Herr Feldhusen, Herr Gahmert, glaubt man dem Titel Ihres Buches, haben sie Unglaubliches aufgedeckt! Sie meinen also, die Bremer Stadtmusikanten sind gar nicht so liebe und harmlose Tiere wie alle denken?
Philipp Feldhusen: Im Januar 2019 haben wir in einer Kneipe gesessen und über den Stadtmusikanten-Sommer 2019 geredet. Wir hatten überlegt, da auch etwas zu machen und den Tieren in irgendeiner Art und Weise zu huldigen, so wie es ganz Bremen tat. Als wir das Märchen noch einmal gelesen haben, sind wir dann aber auf den erschütternden Aspekt gestoßen, dass die vier Protagonisten einfach ohne jeden Beweis Männer in einem Haus als Räuber bezeichnen. Das konnten wir natürlich nicht akzeptieren!
Peer Gahmert: Ein ziemlicher Skandal, den wir da aufgedeckt haben, wie wir finden. Der musste an die Öffentlichkeit.
Warum haben Sie das Ganze denn nicht vergangenes Jahr zum 200-jährigen Jubiläum des Märchens veröffentlicht?
Feldhusen: Weil wir leider extrem langsam waren...
Gahmert: Nein, wir waren extrem gründlich!
Feldhusen: Wir sind ja seit dem Buch auch Investigativjournalisten. Solche Projekte brauchen Zeit. Die kann man nicht mal eben in drei Monaten runterschreiben. So etwas dauert durchaus auch mal zwei Jahre.

"Tatort Märchen" vom Seriösen Verlag
Wir der Leser aus dem Klappentext erfährt, ist dies Ihr erstes investigatives Sachbuch. Was hat Ihnen am meisten Spaß gemacht?
Gahmert: Ich weiß nicht, ob Spaß wirklich die Kategorie ist, in der wir hier denken. Es war einfach extrem wichtig, dieses Buch auf den Markt zu bringen und diesen skandalösen Umstand vor allem an die Bremer Bevölkerung weiterzugeben, damit sie mal darüber nachdenkt, wem sie da eigentlich huldigt.
Um Ihre These zu belegen befragen Sie in Ihrem Buch zahlreiche Experten. Gibt es Fachleute, die Ihre Anklage unterstützen?
Feldhusen: In der Tat. Man muss nur die richtigen Fragen stellen.
Wer war sofort auf Ihrer Seite?
Gahmert: Der Drehbuchautor David Ungureit hat 2010 das Drehbuch für eine Verfilmung das Märchens in der ARD geschrieben. Dankenswerterweise hat er schon damals diesen fürchterlichen Aspekt des Märchens bemerkt und versucht, dagegen an zu arbeiten, indem er die angeblichen Räuber auch tatsächlich eindeutig als Kriminelle dargestellt hat. Leider wurde seine Vorarbeit in der Öffentlichkeit aber wenig wahrgenommen.
Gab es auch Experten, die Ihnen widersprochen haben?
Feldhusen: Ja, der ehemalige Bürgermeister Jens Böhrnsen. Er ist – wahrscheinlich schon des Berufs wegen – sehr großer Fan der Stadtmusikanten. Er hat am Ende sogar uns fast überzeugt, dass das eigentlich ganz nette Tiere sind. Wir sind aber natürlich standhaft geblieben und haben uns da nicht reinreden lassen.
Gahmert: Mit dem Interview haben wir Herrn Böhrnsen natürlich auch die Chance gegeben, sich als ehemaliger Bürgermeister im Nachhinein noch von dem Märchen zu distanzieren. Aber trotz unserer Ausführungen war er nicht von seiner Begeisterung abzubringen. Aus unserer Sicht ist das natürlich ziemlich bedenklich.
Herr Gahmert, wie wir im Buch erfahren, haben Ihre Eltern Ihnen als Kind auch die Bremer Stadtmusikanten vorgelesen. Meinen Sie, Sie haben einen dauerhaften Schaden davongetragen?
Gahmert: Ja, sonst hätte ich wohl nicht Jahre später ein Buch darüber geschrieben. Ich glaube, dass kann man schon als Schaden bezeichnen.
Erschienen ist Ihr Buch im „Seriösen Verlag“. Der wurde in diesem Jahr von Ihnen selbst gegründet und vertreibt genau ein Buch. Kann man hier wirklich von Seriösität sprechen?
Gahmert: Absolut. Sonst hieße er ja Unseriöser Verlag.
Wie belegen Sie das?
Gahmert: Entschuldigung, die Frage habe ich jetzt akustisch nicht verstanden...
Lassen wir das. Jetzt, wo sie das Thema wirklich von allen Seiten beleuchtet haben: Was sollte Bremen daraus für Konsequenzen ziehen?
Feldhusen: Wir haben eine korrigierte Fassung des Märchens vorgeschlagen. Nun ist es wichtig, dass man das Originalmärchen vernichtet, oder es künftig zumindest von Kindern fernhält.
Gahmert: Ich finde, das Originalmärchen kann durchaus für die Forschung erhalten bleiben, allerdings sollte es Leuten vorbehalten sein, die damit umgehen können und wissen, dass es sich um Fiktion handelt. Vielleicht sollte es mit einem Mindestalter versehen werden – mit einem FSK-Prüfer haben wir in unserem Buch auch ein Interview geführt. Und wir würden vorschlagen, die unheilvolle Statue der Bremer Stadtmusikanten entweder zu entfernen oder zumindest mit einer erklärenden Schrifttafel zu ergänzen.
Wie geht es weiter? Die Brüder Grimm haben noch andere Märchen mit skandalösen Inhalten geschrieben. Da gibt es sicher noch einiges für Sie aufzuklären, oder?
Gahmert: Wenn dieses Buch einschlägt, werden wir daraus natürlich ein lebenslanges Geschäft machen. Der Fundus an Märchen und Aufklärungsarbeit ist nahezu unerschöpflich.
Das Gespräch führte Alexandra Knief.
Philipp Feldhusen und Peer Gahmert sind beide gebürtige Bremer und hier bis heute in verschiedenen Bereichen der Unterhaltungsbranche tätig. Zudem schreiben sie Texte für das Satiremagazin „Der Postillon“ und für ihre eigene Satireseite „Eine Zeitung“. Mit „Tatort Märchen“ haben sie nun gemeinsam ein Buch veröffentlicht.
In ihrem Buch „Tatort Märchen“ stellen die beiden Bremer Satiriker Peer Gahmert und Philipp Feldhusen eine gewagte These auf: Die Bremer Stadtmusikanten sind gar keine Helden, die man feiern sollte, sondern eigentlich die wahren Verbrecher in ihrem Märchen. Denn sie überfallen hilflose Männer in ihrem Haus im Wald und bringen sie um ihren gesamten Besitz. Gerechtfertigt wird das einzig und alleine durch die Behauptung, dass es sich bei den Männern um Räuber handele.
Dies, so die Autoren, wird aber an keiner Stelle des Märchens belegt. In ihren Augen vermittelt die Geschichte Kindern also die Botschaft: Vorverurteilung lohnt sich! Und dass es völlig okay sei, Menschen einzig aufgrund ihres Aussehens in Schubladen zu stecken. Um diesen Skandal aufzudecken, haben Feldhusen und Gahmert das Buch „Tatort Märchen“ geschrieben und darin mit Experten in kurzen Interviews über die Moral der Geschichte diskutiert. Zu Wort kommen unter anderem Eltern und Kinder, ein Anwalt, die Polizei, ein Autor, der zufällig Grimm heißt, ein Rechtshistoriker, eine Psychotherapeutin und Bremens ehemaliger Bürgermeister Jens Böhrnsen.
Mit sehr viel Witz und Selbstironie haben Gahmert und Feldhusen ein unfassbar absurdes, an keiner Stelle ernst zu nehmendes Buch geschrieben, in dem man unter anderem erfährt, dass Jens Böhrnsen als Kind Angst vor Hänsel und Gretel hatte. Absolute Leseempfehlung nicht nur für alle Bremer.
Weitere Informationen
Peer Gahmert & Philipp Feldhusen: Tatort Märchen. Wie die Bremer Stadtmusikanten seit mehr als 200 Jahren den Rechtsstaat verhöhnen. Seriöser Verlag, Bremen. 186 Seiten, 12 €. Erhältlich unter anderem unter serioeser-verlag.de