Darf Auschwitz zur Punchline, zur Pointe einer Rapzeile werden? Ja, findet der Ethikrat des Bundesverbandes der deutschen Musikindustrie. Es ist Echo-Zeit, und weil die traurigste Preisverleihung der an traurigen Preisgalas nicht gerade armen deutschen Unterhaltungsbranche ohnehin um alles kreist außer um gute Musik, gab es auch in diesem Jahr den inzwischen obligatorischen Skandal. Die Angeklagten: Gangsta-Rapper Kollegah und Farid Bang. Verantworten müssen sich sie vor allem für den Song „0815“, der einer Sonderedition ihres Album „Jung brutal gutaussehend 3“ beiliegt, das wegen über 200.000 verkaufter Einheiten gleich in zwei Echo-Kategorien nominiert war und in einer gewann.
Auf dem Song, der von Gewalt gegen Frauen bis zu rassistischen Ressentiments gegenüber Geflüchteten die ganze Scheußlichkeitenpalette bedient, lässt Farid Bang auch wissen, sein Körper sei „definierter als von Auschwitzinsassen“. Die Körperästhetik des Bodybuildings wird in direkten Zusammenhang mit den ausgemergelten Leibern von KZ-Häftlingen gerückt. Antisemitismus in Reinform warfen Boulevard und Verbände dem Duo daraufhin vor und forderten den Ausschluss vom Echo. Der Ethikrat hielt dagegen. Es handele sich um einen „absoluten Grenzfall“. Die künstlerische Freiheit sei aber „nicht so wesentlich übertreten“, dass ein Ausschluss gerechtfertigt wäre.
Herabsetzen als Handwerk
Man fragt sich umgehend, wie so ein Text aussehen muss, damit er in den Augen dieser Ethikkommission kein Grenzfall mehr ist. Natürlich ist die Auschwitz-Zeile eine unfassbare Geschmacklosigkeit, die das Leid von Millionen von Menschen verhöhnt. Aber, und das war ja der Vorwurf, handelt es sich bei ihrer Zeile wirklich um Antisemitismus? Denn natürlich ist die Frage, ob der deutsche Gangsta-Rap ein Antisemitismus-Problem hat, mit dem Urteil des Ethikrats überhaupt nicht beantwortet.
Schon klar, Battle-Rap taugt nicht zur Gedichtsanalyse, das ewige Argument. Herabsetzen gehört zum Handwerk. Battle-Rap ist eine Disziplin, die per Definition darauf abzielt, dem realen oder fiktiven Gegenüber verbale Schläge zu verpassen. Das Ergebnis ist zwangsläufig plakativ, provozierend, klischeegetränkt. Hätte Populismus einen Soundtrack, es wäre ein Battle-Rap-Album. Das Widerwärtigkeitentourette von Farid Bang und Kollegah rechtfertigt das keinesfalls. Es ist trotzdem wichtig, um zu verstehen, warum eine ekelhafte Zeile nicht reicht, um der tatsächlichen Judenfeindlichkeit im deutschen Rap näher zu kommen.
Motive und Codes
Natürlich hat der deutsche Rap ein Antisemitismus-Problem. In einem Land, in dem „Jude“ auf Schulhöfen wieder ein Schimpfwort ist, wäre es merkwürdig, wenn die größte Jugendkultur davon unbefleckt bliebe. Wenn Rap ein Spiegel der Gesellschaft ist, dann ist es nur logisch, dass er auch ihre hässlichsten Seiten aufweist. Offenen Judenhass gibt es kaum im deutschen Rap. Antisemitische Stereotype finden sich in wiederkehrenden Motiven und Codes.
Deutscher Rap ist ein ranziger Schwamm, der trieft vor gefährlichem Halbwissen aus Youtube-Dokumentationen, kruder Kiffer-Logik und Verschwörungstheorien. Schuld an der Schieflage der Welt sind in vielen Songs Illuminaten, Geheimtreffen, Hintermänner. Die Krise des Kapitalismus, den man grundsätzlich großartig findet, wird über das böse Zinssystem erklärt. Zur jüdischen Weltverschwörung fehlt dann oft nur noch ein Halbsatz. Die Vorstellung von überpriviligierten Juden, die im Bankwesen ihr Geld verdienen, ist im deutschen Gangsta-Rap weit verbreitet.
Entlarvende Reaktion
Haftbefehl tickt in einem Song von 2010 „Kokain an die Juden von der Börse“, wofür er sich später mehrfach entschuldigte. Auf Kollegahs Album „King“, das sich weit über 300.000 Mal verkaufte, rappt Favorite: „Ich leih‘ dir Geld, doch nie ohne `nen jüdischen Zinssatz.“ Und ein paar Zeilen später: „Yeah, Freispruch, wie üblich, ich kann hier halt machen, was ich will dank meines jüdischen Anwalts.“ Im Song „Contraband“ der ähnlich erfolgreichen Rapper Fard und Snaga folgen in einer Aufzählung auf „Kontra Peace, kontra Tel Aviv“ die Zeilen „kontra Bilderberger, Volksverräter, Hintermänner“ und „kontra Zins, kontra Schuld, kontra Geduld“.
Diese verschwörungsideologischen Erzählstränge laufen in Kollegahs 13-minütigen Stück „Apokalypse“ zusammen. Einer Art Sciene-Fiction-Song, der mit seinem Text und der Bildsprache des Videos eine antisemitische Lesart explizit zulässt. Im Clip befreit Superheld Kollegah die Welt von einem Oberbösewicht, der an einer Stelle im Video einen Ring mit dem Davidstern am Finger trägt. Besiegt ist das Böse in der Geschichte erst, als Kollegah einen Bankenturm in London zerstört. Danach ist das zuvor umkämpfte Ost-Jerusalem befreit, und Muslime, Buddhisten und Christen leben friedlich zusammen. Vom Judentum ist im „Happy-End“ seiner Geschichte keine Rede.
Ebenfalls einigermaßen entlarvend war Kollegahs Reaktion auf die jüngste Kritik. Eine Flucht nach vorne zwischen gönnerhaftem, fast staatsmännischem Wiedergutmachungsduktus zum einen („Ab jetzt auf Lebenszeit freier Eintritt auf jedes Konzert für alle unsere jüdischen Freunde! Als Zeichen des Zusammenhalts unserer rassismusfreien Hiphopkultur“) und populistischem Bullshit-Bingo zum anderen („Die Medien wollen aufhetzen, aber nicht mit uns“).
Gesamtgesellschaftliches Problem
Ein wenig verwundert es schon, dass der Antisemitismus im deutschen Rap erst jetzt zum großen Thema wird. Schon lange bevor Kollegah seine sehr einseitige Palästina-Dokumentation präsentierte, krankte ein Teil des Genres an einem Nahost-Fetisch. Die Das-wird-man-doch-noch-rappen-dürfen-Fraktion tarnt Judenfeindlichkeit seit Jahren als salonfähige „Israelkritik“. Bushidos Twitter-Profilbild ziert lange schon eine Grafik, auf der Israel von der Landkarte gestrichen wurde. Rapper Massiv teilte auf Facebook unter anderem mal ein Bild mit dem Satz: „Am 11. September sind 4000 Israelis im World Trade Center nicht zur Arbeit erschienen.“
Es läge jetzt wieder natürlich nahe, so einen Dussel-Text aufzusagen, der das ganze Thema als ein Problem abtut, das allein aus arabischen Ländern importiert wurde. Der Verweis auf die Herkunft greift aber natürlich viel zu kurz. Rapper wie die bereits genannten Kollegah und Snaga (und es gäbe noch einige Beispiele mehr) haben in Deutschland Abitur gemacht. Wenn die Diskussion um Judenfeindlichkeit im deutschen Rap eine Erkenntnis zutage fördern sollte, dann hoffentlich, dass Antisemitismus ein gesamtgesellschaftliches Problem ist.