Johann Büsen will Geschichte schreiben. Auf jeden Fall wird er bald Teil der Geschichte des Kunsttunnels sein. Der Tunnel, der von der Kunsthalle zum Osterdeich an die Weser führt, ist seit Jahren Streitpunkt städtischer Nutzkultur. Für die einen ist er ein Ort für Straßenkunst, andere sehen das als Verschandelung; die nächsten nutzen den Tunnel als Toilette.
Vor sieben Jahren jedenfalls wurde der Ort schon einmal als öffentliche Galerie vermarktet; Künstlerinnen und Künstler brachten Graffiti, Gemälde und Fotografien an. Bis jetzt ist es dort wieder düster. Johann Büsen soll nun das vorerst letzte Kapitel schreiben.
Er hat unter 33 Künstlerinnen und Künstlern den Wettbewerb des Senators für Kultur gewonnen und gestaltet nicht nur den Tunnel neu, sondern muss sich die nächsten fünf Jahre auch darum kümmern. Denn die Stadt mag es nicht, wenn wieder Graffiti und Tags an den Wänden auftauchen.

Für Johann Büsen ist der Computer zugleich Archiv und Werkzeug.
Büsen macht das nichts aus. Bisher zeigte der Künstler seine Bilder meist in Galerien, auf begrenzten Flächen, in kleinem Format und für kurze Zeit. Nun kann er sich ausbreiten – er will seine Bilder der Öffentlichkeit präsentieren, in Großformat: 200 Bahnen Papier hat er vorbereitet. Drei Liter Tinte verbraucht. Jede Bahn ist 2,50 Meter hoch, einen Meter lang.
Der 32-jährige Büsen hat bis 2010 Kunst an der Hochschule für Künste in Bremen studiert. Seitdem ist er umtriebig, hat in Worpswede den Paula-Modersohn-Becker-Nachwuchs-Kunstpreis gewonnen, in Bremen, Berlin, Hamburg oder München ausgestellt. Er glaubt, dass er den Wettbewerb des Senators gewonnen hat, weil seine Bildsprache näher an der Jugend sei und von ihr respektiert werde.
Mit Kleister und Klarlack
Das, was er macht, lässt sich am besten als digitale Malerei beschreiben, als eine Mischung zwischen Pop Art, Comic und Surrealismus, die in einer Collage zusammenläuft. Alles ist bunt, schrill, aufdringlich und doch verstecken sich auf zahlreichen Ebenen kleine Gimmicks. Sein Computer dient ihm dazu als Archiv und Werkzeug.

Büsen liebt mystische Welten und Wesen – an die Kunsttunnelwände wird er diese in Gestalt großer Pigmentdrucke anbringen.
Nun steht er aber im Tunnel mit Kleister und Klarlack. Die Bahnen sollen vor Witterung geschützt werden. Es sind Welten, die Büsen an den drei Fliesenwänden des Tunnels erschafft. Er bearbeitet und verfremdet Fotografien oder Filmausschnitte, Zitate aus Gesellschaft, Wissenschaft und Politik, nutzt Comics und Kinderzeichnungen, die er am Computer zu einem neuen, fast endlos wirkenden Bild zusammensetzt.
Ein Puzzle mit Hunderttausenden Teilen, in dem man wie in einer Timeline scrollen kann. Es trifft sich gut, wenn Radfahrer vorbeifahren oder Jogger vorbeilaufen, weil es wie eine Kette von Bildern wirkt, die man in Bruchsekunden erfasst und dann wegklicken kann.
Keine in sich geschlossene Erzählung
Aber Büsen will, dass die Menschen stehen bleiben, sich mit den Motiven beschäftigen, vielleicht auch jeden Tag etwas Neues entdecken, um so dem Informationsüberfluss etwas entgegenzusetzen. Jeder Mensch jeden Alters solle etwas entdecken. Auf blutige oder gruselige Szenen hat Büsen deswegen verzichtet, auch in Absprache mit der Behörde des Senators für Kultur.
Eigentlich war eine riesige Ratte eingeplant, die darf nun nicht in den Tunnel. Es gibt keinen Handlungsstrang, keine in sich geschlossene Erzählung. Es gebe viele Hauptmotive, die die Geschichte bildeten, erklärt Büsen. „Der, der das Bild betrachtet, soll etwas wiedererkennen, manchmal soll es ihm auch zu Fragen anregen.“
So reihen sich Zahnspangen an Soldaten, Bakterien an Menschen in Schutzanzügen, immer wieder tauchen Dinosaurier oder Bezüge zu Japan auf, mal ein Paravent, mal ein Kimono. Büsen mag das Mystische. Und er mag Tiere. Pflanzen und Amphibien durchziehen die Bildsequenzen, als handele es sich um eine Unterwasserwelt.
Pinsel, Stift und Marker auf dem Grafiktablet
Politisch ist Büsens Kunst nicht, auch wenn die Auswahl einzelner Motive das vermuten ließe. „Ich will nicht den Zeigefinger heben, sondern nur das widerspiegeln, was Realität ist“, sagt er. Seine mystische Welt sei ein Spiegel dessen. Er nennt es „Multiverse“, also Universen, in denen alles parallel stattfindet. Das ist bunt, grell und das Auge springt hin und her.
Die Bilder besitzen eine Tiefe und Räumlichkeit, obwohl so viele Elemente nebeneinander gelegt sind. Einen goldenen Schnitt gibt es nicht, trotzdem ähnelt der Bildaufbau dem der klassischen Malerei – Büsen nutzt ebenfalls Pinsel, Stift und Marker, nur in digitaler Form auf seinem Grafiktablet.
Mehr als ein halbes Jahr lang hat er an der Gestaltung der Wände gearbeitet, zwei Wochen lang nur gedruckt, eine Woche lang für die Umwandlung der Druckdateien benötigt. Fünf Gigabyte groß ist die Datei mit den Druckvorlagen. Er hofft, dass die Künstler der Straße sein Werk akzeptieren. „Selbst wenn sie Street-Art darüber malen, würde es sich zwischen all den Texturen, Mustern und Partikeln einfügen“, sagt er. Vielleicht würde es nicht einmal auffallen. Falls doch, hat er die nächsten fünf Jahre Zeit, einfach neue Papierbahnen darüber zu kleistern.