Bremen. Zwischen den Jahren 2000 und 2007 wütete der sogenannte Nationalsozialistische Untergrund (NSU) in Deutschland. Die rechtsextremen Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt ermordeten zehn Menschen: acht mit türkischen, einen mit griechischen Wurzeln sowie die deutsche Polizistin Michèle Kiesewetter. Das Motiv: Ausländerhass.
Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe wurde für diese in der Geschichte der Bundesrepublik beispiellose politische Verbrechensserie zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt. Das mit ihr befreundete Mörderduo hatte Selbstmord begangen, mitangeklagte Helfershelfer wurden zu unterschiedlich langen Strafen verurteilt. Die Rolle des Verfassungsschutzes ist bis heute nicht geklärt.
Soweit die Faktenlage. Doch was ist mit den Hinterbliebenen, mit denen, deren Ehemänner, Väter, Brüder, Freunde fehlen? Die Regisseurin Aysun Bademsoy hat einige von ihnen besucht und nachgefragt. Dabei geht sie durchaus auch von eigener Betroffenheit aus: Alle, die aus der Türkei eingewandert seien und Deutschland als ihre Heimat betrachteten, seien durch diese Mordserie in ihrem Grundvertrauen erschüttert worden. Dieser auch persönliche Ansatz führt in „Spuren – die Opfer des NSU“ an keiner Stelle zu einer verzerrten Sicht auf die Dinge: Die Regisseurin hält sich im Hintergrund, sie fragt und lässt reden. Mehr braucht es nicht – die Fassungslosigkeit angesichts dieser Verbrechen und deren Aufarbeitung ist nach wie vor enorm.
Zu Beginn sieht man Ali Toy, der an einer Landstraße Blumen verkauft, so wie früher sein Freund Enver Şimşek. Şimşek war das erste Opfer des NSU, er starb am 11. September 2000 in der Nähe von Nürnberg. „Ein guter Mensch“ sei er gewesen, sagt Toy und zeigt auf die Bäume, die er als Andenken gepflanzt hat: Walnuss, Kirsche, Apfel. An einem hat er ein Foto befestigt.
Süleyman Taşköprü wurde im Laden seines Vaters in Hamburg-Bahrenfeld ermordet, sein Bruder erzählt von ihm als großem Vorbild, man sieht Fotos des Sylvester-Stallone-Fans Süleyman auf dem Hollywood-Boulevard und bei Partys. Sein Bruder spricht aber auch von den Verdächtigungen der Polizei, den DNA-Proben und angeblichen Drogengeschäften seines Bruders. Und zu der Wehmut, die zunächst in seiner Stimme überwiegt, gesellen sich Enttäuschung und das Gefühl, doch nicht dazuzugehören. Es sind diese Empfindungen, denen Aysun Bademsoy bei allen Interviewten immer wieder begegnet. Besonders die Bitterkeit über die Ermittlungen der Polizei, die alle Ermordeten willkürlich in einem kriminellen Milieu verortete und den Opfern damit quasi eine Mitschuld an ihrem eigenen Tod zuwies, hat sich festgesetzt.
Auch in der Familie des Dortmunder Einzelhändlers Mehmet Kubaşık. Seine Witwe Elif weint, als beim gemeinsamen Kochen mit anderen Frauen ein trauriges Lied gesungen wird. Sie lebe „nur noch in Dunkelheit“, sagt sie. Ihre Tochter Gamze dagegen ist kämpferisch: Sie will die Stadt, in der sie aufgewachsen ist, nicht aufgeben. Semiya, die Tochter von Enver Şimşek, hat sich früh öffentlich empört über das aus ihrer Sicht ungerechte Urteil und die diskriminierende Behandlung der Angehörigen. Und sie hat einen anderen Weg gewählt als Gamze Kubaşık. Sie ist mit ihrer Familie in die Türkei gezogen.
Weitere Informationen
„Spuren“ ist ab Donnerstag, 13. Februar, im Cinema Ostertor zu sehen. Aysun Bademsoy ist am 18. Februar um 18.45 Uhr zu Gast.
Jetzt sichern: Wir schenken Ihnen 1 Monat WK+!