Das Hotel „The George“ im Hamburger Stadtteil St. Georg pflegt offenkundig mit Freude britische Traditionen: Gediegenes Mobiliar, skurrile Kunstwerke und Kellner mit anarchischem Humor dominieren die Atmosphäre dieser Vier-Sterne-Herberge unweit der Binnenalster. So erscheint es unmittelbar einleuchtend, dass die Gruppe Element of Crime diesmal nicht das vergleichsweise spröde Hamburger Literaturhaus, sondern diesen Ort auserkoren hat, um über ihr neues Album zu sprechen, das an diesem Freitag bei Universal Music erscheint.
„Schafe, Monster und Mäuse“ heißt es – und bedient tadellos das Begehren der Fans nach wohligem Leiden an der Welt, nach Moll-Tönen und elegischen Texten. Erste Live-Kostproben gab es unlängst bei einem umjubelten Open-Air-Auftritt des seit 33 Jahren harmonierenden Quartetts in Osterholz-Scharmbeck vor 3000 Menschen. Unter den Novitäten, die an der Stadthalle lautstark gefeiert wurden, war die ebenso wunderliche wie wunderbare Single „Am ersten Sonntag nach dem Weltuntergang“.
In dem wundersam vertraut klingenden Lied heißt es unter anderem: „Schön war das Leben, schlecht war die Welt, gut war die Liebe, böse das Geld.“ Es verwundert nicht, dass die zuverlässig vergnügliche Website der Combo den Song als „Blaupause eines Element-of-Crime-Songs“ kennzeichnet. Selbst- und Fremdzitate zählen zu den Standards der seit 1985 aktiven Formation. Deren eigenwilliger Kopf, ein gebürtiger Bremer, wird nicht müde, andauernde Originalität und Innovationskraft ins Reich der Fabel zu verweisen.
Das elementare Werk umfasse maximal vier ursprüngliche Kreationen, gibt Sven Regener zu Protokoll. Alles andere seien mehr oder weniger subtile Spielarten der Wiederholung. Und das sei auch gut so. „Es macht Spaß, sich selbst zu zitieren“, sagt Regener. Und lächelt mephistophelisch.
So ist „Karin, Karin“, ein Song des neuen Albums, ein Echo-Effekt von „Kaffee und Karin“ auf dem 2009er-Album „Immer da wo du bist bin ich nie“. Ein Albumtitel, der übrigens insofern seinerseits intertextuelle Bezüge unterhält, als er den Refrain der Erfolgssingle des Albums „Mittelpunkt der Welt“ (2005) um- und fortschreibt. In der schelmischen Provinzbetrachtung „Delmenhorst“ heißt es: „Ich bin jetzt immer da, wo du nicht bist“.
„Im Prinzenbad allein“ wiederum, ein Hohelied auf eine Schwimmgelegenheit vis-à-vis des Landwehrkanals in Berlin-Kreuzberg zitiert verhalten eine wässrige Passage aus Sven Regeners Debütroman „Herr Lehmann“ (2001). Dabei gelingt diesem konstruktiven Defätisten wieder und wieder das rare Kunststück, Selbstzitate so dezent und ergebnisoffen zu montieren, dass sie ebenso gut als selbstironische Poesie-Kommentare lesbar sind wie als philosophisches Plädoyer für die ewige Wiederkunft. Aber wir schweifen vor Begeisterung über so viele und so treffliche intellektuelle Verwirrspiele ab.
Der große Bruder
Der verspielt bis verschroben eingerichtete Salon im „The George“ jedenfalls, in dem Sänger Sven Regener und Gitarrist Jakob Ilja Hof halten, wirkt nachgerade prädestiniert für ein Cover-Shooting der Band, die sich auf den Bildern von Sven Regeners Lebensgefährtin Charlotte Goltermann gern so kauzig gibt wie die Texte des Frontmanns und Trompeters. Die beiden Musiker muten an diesem verregneten Mittag zugewandt, ja fröhlich an.
Regener trinkt reichlich schwarzen Tee. Am Abend ist die Band zum NDR-Late-Night-Format „Inas Nacht“ geladen; eingedenk der Schlagfertigkeit der Moderatorin Müller, die Sven Regener im Vorspann der Sendung als ihren „Lieblingssoziopathen“ bezeichnen wird, empfiehlt sich Aufgewecktheit. Sven Regener ist zunächst in ausgesprochener Plauderstimmung. Er erzählt vom anfangs hartnäckigen Widerstand der kulturkonservativen, auf Wahrung des Urheberrechts bedachten Band gegen Streamingdienste wie Spotify – mittlerweile geht die Gruppe Kompromisse ein.
Er lässt hiesigen Anhängern der Gruppe ausrichten, dass er sich auf das Quasi-Heimspiel in Bremen freut (ab Mai 2019 tourt die Band mit dem neuen Album durch Deutschland). Und er räsoniert über Verfilmungen seiner Romane im Allgemeinen und über das Buch „Der kleine Bruder“ im Besonderen. Dessen Adaption hätte er zwar gern im Kino gesehen; ergeben hat sich aber – bislang – noch nichts. „Film ist wie auf hoher See“, sagt Regener, „alles in Gottes Hand“.
Die Plauderstimmung stockt auffällig, als eine Frage zu seinem großen Bruder fällt, der übrigens den Vornamen seiner berühmten Romanfigur trägt – und der sich in Bremen vorübergehend in der AfD engagierte. Regeners Haltung – verschränkte Arme, ungewohnt zögerliche Antwort – ist vorübergehend ganz Abwehr, und wesentlich mehr lässt er sich nicht entlocken als den – zutreffenden – Gemeinplatz, dass es letztlich einzig Sache seines Bruders sei, wo und wofür er eintritt.
Und doch legt die Körpersprache des Künstlers nahe, dass ihn die parteipolitischen Umtriebe von Frank Regener, der bis Herbst 2017 immerhin als Vorsitzender des Kreisverbandes Bremen-Mitte-West amtierte, nachhaltig irritiert, ja erschreckt haben müssen. Das Gespräch kommt erst dann wieder in Fluss, als Jakob Ilja zufrieden feststellt, „dass wir ein Publikum haben, das CDs kauft“ – und sich daran eine zweite Diskussionsrunde über Streaming, Entgelt und geistiges Eigentum anschließt. „Ich will mich nicht verschleudern“, sagt Regener. „Rockmusik ist teuer.“
Erinnerungen an 2012 werden wach, als er in einer Brandrede auf Enteignungsstrategien hinwies, die in allen Kunstsparten verbreitet seien. Noch immer kann sich Regener über die mangelnde Achtung des Urheberrechts im Netz ereifern. Im Bayerischen Rundfunk hatte er damals gesagt: „Es wird so getan, als ob wir Kunst als Hobby machen. Das Rumgetrampel darauf, dass wir uncool seien, wenn wir darauf beharren, dass wir diese Werke geschaffen haben, ist nichts anderes, als dass man uns ins Gesicht pinkelt.“
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