Geschlechtergerechtigkeit in der Literatur Wenige Frauen in Verlagsprogrammen

Die Empörung über zu wenig Autorinnen auf dem Buchmarkt zwingt die Verlage zum Handeln. Sie wollen nun mehr Frauen unter Vertrag nehmen. Auch Buchpreis-Juroren setzen mehr auf Geschlechtergerechtigkeit.
25.02.2020, 21:55 Uhr
Lesedauer: 3 Min
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Von Theresa Held

Im Literaturbetrieb tut sich was. Eine Welle der Empörung darüber, dass Autorinnen auf dem Buchmarkt unterrepräsentiert sind, erwischt alte Strukturen. Debatten um die Sichtbarkeit von Schriftstellerinnen flammen auf. Mittlerweile betonen Buchpreis-Juroren, dass sie auf ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis achten. Verlage wollen zunehmend Frauen unter Vertrag nehmen. Doch Kritikerinnen sind sich einig: Es ist noch ein langer Weg bis zum Gleichgewicht. Dafür müsse an vielen Stellschrauben gedreht werden.

Eine Aktion sorgte vor Kurzem für Aufsehen: Die Literaturwissenschaftlerinnen Berit Glanz und Nicole Seifert riefen im November auf Twitter dazu auf, Autorinnen in den Verlagsvorschauen des Frühjahrsprogramms zu zählen (#Vorschauenzählen). Zuvor hatte die Untersuchung #frauenzählen ergeben, dass Autorinnen im Feuilleton unterrepräsentiert sind. „Daraufhin haben wir immer wieder gehört, dass das auch an den Verlagsprogrammen liegen würde“, so Glanz.

Ernüchterndes Ergebnis

Mit Blick auf die Untersuchung der Verlagsprogramme sagt sie: „Wir haben uns gewünscht, damit eine inhaltliche Debatte anzustoßen, Gespräche darüber zu führen, wie der Literaturbetrieb in vielerlei Hinsicht diverser werden kann.“ Das ist gelungen, das Ergebnis sei dennoch ernüchternd gewesen: Frauen sind im Literaturbetrieb unterrepräsentiert. In den untersuchten Verlagen kämen drei Autoren auf zwei Autorinnen. „Die Tendenz: Je höher das literarische Prestige eines Verlages, desto mehr scheint er auf Männer im Programm zu setzen“, schrieben die Literaturwissenschaftlerinnen in einem „Spiegel“-Artikel.

Es folgt eine Debatte, wie dieses Ungleichgewicht zu werten sei, welche Schlüsse daraus zu ziehen sind. Quoten werden diskutiert und verworfen – es müsse schließlich um Qualität gehen, heißt es. Auch die Germanistin Andrea Geier hält nichts von einer Autorinnen-Quote. Vielmehr müsse man sich bestehende Strukturen bewusst machen und diese hinterfragen, sagt die Wissenschaftlerin der Universität Trier. Sie fordert einen Perspektivwechsel, Verlage müssten sich etwa Gedanken über bisherige Auswahlkriterien machen und diese hinterfragen. So könne sich der Betrieb Stück für Stück ändern – und es habe sich schon einiges getan in der Vergangenheit.

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Etwa bei Buchpreisen. Sie könnten Aufmerksamkeit lenken, ist sich Jens Bisky sicher, der den Vorsitz der Jury für den Preis der Leipziger Buchmesse innehat. Die Jury besteht aus vier Kritikerinnen und drei Kritikern. Das Gleichgewicht von Frauen und Männern sei bei Nominierungen ausführlich besprochen worden, sagt Bisky. Auf die Liste kamen in der Belletristik 2020 schließlich drei Männer und zwei Frauen. Im Vorjahr gewann Anke Stelling die Auszeichnung.

„Eigentlich kann es sich kein Preis mehr erlauben, keine Frauen zu nominieren“, sagt Buchhändlerin und Bloggerin Maria-Christina Piwowarski. Nach und nach finde ein Umdenken statt, doch der Prozess sei behäbig. Verlagsprogramme seien von langer Hand geplant. „Es geht ja nicht nur darum, wie viele Frauen erscheinen, sondern auch darum: Wo stehen sie in den Vorschauen?“, gibt Piwowarski zu bedenken. Auch der Handel solle verstärkt auf Autorinnen hinweisen. Piwowarski beobachtet zwar, dass immer mehr ihrer Kunden gezielt Bücher von Schriftstellerinnen nachfragen. Dennoch: „Ich habe immer noch Männer, die so ein bisschen zucken, wenn ich ihnen ein Buch von einer Frau gebe“, berichtet Piwowarski.

Gewachsene Strukturen

Im Frühjahrsprogramm des Hanser-Verlags machten Autorinnen der Stichprobe von Glanz und Seifert zufolge 22 Prozent aus. Verleger Jo Lendle führt das auf gewachsene Strukturen zurück: Langjährige Autoren und Autorinnen würden über Jahre begleitet. „Diese Kontinuität führt dazu, dass Entwicklungen sich erst nach und nach in Proportionen niederschlagen“, so Lendle. „In den vergangenen Jahren machten Schriftstellerinnen den Großteil der Neuzugänge aus.“ Im Herbstprogramm liegt der Anteil der Autorinnen laut Lendle bei 42 Prozent. Es gebe eine große Neugier auf vielfältige Schreibweisen. Auch Wissenschaftlerin Geier nimmt das wahr: „Es gibt eine Lust an einer größeren Diversität, es gibt eine Neugier auf andere Geschichten.“ Sie hofft auf Änderungen historisch gewachsener Strukturen.

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