Bremen. Das Pappschild an der Tür ist alles andere als einladend. „Refugees not wanted“ (Flüchtlinge unerwünscht) hat jemand mit schwarzem Fettstift darauf geschrieben. Doch die namenlose syrische Frau reißt das Schild herunter. Sie öffnet die Tür und geht hindurch, denn sie sucht einen Ort, an dem sie bleiben kann. Sehr heimelig ist es nicht hier in diesem Kellerraum, irgendwo in
Istanbul. Doch die Frau hat keine Wahl. Sie rollt ihren Schlafsack aus, stellt den Tisch und einen Stuhl auf die Füße, packt ihre Thermoskanne aus, zündet eine Kerze an, ignoriert den Müll. Und beginnt, ihre Geschichte zu erzählen.
Die amerikanische Schauspielerin und Autorin Elizabeth Huffman ist in die Rolle dieser Frau geschlüpft, deren Namen man während ihres eineinhalbstündigen, unbedingt sehenswerten Solo-Gastspiels in der Bremer Shakespeare Company nicht erfährt. Das kommt nicht von ungefähr; denn diese Frau steht in „The Re-Imagining of French Gray by the Displaced Woman“ stellvertretend für viele Geflüchtete aus Syrien. Der Titel des Stücks suggeriert dabei eine Verschwurbeltheit, die die Performance glücklicherweise nicht hat. Elizabeth Huffman hat sich von dem 1967 geschriebenen Stück „French Gray“ inspirieren lassen. In Josef Bushs Stück sinniert die französische Königin Marie Antoinette (1755-1793) im Kerker über ihr Leben – mal selbstzufrieden, mal unsicher, mal traurig.
Huffman hat das Stück für das Jahr 2016 weiterentwickelt, die Regisseurin Louanne Moldovan hat es für die Bühne eingerichtet: In dem türkischen Kellerraum findet die syrische Flüchtlingsfrau den Originaltext und beginnt, sich mit Marie Antoinette zu beschäftigen, und es blättern sich die Lebenswege der beiden Frauen auf. Beide sind auf ihre Weise Opfer von Revolutionen geworden: Marie Antoinettes Zeit als Königin (und vier Jahre später auch ihr Leben) war vorbei, als die französische Revolution im Jahr 1789 Schluss machte mit der Herrschaft der Aristokraten. Die von Elizabeth Huffman erdachte Syrerin gerät aus Zufall in die Wirren der Proteste gegen Diktator Bashar al-Assad – es geht ihr sehr gut; ihr Mann ist reich, sie gehört zur Oberschicht. Die Demonstrationen nimmt sie als Störfaktor auf dem Weg zum Shoppingcenter wahr. Doch dann gerät ihr Mann zufällig zwischen die Fronten und wird erschossen, und dessen Vater nimmt die Gelegenheit zur allzu gern wahr, die ungeliebte Schwiegertochter aus dem Haus und damit auch aus dem Land zu werfen.
Huffman macht aus dem Porträt dieser Frau, die so plötzlich entwurzelt wird, eine packende Charakterstudie. Ihr Englisch hat einen arabischen Akzent, sie bewegt sich mit der Breithüftigkeit etwas korpulenterer arabischer Frauen, sie klagt leise, packt im Moment darauf die ganz große Geste aus. Es dauert lange, bis der Syrerin klar wird, dass sie es im Ausland nicht besser haben wird als alle anderen Flüchtlinge. Und dass es vielleicht ganz gut gewesen wäre, sich beizeiten über die sozialen Verhältnisse und politischen Verbrechen in Syrien ein paar Gedanken zu machen anstatt mit perlenbesetzter Augenbinde in einem selbstdefinierten Märchenland zu leben. An diesen Schnittstellen verwandelt sich Huffmann – unterstützt von passgenauen Sound- und Lichteffekten (Lawrence Siulagi, Jeff Forbes) – in Marie Antoinette, die mit französischem Akzent Englisch spricht. Huffman tänzelt zu Menuettklängen durch den Raum, während sie sich darüber empört, wie schmutzig ihre Untertanen sind. Ein bisschen mehr Grazie trotz Hungerödem müsste doch wohl drin sein, oder? Gleichzeitig leidet sie darunter, immer „die Österreicherin“ zu sein. Ungeliebt vom Volk, beargwöhnt von den französischen Adligen. Und was hätte eigentlich aus ihr werden können, wenn ihr Leben nicht derart fremdbestimmt verlaufen wäre?
Die Syrerin hat schließlich dann doch noch verstanden. „Do Something worthy with your Life!“ (Mach etwas Sinnvolles aus Deinem Leben) hat eine politisch engagierte Studentin ihr kurz vor der Flucht zugerufen. Noch ist es für sie nicht zu spät. Es gibt noch diese eine Diamantenkette, mit der man eine Schule in einem Flüchtlingscamp finanzieren könnte.