manchester gibt es seit zehn Jahren, entsprechend eingeschworen spielt die 14-köpfige Formation mit neun Bläsern und ungewöhnlichen zwei E-Gitarren im Schlachthof auf.
Eine immer noch junge Truppe im Turnschuh-Freizeitlook, Direktor und Gitarrist Ben Cotrell zählt die Takte auch gerne mal lässig im Sitzen an und dirigiert ansonsten flippig über die Bühne tänzelnd. Ihr Sound wechselt zwischen samtenen, eingängigen Melodien und ungeschliffen ruppiger Energie. Nicht ganz so üppig besetzt, aber mit ähnlich sattem und gutlaunigem Sound präsentierte sich das siebenköpfige dänische Horse Orchestra im vor allem am Abend stets voll besetzten Schlachthof.
Eine gute Idee
Eine amüsante Truppe mit bunten Kostümierungen, Umhängen und Gewändern, mit Blumenmustern und Sträuchern im Haar. Dementsprechend farbenfroh schillernd ist ihre Musik: treibende Polkarhythmen, dramatische Beerdigungsmusik vom Balkan, druckvoller Swing im Stile alter New Orleans Marching Bands. Man denkt an Charles Mingus mit seinen größeren Formationen.
Eine sehr unterhaltsame Show, die man auch draußen auf einer Leinwand im Amphitheater am Schlachthof verfolgen konnte. Eine gute Idee der Festivalmacher, um das Gedränge in der Kesselhalle zu verhindern. Und auch um Menschen Zugang zu Jazz zu gewähren, die sich die Tickets nicht leisten können. Ebenfalls ein Septett sind Skake Stew aus Österreich.
Die Band um Contrabassist Lukas Kranzelbinder ist mit zwei Schlagzeugern, einem weiteren Contrabassisten und einem Bläsertrio eigenwillig und rhythmisch wuchtig forciert besetzt. Mit einem swingend bluesigen und auch mal extatischen Sound beziehen sich die Österreicher ebenfalls auf die Big Bands von Charles Mingus, lassen aber auch Referenzen an Afrobeat erkennen.
Sinn für Entfesselung und Entgrenzung
Natürlich waren auch kleinere Besetzungen zum European Jazz Meeting geladen. Etwa das famose Trio um den ivorischen Balafon-Spieler Aly Keïta, den Bassklarinettisten Jan Galega Brönnimann und den umtriebigen Schweizer Drummer Lucas Niggli. Vielleicht kein Zufall, dass Brönnimann und Niggli in Kamerun geboren sind und sich zu afrikanischer Musik hingezogen fühlen.
Das Trio spielt treibenden, teils entfesselten Afro-Jazz von hoher Komplexität, in dem die auch mal elektronisch verfremdete Bassklarinette die rhythmischen Rasereien von Keïta und Niggli grundiert. Mit Sinn für Entfesselung und Entgrenzung ging auch das französisch-belgische Trio um den Saxophonisten Manuel Hermia, den Schlagzeuger Sylvain Darrifourcq und Valentin Ceccaldi am Cello zu Werke.
Eine Band unter Strom, die eine intensive und fordernde Musik spielt. Cello-Drone, wirbelnde Drums und eruptive Saxophone-Stöße lösen sich auf in geräuschhaftem Schweben, bevor sich Darrifourcq und Ceccaldi zu einer groovenden Korrespondenz zusammenfinden und Hermia sein Saxophon kreischen, jaulen und lamentieren lässt. Eine halbe Stunde Musik wie im Rausch.