1962. Ein Italiener in New York muss umsatteln: Als der Nachtclub schließt, in dem Tony Vallelonga (Viggo Mortensen) als Rauschmeißer arbeitet, braucht der bildungsferne, aber durchsetzungsstarke Mann dringend einen neuen Job, um seine Familie durchbringen zu können. Da kommt ihm eine gut dotierte Offerte zupass. The Lip, wie Tony seiner kessen Lippe wegen genannt wird, soll dem farbigen Jazz-Pianisten Don Shirley (Mahershala Ali) zwei Monate lang als Tour-Fahrer und Aufpasser dienen.
Trotz rassistischer Ressentiments erliegt Tony nach einem denkwürdigen Bewerbungsgespräch dem Lockruf des Geldes. Sorgen macht ihm die dunkle Haut seines Schutzbefohlenen vor allem wegen der Reiseroute, die gen Südstaaten führen soll. Der ausgesprochene Wohlfühlfilm „Green Book“, den der routinierte Regisseur Peter Farrelly stimmig zwischen Biopic, Drama und Komödie ausbalanciert, bezieht seinen Titel von einem gleichermaßen kuriosen wie bezeichnenden Reiseführer: „The Negro Motorist Green-Book“ wurde zwischen 1936 und 1966 im Land der mythisch bekränzten, faktisch indes begrenzten Möglichkeiten eigens für afroamerikanische Autofahrer herausgegeben, weil viele Hotels im Süden der USA ausschließlich Weiße beherbergten.
An der schieren Existenz dieser Publikation ist ablesbar, wie tief gespalten die Nation Anfang der 60er-Jahren noch ist. Ohnedies gleicht die Mission, die Tony und sein neuer Chef mit ihrem Zweckbündnis antreten, einem Drahtseilakt mit Extra-Schikanen. Dies deshalb, weil die weiße Oberschicht den begnadeten Pianisten und seine zwei Begleitmusiker zwar bei edel arrangierten Auftritten hofiert, ihn aber dennoch Verachtung spüren lässt, indem sie ihn beispielsweise am Katzentisch platziert. Wenn überhaupt.
Wandler zwischen den Welten
Entsprechend spielt eine zentrale Szene des Films im gediegenen Restaurant eines Clubs, in dem das Don-Shirley-Trio am Abend auftreten soll. Dem Bandleader wird brüsk eine Mahlzeit in den Räumlichkeiten verwehrt, in denen sein designiertes Publikum speist. Dafür wird dieser zuvor oft schwermütige Wandler zwischen den Welten in einem nahe gelegenen Diner mit vorwiegend farbigen Gästen bedient – und überdies frenetisch gefeiert, nachdem er am Klavier eine Kostprobe seines Könnens gegeben hat.
Wie die französische Erfolgskomödie „Ziemlich beste Freunde“ (2011) lebt dieser nach wahren Begebenheiten modellierte Film vor allem von den großen und kleinen Hakeleien seiner beiden Hauptfiguren: Viggo Mortensen, der sich für seine bemerkenswert bullige Rolle etliche Kilogramm hat anfressen müssen – ein Talent, das er bei einem Hot-Dog-Wettessen zu Beginn des Films eindrucksvoll vorführt –, kommt als begriffsstutziger Sympath daher, Mahershala Ali verkörpert einen kultivierten Grübler. Wie sehr sie voneinander profitieren können, ist spätestens absehbar, als Tony rhetorisch ungelenke Briefe an seine Frau schreibt – und als weiße Polizisten einmal mehr willkürlich die von der Plattenfirma für die Tournee spendierte Limousine aus dem Verkehr ziehen.
Peter Farelly lässt dem ungleichen Paar in diesem trotz 130 Minuten Spieldauer äußerst kurzweiligen Roadmovie viel Raum und Zeit für die allmähliche Annäherung, die – wen wundert's? – in einem anrührenden Schulterschluss mündet. Zugleich ist der Filmemacher, der mit seinem Bruder Bobby alberne bis ausgelassene Lustspiel-Klassiker wie „Dumm und dümmer“ (1994) und „Verrückt nach Mary“ (1998) gedreht hat, aufklärerisch genug gestimmt, seine Clash-der-Kulturen-Komödie ausdrücklich in einem zeithistorischen Kontext anzusiedeln. Diese Mischung aus Komik und Politisierung gerät selten überzogen, sondern mehrheitlich wunderbar ausgewogen. So sehr, dass „Green Book“ bei den Golden Globes gleich dreifach ausgezeichnet wurde (unter anderem als beste Komödie) – und zudem Ende Februar mit fünf Nominierungen ins Oscar-Rennen geht.
Kleinkarierten Kinobesuchern hierzulande mag es zwar etwas misslich erscheinen, dass das besonders anheimelnde Finale des Films an einem weißen Weihnachtsfest spielt (in den USA lief der Film bereits Mitte November an). Doch auch im vorzugsweise grauen deutschen Februar kann dieses gleichermaßen turbulente wie anrührende Werk als Farbklecks mit Fröhlichkeitspotenzial punkten und prunken.
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