Auf der Online-Diskussionsplattform „Reddit“ entspann sich erst kürzlich wieder eine beliebte, regelmäßig aufpoppende Debatte. „Wie“, fragte ein Nutzer, „würdet ihr den perfekten Mord begehen?“ Rein theoretisch natürlich, klar. Andere Community-Mitglieder reagierten prompt. Auf keinen Fall Täter-DNA hinterlassen, schreibt der eine. Haarnetz, Ganzkörperanzug, das volle Programm. Ein anderer erklärt mit der Abgebrühtheit des erfahrenen Krimilesers: der Körper des Opfers müsse vernichtet werden, verbrannt, in Säure aufgelöst, irgendsowas. Denn: ohne Leiche kein Mord. Logisch. Nur in einem Punkt stimmten alle Nutzer überein: Perfekt ist ein Mord aus Sicht des Täters dann, wenn der Mörder davon kommt.
Einen Verbrecher, dessen Antwort anders ausfallen dürfte, hat Axel Petermann kennengelernt. Mehr als 20 Jahre ist das her; Petermann, inzwischen im Ruhestand, ist damals Leiter der Bremer Mordkommission. Mehrere Prostituierte werden brutal ermordet in ihren Wohnungen aufgefunden, der Täter hinterlässt ein Schlachtfeld, bleibt aber unbekannt. Als Ermittler, erinnert sich Petermann heute, habe er großen Druck verspürt. „Das war eine verzweifelte Situation“, sagt er. „Die Frauen hatten Angst; einige kamen auf uns zu und fragten, wann wir ihn endlich kriegen würden.“
Ihn, den Täter, der den Polizisten lange ein Rätsel bleibt. Warum tut er, was er tut? Handelt es sich überhaupt um einen Täter oder um mehrere? Und vor allem: Wie lässt sich dieser Wahnsinnige stoppen? Die fieberhafte Suche nach dem Mörder gerät schnell zu einem Wettlauf gegen die Zeit. Wie sie ablief, schildert Petermann in seinem jüngst erschienenen Roman, dem True-Crime-Thriller „Die Diagramme des Todes“.
Der Name des Buches verweist dabei auf das perfide Vorgehen des Täters: Nach seinen Verbrechen dokumentiert der mit mathematischer Genauigkeit die Tat, zeichnet die Leiche, notiert, wie sehr die Tat ihn befriedigte. Der perfekte Mord, sagt Petermann, ist für den Mörder von damals einer, der sich möglichst genau mit seinen Fantasien deckt; das Töten ist für ihn eine Kunst, die er in Vollendung beherrschen will.
Die Grundzüge des Falls nahezu ungefiltert
Natürlich, schiebt Petermann nach, sei sein Buch kein Tatsachenbericht, sondern ein Kriminalroman. Alle Namen, alle Schauplätze wurden geändert, Figuren wurden hinzuerfunden, Hintergründe ausgeschmückt. Die Grundzüge des Falls allerdings, die Gedanken – des Täters und der Ermittler – seien echt, hätten teilweise nahezu ungefiltert auf die Seiten gefunden. Schreiberische Unterstützung erhielt Petermann wie schon bei seinem ersten True-Crime-Roman von dem Schriftsteller Claus Cornelius Fischer, der bereits Drehbücher für den „Tatort“ lieferte.
Kiefer Larsen heißt Petermanns fiktives Alter Ego; der Leser wechselt kapitelweise zwischen Ermittler-, Opfer- und Täterperspektive. Auf gut 400 Seiten puzzelt sich so ein kurzweiliger, durchweg spannender Fall zusammen, der nicht zuletzt deshalb fesselt, da es sich bei den brutalen und detailreich geschilderten Taten um Verbrechen handelt, die so oder sehr ähnlich tatsächlich begangen wurden.
Und schon schleicht es sich ins Bewusstsein, das altbekannte True-Crime-Dilemma. Ist es moralisch vertretbar, aus Unheil Unterhaltung zu machen? Als Leser immer auch Voyeur zu sein?
Auch er, sagt Petermann, sei nicht frei von diesen Zweifeln. „Meine Frau“, sagt er, „hat mich zu Beginn gefragt: 'Darf man das? Sollte man das?'“ Er selbst aber glaube: Das Interesse der Menschen an Abgründen ihrer Artgenossen sei ohnehin da. Also teile er seine Geschichten, biete Einblicke, die andere nicht bieten könnten. Trotzdem wäge er immer wieder vorsichtig ab: Spannend dürfe es sein, das solle es sogar, reißerisch aber nie. „Es ist“, sagt Petermann, „ein schmaler Grat.“
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