In Deutschland zu leben, sagt die Japanerin Yoriko Seto, fühle sich manchmal an wie ein Auswärtsspiel im Fußball. Eine Partie auf fremdem Boden, ohne Heimvorteil, ohne Halt. Damals zum Beispiel, im Café. Setos Mann, ein Deutscher, hatte einen Cappuccino bestellt, umgerührt, danach den Löffel abgeleckt. Seto war schockiert. In Japan ist das Ablecken des Essbestecks ein Fauxpas, es gilt als unfein, kann sogar als sexuelle Anspielung verstanden werden.
Seto hat diese Momente festgehalten, sie zu Kunst gemacht. „Zwischen“ heißt ihre Arbeit, die zusammen mit den Werken 40 anderer Absolventen in der Abschlussausstellung der Studiengänge Digitale Medien und Integriertes Design der Hochschule für Künste (HfK) zu sehen ist: vom 28. Juni bis 2. Juli auf dem ehemaligen Gelände des Klinikums Bremen-Mitte.
Einen ganzen Raum hat Seto hier mit kulturellen Unterschieden gefüllt: auf einem Brett an der Wand steht eine Kaffeetasse, auf der Untertasse hat Seto den Löffel-Lapsus notiert. Eine andere Anekdote findet sich auf der Innenseite einer Waschmittelpackung. Seto, die seit wenigen Jahren in Deutschland lebt, musste erst lernen, dass helle und dunkle Kleidung hier meist getrennt in die Trommel wandert. Seto schreibt: „Um die Wäsche kümmert sich mein Mann. Ich sage: Vielen Dank fürs Waschen. Er antwortet: Vielen Dank fürs Schmutzigmachen.“
Zwei Tage vor der Eröffnung ist Setos Raum bereits fertig. In anderen wird noch gewerkelt, aufgebaut, geputzt. Das frühere Schwesternheim war in den vergangenen Jahren Bürotrakt und Flüchtlingsunterkunft, zuletzt Austragungsort wilder Partys. „Als wir hier ankamen, sah es aus, als sei das Haus besetzt gewesen“, sagt HfK-Dozent Alexander Böll, der die Ausstellung zusammen mit den Studierenden konzipiert hat.Davon ist jetzt nichts mehr zu sehen. 900 Quadratmeter Teppichboden haben Böll und seine Kollegen auf zwei Stockwerken verlegt, sie haben Wände gestrichen, verklebte Türen geöffnet. Das Gebäude, das in naher Zukunft abgerissen werden soll, sollte nicht von den gezeigten Arbeiten ablenken, sondern ihnen Raum bieten.
Das gelingt. Geht man den langen Flur entlang, zu dessen Seiten früher die Zimmer der angehenden Krankenschwestern abgingen, ist es, als blickte man in viele kleine Galerien. Teils sind die Räume durch Türen oder Gucklöcher in den Wänden miteinander verbunden, deuten an, was wenige Meter weiter in Gänze zu sehen ist.Die Vielfalt der Arbeiten ist wie bereits in den vergangenen Jahren riesig: Birte Manz etwa stellt die erste Kollektion ihres Modelabels Sickman aus; ihr Raum gleicht einem Pop-up-Store, der so auch nicht in Hamburg oder Berlin überraschen würde. Als Masterprojekt hat sie einen Businessplan entwickelt: für nachhaltige Kleidung aus Strick.
Christina Stohn hingegen hat sich in ihrer Arbeit mit den Traditionen ihrer Heimat, dem Schwarzwald, auseinandergesetzt. Großformatige Fotografien, mit denen Stohn auf Platz zwei des Sony World Photography Awards landete, zeigen Trachten, die seit Jahrhunderten zu dörflichen Feierlichkeiten getragen werden – und die sich bis heute nicht verändert haben. Warum, fragt Stohn, hält der Mensch an derartigen Brauchtümern fest, warum unterwirft er sich freiwillig ihren Regeln, wenn er sonst allenthalben auf Freiheit pocht?
Alexander Böll ist sichtlich stolz auf die Ausstellung, die, so sagt er, perfekt abbilde, wie vielfältig die Studiengänge seien. Vor allem aber zeichne die Schau aus, dass ihre Arbeiten viele aktuelle Themen aufgriffen, dass sie ein Spiegel der Gesellschaft sei. „Die Arbeiten kreisen um die großen Fragen unserer Zeit“, sagt er. „Was die Menschen bewegt, das bewegt auch unsere Studierenden.“
Einer der Absolventen darf sich nicht nur über eine mehrtägige Präsentation seines Werks freuen, sondern auch über 10 000 Euro. Wer, wird sich an diesem Freitag entscheiden. Wie schon in den vergangenen Jahren wird auf der Ausstellungseröffnung der Frese-Design-Preis vergeben, mit dem besondere Leistungen in den Abschlussarbeiten der Studiengänge Digitale Medien und Integriertes Design gewürdigt werden. Zusätzlich kann die Jury drei Belobigungen aussprechen, die mit jeweils 500 Euro dotiert sind. Ende Mai hatte die Hochschule bekanntgegeben, dass die von der Petra-und-Dieter-Frese-Stiftung gestellte Auszeichnung auch in den kommenden Jahren vergeben werden kann (wir berichteten).
Weitere Informationen
HfK-Jahresausstellung der Studiengänge Digitale Medien und Integriertes Design, 28. Juni bis 2. Juli, Gelände des ehem. Klinikums Bremen-Mitte, Am Schwarzen Meer 142.